Die Revolution gestalten

Noch liegt viel Arbeit vor uns, bis die Vision 'Industrie 4.0' Wirklichkeit wird - Potenzial bei ABB erkennbar
Industrie 4.0 gilt als die bevorstehende vierte industrielle Revolution und steht für eine neue Form der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Produkten. Basis ist die Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit durch Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen sowie die Fähigkeit aus den Daten den zu jedem Zeitpunkt optimalen Wertschöpfungsfluss abzuleiten.

Nach der frühen Industrialisierung, dem Maschinenzeitalter und der Mikroelektronik verschmelzen reale und virtuelle Welt künftig zu einem \’Internet der Dinge\‘. Geräte, Automatisierungstechnik, Warenwirtschaftssysteme und Wartungsmanagement werden über das Internet zu sogenannten \’Cyber Physical Systems\‘ vernetzt. Diese Systeme ermöglichen die Zusammenarbeit über Funktions- und Unternehmensgrenzen hinweg. ABB geht davon aus, dass die produzierende Industrie durch die Umsetzung von \’Industrie 4.0\‘ die zunehmend individualisierten Kundenwünsche erfüllen und gleichzeitig bis zu 30% mehr Produktivität erreichen könnten.

Beispiel Krisenmanagement in der Produktion

Um den aktuellen Stand und das Potential der Industrie 4.0 zu verstehen, betrachten wir beispielsweise das Krisenmanagement in einer Produktionsanlage. Ein Anlagenfahrer erhält eine Störungsmeldung von einer Maschine und muss sich fragen: Wo genau liegt das Problem? Was ist zu tun? Haben wir die richtigen Wartungsmitarbeiter und Ersatzteile verfügbar? Können wir die Produktionsreihenfolge kurzfristig umstellen, um Produktionsausfall durch Reparaturarbeiten zu minimieren? Zur Beantwortung dieser Fragen benötigt der Anlagenfahrer Daten aus unterschiedlichsten Systemen, doch die liegen zum großen Teil nicht in Echtzeit vor. In Zukunft werden alle relevanten Informationen auf allen Ebenen – vom einzelnen Antriebsmotor einer Maschine bis zur Gesamtanlage, von der Produktqualität bis zur Energieintensität der aktuellen Anlagenfahrweise – zur Verfügung stehen. Dies im Detail oder auch in aggregierten Managementsichten. Sämtliche Maschinen und Produktionsmittel sind mit technischer Intelligenz – den \’eingebetteten Systemen\‘ – ausgestattet und aufeinander abgestimmt.

Was tun mit den Daten?

Die große Herausforderung auf dem Weg zur künftigen Industrie 4.0 liegt in der Phase nach dem Eingang der Daten im System. Die Daten laufen aus verschiedensten Kanälen auf, die wir synchronisieren müssen. Manche Geräte schicken alle 100ms Daten, andere alle 30Min. – je nachdem, wie relevant sie sind. Ein cyber-physikalisches System ist in der Lage, all diese Daten auszuwerten und zueinander in Bezug zu setzten und somit jederzeit ein Gesamtbild über den Zustand der Anlage vermitteln. Was muss an den einzelnen Anlagenkomponenten geändert werden, damit das funktionieren kann? Wie werden die Daten dargestellt? Wie ändert sich der Tagesablauf aller beteiligten Mitarbeiter, um diesen wertvollen Datenfluss in die alltägliche Entscheidungsfindung zu integrieren? ABB will nicht nur Informationen über Geräte zusammentragen, sondern aus dem integrierten Wissen gezielt Dienstleistungen auf verschiedenen Ebenen entwickeln, so dass es zu einer Optimierung aller Produktionsprozesse kommt: Einsatzplanung, gerätespezifische Empfehlungen und letztendlich eine höhere Leistungsfähigkeit.

