Grundsätzlich bieten Condition Monitoring Systeme (CMS) Anlagenbetreibern die Möglichkeit, einzelne mechanische Komponenten, komplette Maschinen und Anlagen oder auch gesamte Prozesse zu überwachen, indem sie den Maschinenzustand unter Berücksichtigung des momentanen Prozessverhaltens zyklisch oder permanent durch die Messung und Analyse physikalischer Größen erfassen. Durch Videoerfassungssysteme mit nachgeschalteter Bildverarbeitung können für das Condition Monitoring zusätzlich visuelle Prozessinformationen in die Prozessanalyse integriert werden. Auf diese Weise lassen sich auch solche Fehlerquellen während eines industriellen Produktionsprozesses erkennen, die nicht durch die vorhandene Sensorik und Instrumentierung erfasst werden. Das CMS kann basierend auf den vorhandenen Prozessdaten kombiniert mit den visuellen Informationen aus dem Prozess eine Alarmierung der Anlagenbediener vornehmen. So können Qualitätsprobleme und Produktionsausfälle vermieden werden, wenn ein sich abzeichnender Trend auf eine Störung hinweist und diese noch im Prozess behoben wird. Die Bildverarbeitungserweiterung ibaMachineVision zum Aufzeichnungssystem ibaCapture-CAM der iba AG ist ein System, das visuelle Prozessinformationen in numerische oder logische Werte umsetzt und diese der Prozessdatenaufzeichnung ibaPDA-V6 zur Verfügung stellt. \“Das ibaMachineVision gibt dem Anwender die Möglichkeit, auch visuelle Information in die Online-Analyse und Prozessdiagnose zu integrieren\“, so Dr. Ulrich Lettau, Vorstandsvorsitzender der iba AG.
Bilddaten und Prozessdaten verknüpfen
Mit dem Bildaufzeichnungssystem ibaCapture-CAM ist die synchrone Aufzeichnung von Videokamerabildern und Messwerten technischer Prozesse im Zusammenspiel mit dem Messwerterfassungssystem ibaPDA-V6 möglich. Die Videoaufzeichnung erfolgt zeitsynchron zu den Messsignalen in einer Datenaufzeichnung. \“Das bedeutet, dass Videosequenzen und Anlagendaten im Analysewerkzeug ibaAnalyzer zum Erkennen kausaler Zusammenhänge und zur Prozessanalyse zeitsynchronisiert wiedergegeben werden können\“, so Dr. Lettau. Die exakte Verbindung von Messdaten und visueller Information bietet eine völlig neue Qualität der Prozessanalyse, da die sichtbaren Prozessereignisse zusammen mit den dazu passenden Messdaten an einem Bildschirm betrachtet werden können. Durch das Modul ibaMachineVision erhält das Prozessdatenerfassungssystem zusätzlich Werte aus der Bildverarbeitung. Aus den Videosequenzen werden numerische Messwerte oder Informationen über die Produktion extrahiert. Das können z.B. Dimensionswerte von Objekten oder auch Größe und Lage von Fehlstellen sein. Diese Informationen verarbeitet die \’MachineVision-Engine\‘ zu visuellen Messwerten, indem Algorithmen aus der Bildverarbeitung verwendet werden. Nach erfolgter Bildverarbeitung werden die visuellen Messwerte wieder in das Prozessdatenaufzeichnungssystem eingespeist und auf der Bedieneroberfläche als Trends dargestellt. So bekommt der Anwender die Möglichkeit, das Livebild von der Maschine oder Anlage zeitgleich mit dem Ergebnis der Bildverarbeitung und dem sich ausbildenden Langzeittrend der visuellen Messwerte betrachten zu können. Der Langzeittrend dient als Basis für die Prozessanalyse und Diagnose. Fehler im Produktionsprozess werden auf diese Weise online und damit frühzeitig erkannt. Sie werden dem Anwender signalisiert, sodass er in den Prozess zur Störungsbehebung eingreifen kann. Es kann aber auch nachträglich eine tiefer gehende Offline-Analyse mit dem ibaAnalyzer vollzogen werden, um bei aufgetretenen Problemen auch die Störungsursachen zu erkennen und zu beheben.
