Die Welten verbinden

Interview mit Lucas A. Wintjes und Norbert Sasse zum Open Core Engineering von Bosch Rexroth
Die Automatisierungstechnik ist längst keine technologische Insel mehr, IT-Technologien haben sich ihren Weg in den Maschinenbau gebahnt. Bosch Rexroth hat mit dem Open Core Engineering auf der SPS IPC Drives 2012 einen Ansatz vorgestellt, mit der die beiden Welten wohl noch enger und einfacher miteinander verbunden werden können. Wir haben Lucas A. Wintjes, Geschäftsleitung Vertrieb und Branchenmanagement Fabrikautomation, und Norbert Sasse, Leiter Vertriebliches Produktmanagement Motion Logic-Systeme, zu diesem neuen technologischen Ansatz befragt.

Sie haben auf der SPS IPC Drives das Open Core Engineering vorgestellt. Wie würden Sie diese Technologie in wenigen Sätzen beschreiben?

Wintjes: Open Core Engineering steht für das komplette Engineering-Angebot von Rexroth, das die bisher getrennten SPS- und IT-Welten in einer durchgängigen Lösung verbindet. Es umfasst offene Standards, Software-Tools, Funktionspakete sowie das Open Core Interface. Diese neue Schnittstelle erlaubt Maschinenherstellern den Zugriff bis auf den Steuerungskern. So können sie zum einen individuelle Softwarefunktionen selbst umsetzen und zum anderen neue IT-Technologien leichter in ihre Maschinen integrieren. Mit Open Core Engineering schlagen wir die Brücke zwischen dem klassischen IEC-Engineering und den neuen Möglichkeiten der Hochsprachen-Programmierung.

Mit dem Wort \’open\‘ assoziiert man sofort \’Open Source\‘, was ja letztlich Offenheit und Herstellerunabhängigkeit bedeutet. Doch was bedeutet \’open\‘ im Zusammenhang mit dem Open Core Engineering?

Sasse: Der Begriff \’open\‘ hat nichts mit \’Open Source\‘ zu tun, auch wenn dies naheliegend erscheint. Es geht zunächst um Offenheit im Sinne von offenen Standards. Schon immer steht Rexroth dafür, keine proprietären Lösungen zu entwickeln, sondern auf offene Standards zu setzen, wie beispielsweise auf sercos im Bereich der Kommunikation oder auf die IEC61131-3 im Bereich der SPS-Programmierung. So haben wir als erster Steuerungshersteller Codesys Version 3 in unserem eigenen Framework IndraWorks implementiert. Bei PLCopen haben wir intensiv an der Entwicklung der Motion Control-Bausteine mitgewirkt und diese Mitarbeit auch für Safety-Bausteine weitergeführt. Damit waren wir in der Lage, diese Standards frühzeitig zu integrieren. Mit Blick auf \’Open Core\‘ kommt noch ein weiterer Aspekt zum Tragen: Wir geben Maschinenherstellern jetzt die Möglichkeit, sehr tief auf unsere Steuerungen zuzugreifen und deren Funktionen für sich optimal zu nutzen. Die Schnittstelle Open Core Interface ist komplett offen gestaltet, damit Maschinenhersteller ihrer Kreativität mit unseren Lösungen freien Lauf lassen können.

Wintjes: Ausgehend von ihrem Know-How in den Maschinenprozessen und unserer Erfahrung in den Steuerungs- und Antriebstechnologien können Maschinenhersteller aus standardisierten Lösungen neue Lösungen entwickeln. Das Open Core Interface gibt ihnen darüber hinaus die Freiheit, die von ihnen präferierte Hochsprache oder Geräteplattform zu nutzen. Das schafft die Voraussetzung für sowohl innovative Ideen als auch für eine höhere Geschwindigkeit im Engineering. Insbesondere jene Hersteller, die mit der Neuentwicklung von Maschinen befasst sind, sind bestrebt, Fortschritte zu machen – nicht nur technologischer Art, sondern auch in der Vorgehensweise. Mit Open Core Engineering haben sie die ideale Plattform und Flexibilität für ein effizienteres Engineering.

Gibt es ein typisches Szenario, wo Sie sagen, dass die Vorteile des Open Core Engineering zum Ausdruck kommen?