Intuitiver Datenzugriff

Entscheidend ist dabei ein intuitiver Zugriff auf diese Informationen. Dabei können wir viel von den \’Digital Natives\‘ und ihrem Umgang mit sozialen Medien lernen. Jugendliche wachsen mit Computern und Smartphones auf. Sie schauen Videos auf YouTube, lesen Nachrichten auf mobilen Tablet-Computern und kommunizieren über Facebook und Twitter. Diese \’Digital Natives\‘ sind die Anlagenfahrer und Produktionsleiter von morgen. Sie haben einen natürlichen Zugang zur Informationstechnik – für sie sind soziale Medien Teil ihrer alltäglichen Lebenswelt. Interessanterweise zeigen Feldstudien, dass im industriellen Alltag vieles, was wir aus den Social Media kennen, bereits gang und gäbe ist. Durch Smartphones sind beispielsweise Kameras heute allgegenwärtig. Es wird schnell ein Foto gemacht, um Sachverhalte zu dokumentieren und zu kommunizieren oder kurzerhand zur Erklärung ein Screenshot des Bildschirms verschickt. Die Leichtigkeit, mit der dies alles in Social Media geschieht, können wir in zukünftigen Leitwarten gut gebrauchen. In der ABB-Forschung wurde ein Prototypen entwickelt, der Social Media-Ansätze tief in unser Leitsystem 800xA integriert. Dieses System enthält bereits heute eine Vielzahl von Features, die wir der Industrie 4.0 zuordnen würden – bei ABB nennen wir diese Entwicklung \’Power of Integration\‘. System 800xA bietet eine vollständige Anlagenvisualisierung, ein umfangreiches Alarmmanagement sowie einen einfachen Zugang zu allen wichtigen Informationen der Prozessautomation, der Prozesselektrifizierung und des Strom- und Sicherheitsmanagements. Mithilfe der prototypisch implementierten Social Media-Features kann jedes Automatisierungsgerät in der Anlage eine eigene Homepage erhalten, auf der beispielsweise aktuelle Messwerte, die Wartungshistorie und Kommentare von Anlagenfahrern abrufbar sind. Notizen, Fotos und Screenshots können auf diese Weise einfach Anlagenkomponenten zugeordnet und geteilt werden. Alle Informationen sind intuitiv angeordnet und können durch einfaches Klicken auf den Objektnamen gefiltert werden. Für jedes Objekt sieht man dann die komplette Historie und mit einem weiteren Klick ergänzt man eine Notiz. Die Nutzer tauschen sich damit fast wie auf Facebook aus.

Intuitive Bedienung

Eine zweite Technologie, die viele \’Digital Natives\‘ gut kennen, ist die Gestensteuerung. Spielekonsolen mit Microsoft Kinect-Technologie haben sie in den Alltag vieler Jugendlichen eingeführt. Die Anbindung des Kinect-Sensors an die Leittechnik von ABB erlaubt eine direkte und natürliche Interaktion von überall her in die Leitwarte. Gerade bei schwierigen Prozessstörungen sind oft mehrere Personen in die Lösungsfindung eingebunden. Anlagenfahrer, Schichtleiter und Prozessingenieure stehen gemeinsam vor einem Großbildschirm. Mit der Gestensteuerung können sie aus einigen Metern Entfernung leicht innerhalb der Prozessgraphik navigieren. Im Zusammenspiel mit der voll skalierbaren Bediengrafik \’Hawkeye\‘ ergibt sich eine komfortable Bedienung, ohne an Maus und Tastatur gebunden zu sein. Sie reagiert auf Armbewegung und erkennt offene wie geschlossene Hände. Man kann damit wie bei Google Maps in eine Totale gehen, in der man die komplette Anlage sieht oder in einzelne Bereiche hineinzoomen. Man weiß immer, wo man sich gerade in der Anlage befindet. Falls in einem Bereich eine Störung auftritt, lässt sich das im Übersichtsbild gut erkennen. Das Leitsystem sorgt dafür, dass die Anlagenfahrer jederzeit ein aktuelles Gesamtbild über den Prozesszustand haben. Sie verlieren dadurch nicht den Bezug zum Ganzen und laufen nicht Gefahr sich an Details festzubeißen und zu übersehen, dass es zwischenzeitlich viel wichtigere Probleme gibt.

Umfassend vernetzt

Die Vernetzung reicht in Industrie 4.0 weit über die eigentliche Produktionsanlage hinaus. Stellen Sie sich eine Ölplattform vor: Üblicherweise hat das Management ein Dashboard mit Produktionskennzahlen bestehend aus verschiedenen Tabellen und Zahlen. Im Zeitalter von Industrie 4.0 lassen sich diese Kennzahlen ohne manuelle Bearbeitung in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit darstellen – in Echtzeit. Das Management sieht Energieverbräuche, Produktionsraten und Marktpreise deren historischen Verlauf über die vergangenen Quartale, korreliert mit externen Daten zu Windgeschwindigkeiten oder Anzahl des Personals an Board – alle wichtigen Kenngrößen einer Ölplattform. Die Daten kommen aus dem Warenwirtschaftssystem der Fabrik, aus Betriebsführungssystemen und natürlich aus dem Prozessleitsystem. Die Produktionssysteme sind damit vertikal von der Feld- bis zur betriebswirtschaftlichen Ebene vernetzt, horizontal zu verteilten Wertschöpfungsketten verknüpft und funktional für Menschen mit unterschiedlichen Aufgaben über den gesamten Lebenszyklus durchgängig verbunden. Der Mensch erweitert durch optimal zugeschnittene technische Unterstützung seine Fähigkeiten und gewinnt ein hohes Maß an selbstverantwortlicher Autonomie.