Condition Monitoring einer Stranggussanlage
Der konkrete Nutzen des neuen Moduls zeigt sich an einem Anwendungsbeispiel. Das Bildverarbeitungssystem bietet für das Condition Monitoring einer Stranggussanlage die Möglichkeit der Spießkantenerkennung und Prozesskorrektur. Das Stranggießen ist ein semi-kontinuierliches Verfahren zur Herstellung von Stahlblöcken. Die Schmelze von flüssigem Stahl wird in die Kokille gegossen und vorgekühlt, sodass der Strang eine erstarrte Schale von wenigen Zentimetern Dicke erhält und der Querschnitt größtenteils noch in flüssigem Zustand ist. Der Strang wird durch die Anlage über Strangführungsrollen gelenkt und weiter gekühlt. Nach dem Erstarren wird er auf dem Auslaufrollgang mit Brennern in Längen geschnitten. Durch eine Prozessanalyse mit ibaMachineVision lässt sich erkennen, ob Unregelmäßigkeiten bei der Formung des Strangs entstehen. Bei den sogenannten Spießkanten handelt es sich um einen sich allmählich aufbauenden Fehler bezogen auf den Querschnitt eines stranggegossenen Stahlprofils. Spießkanten können z.B. auf Probleme mit der Kühlung der Rollen hindeuten. Wenn der Strang schief aus der Anlage geführt wird, lässt sich dieser Fehler über die Frontseite des Strangs erkennen. Eine hinter der Schneidbrennmaschine auf einem Übergang angebrachte Kamera nimmt die Frontseiten der Stränge auf und übermittelt die Bilddaten an das ibaCapture-CAM-System. Das MachineVision-Modul verarbeitet die Videosequenz und berechnet numerische Werte. Konkret werden die Diagonalen der Strangfrontseite ermittelt und die Differenz der Diagonalen berechnet. Diese visuellen Daten werden wieder in die Prozessdatenaufzeichnung als Messwert eingespeist, die einen Langzeittrend dieser Kenngröße erstellt. Im Fall eines signifikanten Trends, also einer Diagonalen-Differenz über einem vorher festgelegten Wert, wird der Bediener mittels einer virtuellen Ampel auf der Bedieneroberfläche alarmiert. Das fehlerhafte Stück kann er daraufhin sofort entfernen lassen und gleichzeitig die Einstellungen der Anlage anpassen. \“Durch ibaMachineVision lässt sich der Fehler noch während des Stranggussprozesses erkennen und beheben\“, erklärt Dr. Ulrich Lettau. Ohne das Condition Monitoring könnten die Spießkanten nur stichprobenartig im erkalteten Zustand am Lagerort mechanisch vermessen werden. Die Anlage würde über mehrere Stunden Ausschuss produzieren.
Speziell an Umgebungsbedingungen angepasst
Das neue Bildverarbeitungssystem mit Condition Monitoring lässt sich grundsätzlich in allen Bereichen industrieller Entwicklung und Fertigung einsetzen. Wegen der Vielfältigkeit der Anforderungen und Applikationen wird zu Beginn eines jeden Projektes eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, in der die Realisierung von ibaMachineVision bezüglich des Einbauorts der Kamera, der Lichtverhältnisse, Umgebungstemperaturen und mechanischen Einwirkungen überprüft wird. Im Falle der Stranggussanlage war mit sich stark ändernden Lichtverhältnissen durch die fehlende Einhausung der Anlage zu rechnen sowie mit Belastungen der Kameratechnik durch Hitze und Staub. Das System wird auf Basis der Machbarkeitsanalyse exakt auf die Applikation und Kundenanforderung hin angepasst, konfiguriert und optimiert.