Sasse: Grundsätzlich geht es um die Frage, wie der überwiegend mittelständisch geprägte Maschinenbau Fortschritte in der Engineering-Effizienz machen kann. Seit Jahren ist dies im Automationsumfeld ein Diskussionsthema. Eine Möglichkeit im Rahmen der herkömmlichen SPS-Programmierung ist die Modularisierung der Maschinensoftware. Neue Maschinen werden nach einem gewissen Reifegrad mit einer völlig neu entwickelten Softwarearchitektur versehen. Mit Open Core Engineering wird diese Aufgabe für Maschinenhersteller deutlich einfacher. Zum einen haben wir viele Funktionen in Funktionspaketen gebündelt. Dabei handelt es sich um einfach wiederverwendbare Technologiebausteine, die Anwender in der Programmierung meist nur noch parametrieren müssen. Zum anderen können Anwender mit dem Generic Application Template quasi automatisiert und mit nur wenigen Eingaben ein vollständiges, objektorientiertes Rahmenprogramm erstellen. Damit nehmen wir Projektierern bereits viel Arbeit ab, wenn diese in Richtung modularisierter Maschinen gehen wollen. Zudem unterstützen wir über die Anbindung von Versionskontrollsystemen das Team-Engineering. Aber mehr noch: Eine Maschine steht ja nicht für sich alleine in der Halle. Alles, was sich um eine Maschine herum befindet, basiert nicht auf der klassischen SPS-Programmierung, sondern liegt im Umfeld der Hochsprachen-basierten IT-Automatisierung. Ob es sich um Manufacturing Execution Systeme, Logistik-Bereiche oder Produktionsrechner handelt, die Informationen aus einer Maschine benötigen – hierfür kommen keine SPS-Systeme zur Anwendung. An dieser Stelle gilt es, eine Brücke zu schlagen. Hersteller kommen nicht umhin, entsprechende Schnittstellen aus der Maschinensteuerung zur Verfügung zu stellen. Das kann beispielsweise über die Implementierung von speziellen Protokollen oder Programmfunktionen erfolgen, die die benötigten Informationen bereitstellen oder verarbeiten. Hier kommt das Open Core Interface ins Spiel. Ohne Anpassung der Maschinensoftware haben externe Geräte darüber einen direkten funktionalen Zugriff auf die Steuerung. Das vereinfacht auch die Einbindung von nativen Apps auf Smart Devices in Maschinen, beispielsweise für innovative Visualisierungskonzepte. Denn ein Smartphone oder Tablet ist im Grunde auch nur ein externes Gerät, das Informationen aus der Steuerung verwendet. Mit dem Open Core Interface lassen sich zudem umfangreiche Steuerungsprogramme für Smart Devices entwickeln.

Wintjes: Mit Open Core Engineering unterstützen wir Maschinenhersteller in zweifacher Hinsicht: Erstens können sie anhand umfangreicher Software-Tools, Funktionspakete, offener Standards und dem Open Core Interface den Übergang von der SPS- zur IT-Automatisierung einfacher meistern. Zweitens haben sie die Möglichkeit, ihre Kreativität und Innovationsfähigkeit optimal einzubringen, um sich vom Wettbewerb zu differenzieren und Engineeringprozesse zu beschleunigen.

Sasse: Für Letzteres ist auch die Simulation von Maschinenprozessen ein wichtiger Punkt, den hier noch ergänzen möchte. Zu diesem Zweck ermöglicht das Open Core Interface bereits heute die Anbindung von LabView. Die Unterstützung von Matlab/Simulink folgt noch in diesem Jahr.

Eine ganze Reihe von Steuerungen bieten ja schon die Möglichkeit, in C programmiert zu werden und C-Tasks laufen zu lassen. Hat man dort nicht schon auch viele dieser Möglichkeiten gehabt, die sie jetzt mit Open Core Engineering anbieten?

Sasse: Die Verwendung von C-Code war bisher nur innerhalb des SPS-Kontextes möglich. Mit dem Open Core Interface hingegen unterstützen wir jetzt nicht mehr nur die Steuerungen im eigenen Programmierkontext. Vielmehr bieten wir Hochsprachen-basierten Anwendungen vollständigen Zugriff auf alle Steuerungs- und Antriebsfunktionen unter Verwendung unterschiedlicher Programmiersprachen und Entwicklungsumgebungen. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Denn eines ist klar: In der IT-Automation gibt es im Gegensatz zur SPS-Automatisierung keinen Standard wie die IEC61131-3: Es gibt unterschiedliche Entwicklungs-Plattformen für unterschiedliche Sprachen für unterschiedliche Geräte. Und diese Plattformen unterstützen wir bis hin zur Echtzeit-Programmierung auf unseren eigenen Steuerungen mit einem umfangreichen Software Developer Kit. Das erhöht für Anwender die Freiheitsgrade im Engineering.