Durchgängiges Engineering

Am ABB Forschungszentrum in Ladenburg treiben wir darüber hinaus die Entwicklung durchgängiger Engineering-Methoden und -Werkzeuge sowie die virtuelle Inbetriebnahme von Produktionsprozessen voran. Diese Forschungsarbeiten haben auch zur Entwicklung des ABB \’Automation Builder\‘ beigetragen, einer neuen integrierten Software-Suite für Maschinenbauer und Systemintegratoren, die einen ersten Schritt auf dem Weg zum vollständig integrierten Engineering von Lösungen für die Industrieautomation im Sinne von Industrie 4.0 darstellt. So integriert der \’Automation Builder\‘ beispielsweise die neueste Version von RobotStudio zur Konfiguration, Programmierung und Simulation von ABB-Robotern, welches auch die einfache und schnelle Anbindung einer SPS an die Robotersteuerung ermöglicht. RobotStudio nutzt dazu eine komplett virtualisierte ABB-Robotersteuerung, eine exakte Kopie der Originalsoftware, die Roboter in Produktionsprozessen steuert. Damit sind realistische Simulationen möglich, in denen Roboterprogramme und Konfigurationen zum Einsatz kommen, die ohne nachträgliche Bearbeitung direkt in die reale Robotersteuerung übertragen und ausgeführt werden können. Sie entsprechen exakt den in der Produktion eingesetzten Daten. Das hat den Vorteil, dass Aufgaben wie Schulung, Programmierung und Prozessoptimierung offline durchgeführt werden können, ohne die laufende Produktion zu unterbrechen. Selbst hybride Szenarien, bei denen reale Steuerungskomponenten mittels Hardware-in-the-loop an virtuelle Roboter angebunden werden, sind damit problemlos realisierbar.

Umfassende Serviceinformationen

Ein weiterer Teilaspekt von Industrie 4.0, der bereits heute verfügbar ist, ist das zentrale Sammeln und Auswerten von Serviceinformationen im Internet als Grundlage der vorbeugenden Instandhaltung, wie beispielsweise mit dem ABB Remote Service Konzept für Industrieroboter. Durch das Zusammenspiel all dieser Techniken kann mit Industrie 4.0 ein ganzheitliches, pro-aktives Servicekonzept realisiert werden. Durch die vollständige Vernetzung der Automatisierungskomponenten mit Diagnose- und Zustandsüberwachungssystemen lässt sich zu jeder Zeit der Zustand der Anlage genauestens überwachen. Die Auswertung der Daten kann dann verwendet werden, um eine vorausschauende und prädiktive Wartung zu realisieren. Auf diese Weise können auch vollständige Flotten-Daten erfasst werden, die mit Hilfe von statistischen Auswertemethoden Rückschlüsse über generelle Verbesserungspotentiale und Service-Bedarfe zulassen. Gleichzeitig kann das Dienstleitungsangebot an das individuelle Kunden-Nutzungsprofil angepasst werden. Anlageninformationen sind in Zukunft nicht nur in der zentralen Steuereinheit zugänglich, sondern werden auch dem vernetzten Service-Techniker vor Ort zur Verfügung stehen. Bei auffälligen Werten in einer Anlage kann so jederzeit ein Expertenteam zusammengestellt werden, unabhängig davon, wo sich die Mitarbeiter gerade befinden: In der Leitwarte, in einer Servicezentrale im Ausland oder in der Anlage selbst. Das Team analysiert gemeinsam den Fehler und schickt eine entsprechende Order an das Wartungsmanagementsystem. Ein Servicespezialist vor Ort ruft die Informationen mit seinem Smartphone oder Tablet über Internet ab. Dabei kann mittels \’Augmented Reality\‘ Unterstützung das defekte Teil schnell lokalisiert und gleichzeitig bereits zusätzliche kontextbezogene Informationen eingeblendet werden. Ergänzend werden Zusatzinformationen zum Anlagenstatus über Remote Service Plattformen oder mobile Adhoc-Sensornetzwerk gesammelt. So wird dank vernetzter Information ein Produktionsausfall verhindert oder auf ein Minimum begrenzt. Auf der diesjährigen Hannover Messe hat die ABB-Forschung hierzu bereits einen ersten Technologie-Demonstrator einer \’Augmented Reality\‘ Applikation für die vernetzte Fabrik vorgestellt.

Erhalt und Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit

Es ist richtig, dass die Bundesregierung zur Erforschung der Industrie 4.0-Technologien Fördermitteln in der Größenordnung von 200Mio.€ investiert. Die Industrie muss dabei aber die Treiberrolle behalten. ABB will gemeinsam mit anderen Unternehmen dazu beitragen, dass wettbewerbsfähige Produktion in Deutschland trotz höherer Löhne und Energiekosten auch künftig wettbewerbsfähig bleibt und dass die deutsche Industrie ihre gute Position weiter ausbaut. Nicht zuletzt sollte bedacht werden, dass Industrie 4.0 Unternehmen auch als Arbeitsplatz für \’Digital Natives\‘ attraktiv macht und so dem eklatanten Fachkräftemangel speziell in der Produktion entgegen wirken kann.

ABB Automation GmbH
http://www.abb.de/AT

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