Hand oder Holz?

Intelligente, automatische Höheneinstellung für Schutzhauben
Im Rahmen des Projektes ´\'Smart Hover\'´ wurde ein System entwickelt, welches die Höheneinstellung von Schutzhauben bei Formatkreissägen automatisch vornimmt. Dabei kann das System zwischen Hand und Werkstück unterscheiden.

Bei Formatkreissägen kommt es regelmäßig zu schweren Unfällen, die auf einen unsachgemäßen Umgang mit der Schutzhaube zurückzuführen sind. Nach einer Empfehlung der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) sollte die Schutzhaube bei jedem Bearbeitungsvorgang zum Schutz vor unbeabsichtigten Eingriffen in das Sägeblatt abgesenkt werden. Meist wird sie allerdings weit höher als nötig fixiert bzw. sogar entfernt. Dies erfolgt zu Lasten der Sicherheit, denn in dieser Position sind sowohl die nötige Absaugleistung für den entstehenden Feinstaub als auch der Schutz vor Materialrückschlag sowie sonstigen Unfällen nicht gegeben. Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) hat in Kooperation mit der BGHM und dem Institut für Arbeitsschutz (IFA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) im Rahmen einer Machbarkeitsstudie zum Projekt \’Smart Hover\‘ ein erstes Funktionsmuster eines Systems entwickelt, das eine intelligente und automatische Höheneinstellung der Schutzhaube ermöglicht. Das System besteht aus einer Vorrichtung zur motorischen Einstellung der Schutzhaubenhöhe, einer elektronischen Steuerungseinheit, einer Kamera und einem spezifischen optischen Sensorsystem (Bild 1). Der Sensor ist in der Lage, den Abstand zur Materialoberfläche berührungslos zu ermitteln und an das Steuergerät weiterzuleiten. Am vorderen Ende der Schutzhaube angebracht, dient er zur Überwachung eines Punktes, der auf der verlängerten Schnittachse vor dem Sägeblatt liegt. Verringert sich der gemessene Abstand durch das Vorschieben eines Werkstücks in diesen Überwachungsbereich, veranlasst die Steuerungseinheit ein Anheben der Schutzhaube auf die entsprechende Höhe. Der Bereich unter der Haube wird durch die Kamera in regelmäßigen kurzen Zeitabständen überwacht. Befinden sich dort keine Objekte mehr, wird die Haube vollständig abgesenkt.

Multispektrale Material- unterscheidung

Eine Besonderheit des optischen Sensorsystems ist die Möglichkeit, neben der berührungslosen Abstandsmessung, sicher und schnell zwischen Materialoberflächen unterscheiden zu können. Speziell wird zwischen Haut und Werkstück differenziert. Nur bei Erkennung einer Werkstückoberfläche wird die Höheneinstellung vorgenommen. Erkennt das System hingegen Haut, verharrt die Haube auf der aktuellen Höhe. Diese Eigenschaft unterscheidet den verwendeten Sensor von einem konventionellen Sensor zur Distanzmessung und bietet einen Mehrwert hinsichtlich des zu erreichenden Sicherheitsniveaus, da eine automatische Anhebung der Schutzhaube nicht durch unbedeckte menschliche Gliedmaßen ausgelöst werden kann. Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Materialoberflächen erfolgt anhand ihrer spektralen Signaturen. Eine solche Signatur besteht aus den Remissionsintensitäten verschiedener schmaler Wellenlängenbänder im Nah-Infrarotbereich (NIR). Dieser Teil des elektromagnetischen Spektrums eignet sich hervorragend für die Unterscheidung von menschlicher Haut und vielen Werkstoffen. So bewirken die sogenannten Wasserbanden auch bei unterschiedlichen Hauttypen eine gleichmäßige Absorptionscharakteristik im NIR. Im sichtbaren Spektralbereich sind Pigmente (Melanine) für die unterschiedliche Färbung der Haut verantwortlich. Wird nun dieser Bereich zum Vergleich betrachtet, können dort unterschiedliche Absorptionscharakteristika für die verschiedenen Hauttypen festgestellt werden. In der Praxis erschweren diese die Abgrenzung gegenüber anderen Materialien. Der Sachverhalt ist in Bild 2 in Form von Remissionskurven verschiedener Materialien und Hauttypen visualisiert. Zur Ermittlung der spektralen Signatur kommen im entwickelten Sensor spezielle Multi-Chip-LEDs zum Einsatz, die eine sequenzielle Beleuchtung mit Licht aus vier schmalen Wellenlängenbändern ermöglichen. Die Reflexion an der Oberfläche wird mit Hilfe von mehreren in einer Reihe angeordneten Fotodioden gemessen. Durch den räumlichen Versatz der Fotodioden ist es möglich, die Distanz der reflektierenden Oberfläche nach dem Prinzip der Triangulation zu bestimmen. Die so ermittelten Daten werden dann im Mikrocontroller des Sensors verarbeitet und durch den Klassifikator ausgewertet. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Modelle von Klassifikatoren aus dem Bereich des maschinellen Lernens implementiert und trainiert.

Fazit

Sowohl die Machbarkeitsstudie, als auch die exemplarische Umsetzung als Funktionsmuster zeigen, dass Sicherheit und Komfort bei der Arbeit an einer Formatkreissäge mit einem System zur intelligenten und automatischen Höheneinstellung der Schutzhaube gesteigert werden können. Die Fähigkeit zur Hauterkennung des spezifischen Sensorsystems spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle für den Sicherheitsaspekt. Das gesamte System sollte bei industrieller Fertigung durch die Verwendung von Standardkomponenten marktgerecht hergestellt und an vorhandenen Maschinen nachgerüstet werden können.

Hochschule Bonn-Rhein-Sieg
http://www.h-brs.de

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