Um das Ausmaß der bevorstehenden Veränderung zu begreifen, muss man zuerst einen Blick auf den aktuellen Stand der Entwicklung von Bedienoberflächen werfen: Heutige \’Human Machine Interfaces\‘ (HMIs) sind individuell, denn sie müssen passend zur betreffenden Anlage oder Maschine gestaltet werden. Sie sind aber weder \’smart\‘ noch flexibel, die Systeme sind vielmehr meist starr ausgelegt: Jeder Produktions- oder Prozessablauf, der auf der Maschine oder Anlage abgebildet wird, sowie jede in der Maschine ober Anlage verbaute Komponente – wie Antrieb, Pumpe oder Sensor – wird von einem HMI-Entwickler einzeln von Hand angelegt und visualisiert. Diese verwenden zwar Vorlagen, Skripte und diverse Automatismen, trotzdem ist die Entwicklung von HMIs geprägt durch viele, sich wiederholende Tätigkeiten. Diese Art der Entwicklung funktioniert bei aktuellen Maschinen und Anlagen, weil diese sich nur selten ändern. Aber schon kleine Modifikationen an der Maschine oder Anlage erfordern erneutes Arbeiten an der HMI. Wird beispielsweise eine Pumpe durch eine leistungsfähigere Version mit größerer Funktionalität ersetzt, muss der Entwickler die Software anpassen. Oder wird ein neuer Werkzeugtyp verwendet, muss dieser inklusive der zugehörigen Parametrier-Dialoge visualisiert werden.
Flexible Mashups statt \’HMI-Manufaktur\‘
Diese \’HMI-Manufaktur\‘ wird jedoch aller Voraussicht nach mit Cyber-Physical Systems (CPS) nicht mehr funktionieren. Denn hier werden Maschinenkomponenten, Werkzeuge und Werkstücke eingesetzt, die ihre eigene Intelligenz – inklusive Informationen zu Funktionalität und Zustand – mitbringen, sich selbstständig vernetzen und organisieren. Wo die Technologie selbstständig arbeiten kann, wird der Nutzer entlastet, weil die entsprechenden Daten über die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation (M2M) ausgetauscht und abgestimmt werden. Dort aber, wo ein Eingriff des Nutzers erforderlich ist, müssen HMIs dynamisch und flexibel aus unterschiedlichen Quellen, also aus den Informationen der beteiligten CPS, \’komponiert\‘ werden. Diese Vorgehensweise ist im Internet bereits lange unter dem Namen \’Mashup\‘ oder \’Vermischen\‘ bekannt und erprobt. Mashups ermöglichen die nahtlose Kombination verschiedener Inhalte, wie beispielsweise die Vermischung eines Buchungsdienstes mit einem redaktionell aufbereiteten Reiseportal, einem Video-Kanal und einem Online-Kartendienst.
Die intelligente Fabrik wird mobil
Industrie 4.0 wird noch einen weiteren, grundlegenden Wechsel bei der HMI-Gestaltung einläuten: Bisher werden Bedienoberflächen in der Regel für genau ein Zielsystem entwickelt, also für ein bestimmtes Bedienpanel mit definierter Bildschirmgröße und vorgegebenen Eingabegeräten. Zukünftig werden HMIs aber auf unterschiedlichen Systemen laufen müssen, was sowohl stationäre als auch mobile Endgeräte umfasst. Der Zugriff auf Information und Funktionalität wird dort stattfinden, wo diese benötigt werden – und zwar in der Form, die für die jeweilige Arbeitsaufgabe angemessen ist. Eine große Rolle wird hierbei die Integration von \’Smart Devices\‘ wie Tablets und Smartphones in die Produktion spielen. Diese bieten sich für die ortsunabhängige und mobile Bedienung an. Speziell Tablets sind gerade dabei, dem altgedienten PC in vielen Bereichen den Rang abzulaufen und die Arbeitswelt neu zu prägen. Smart Devices haben außerdem eine Vielzahl von Eigenschaften, die sie für die Industrie 4.0 interessant machen: Sie sind mobil, attraktiv, höchst kommunikativ, verfügen je nach Gerät über eine Vielzahl nützlicher Sensoren und basieren auf etablierten Technologien. Allerdings wartet die Integration der Geräte mit einer großen Herausforderung auf: der Vielzahl der möglichen Zielsysteme, inklusive konkurrierender Betriebssysteme wie Windows, iOS und Android.
Die passende Plattform finden
Leider wird sich in naher Zukunft im Wettkampf der Systeme kein eindeutiger Sieger abzeichnen. Im Gegenteil: Der Wettbewerb wird in nächster Zeit voraussichtlich zu einer noch größeren Vielfalt an Geräten führen – und vielleicht sogar zu weiteren Betriebssystem-Varianten. Für Maschinen- und Anlagenbauer bedeutet dies, dass sie sich für ihre HMIs mit einer Cross-Plattform-Strategie auseinandersetzen müssen, wenn sie flexibel und dauerhaft am Markt erfolgreich sein wollen. Hier gibt es verschiedene Ansätze:
- Native Entwicklung: Pro Plattform wird eine eigene HMI entwickelt, das heißt, es gibt jeweils eine nativ entwickelte Anwendung etwa für Windows, iOS oder Android.
- Mobile Web: Das HMI wird als Web-Applikation gestaltet. Diese wird im jeweiligen Browser der Plattform dargestellt.
- Hybrid Web: Das HMI wird ebenfalls als eine Art Web-Applikation gestaltet. Allerdings wird diese in einer \’Container\‘-Applikation eingebettet, welche dann auf der jeweiligen Plattform wie eine native Applikation dargestellt wird; dazu zählen etwa Phonegap, Sencha Touch oder Rhomobile.
- Cross Compiler: Das HMI wird mit einem speziellen Framework entwickelt. Dieses Framework erlaubt dann die Kompilierung für Plattformen wie etwa Appcelerator, Unity, Mono Touch oder QT.
Herausforderungen durch fehlende Standardisierung
Alle vorgestellten Plattform-Lösungen bringen unterschiedliche Vor- und Nachteile mit sich. Für die Hersteller von Visualisierungssystemen ergibt sich nun die Herausforderung, ihre Werkzeuge \’fit\‘ für die Industrie 4.0 und den Einsatz von Cyber-Physical Systems zu machen – und eine Strategie für ihre Kunden zu entwickeln. Dabei werden einerseits die Integration der Smart Devices, andererseits aber auch die Erstellung von Mashups, also die flexible, automatische und nahtlose Kombination der Informationen und Funktionen verschiedener Cyber-Physical Systems, in einer HMI erforderlich sein. Leider verhindern fehlende Standards momentan ein entsprechendes Plug&Play von intelligenten Komponenten, Werkzeugen und Werkstücken an Maschinen und Anlagen. Mit OPC UA steht zumindest auf Seite der Automatisierung eine Technologie bereit, die solch einen Schritt ermöglichen könnte. Weitere Standards und kreative HMI-Lösungen sind aber noch wünschenswert.