Wenn wir jetzt diese Entwicklungen nehmen, die wir aus der IT-Welt kennen, wie Touch-Technologien, die ganzen Web-Technologien, Smart Phones, Tablets usw.; inwieweit beeinflussen diese Technologien die Entwicklung des Open Core Engineerings heute und in der Zukunft?

Wintjes: Der Erfolg eines Produkts hängt manchmal maßgeblich vom Timing der Markteinführung ab. Hinzu kommt, dass nicht nur Technologie und Qualität darüber entscheiden, wie gut etwas ankommt, sondern auch die Gewohnheiten der potenziellen Anwender. Das Open Core Interface wurde von unseren Ingenieuren bereits vor geraumer Zeit entwickelt und durch interne Verwendung zur Marktreife geführt. Vor dem Hintergrund der jetzigen Marktdurchdringung von Smart Devices und der zunehmenden Bedeutung der IT-Automation, bieten wir unseren Kunden das richtige Produkt zur richtigen Zeit.

Wann ist diese Technologie, die Sie in Nürnberg vorgestellt haben, am Markt verfügbar?

Wintjes: Die Firmware-Schnittstelle für Nicht-Echtzeit-Anwendungen ist jetzt schon verfügbar. Die entsprechende Bibliothek wird mit den Steuerungen IndraMotion MLC und IndraLogic XLC mitgeliefert. Die Schnittstelle für Echtzeit-Anwendungen, die direkt auf der Steuerung lauffähig sind, werden wir Maschinenherstellern im Laufe dieses Jahres zur Verfügung stellen.

Sasse: Unsere Kunden erhalten damit die gleiche Entwicklungsumgebung für Echtzeit-Anwendungen, die auch unsere eigenen Entwicklungsabteilungen verwenden. Das wird natürlich nicht ganz ohne Unterstützung gehen, weshalb wir für Programmierer eine entsprechende Support-Kette zur Verfügung stellen.

Das gesamte Thema Engineering ist das Kernthema der Steuerungstechnik schlechthin. Wo sehen Sie die wesentlichen Herausforderungen und auch Entwicklungen im Bereich des Engineering in der Automatisierungstechnik für die nächsten fünf Jahre?

Sasse: Für Rexroth steht beim Engineering weiterhin die Effizienzsteigerung im Vordergrund. Dabei geht es darum, die Usability von Softwarefunktionen so einfach wie möglich zu gestalten und mit Funktionen wie für Remote Condition Monitoring, Energiemanagement oder Safety weiter auszubauen.

Wintjes: Offene Standards und Tools schaffen die Voraussetzung, auch die Teamarbeit im Engineering voranzubringen. Letzten Endes bedeutet das natürlich, dass Hersteller ihr Management des Software-Engineerings weiter ausbauen müssen. Mit unserem Dienstleistungsangebot wollen wir sie hierbei zielgerichtet und individuell unterstützen. Nicht nur in Deutschland oder Europa, sondern weltweit. Wir werden aber auch die Entwicklung neuer Steuerungs- und Antriebsplattformen weiter vorantreiben und damit deren Einsatzspektrum für neue Anwendungen erweitern.

Sasse: Unser Ziel ist es, dem Anwender das Software-Engineering so einfach wie möglich zu machen. Im Rahmen von Open Core Engineering werden wir Maschinenhersteller beispielsweise in der App-Erstellung so weit unterstützen, dass sie in der Lage sind, diese selbst zu entwickeln. Es geht generell darum, ihnen die Basisarbeiten, die sie heute teilweise noch sehr mühevoll machen müssen, abzunehmen. Unsere Kunden bestätigen uns, dass wir hier bereits sehr weit gekommen sind. Aber die Entwicklungszeiten in der Automatisierung müssen noch kürzer werden. Hier gibt es keinen Weg zurück, dafür müssen Maschinenhersteller heute am Markt zu schnell und flexibel agieren. Wir sehen darin eine wesentliche Kundenanforderung, an der wir unser Angebot im Engineering ausrichten und weiterentwickeln. Immer in Abstimmung mit unseren Kunden natürlich, denn diese sind ja, wenn es um ihre Maschinen geht, die Kreativen.

Vielen Dank für das Interview.

www.boschrexroth.com

Bosch Rexroth
http://www.boschrexroth.com

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