Interview mit Markus Sandhöfner

Auf dem Weg zur alltäglichen Losgröße 1

Automatisierung im Zeitalter von Industrie 4.0
Auch in diesem Jahr wird die Hannover Messe der Ort, an dem intensiv über die \'Revolution Industrie 4.0\' diskutiert wird. Wir sprachen mit Markus Sandhöfner, B&R-Geschäftsführer Deutschland über die Herausforderungen, die das Thema an Anwender und Automatisierungsanbieter stellt. Im Gespräch mit ihm gehen wir vor allem der Frage nach, wie B&R seine Kunden auf dem Weg zur \'Losgröße 1\' unterstützt.

Seit 2011 wird unter dem Label \’Industrie 4.0\‘ über den nächsten Entwicklungsschritt industrieller Produktion diskutiert. Doch verfolgt man die einzelnen Beiträge, wird schnell klar, dass nicht jeder dasselbe Verständnis von diesem Begriff hat. Für Markus Sandhöfner, Geschäftsführer von B&R Deutschland beschreibt Industrie 4.0 vor allem das Ziel einer kostenneutralen, kundenindividuellen Massenproduktion: \“Der Schwerpunkt von Industrie 4.0 liegt ganz klar auf individualisierten Produkten zu den Herstellungskosten von Massenprodukten. Heute gibt es für diese Anforderungen noch so eine Art \’Premium-Segment\‘. Ich gehe aber davon aus, dass sich Maschinen und Anlagen in Zukunft so flexibel betreiben lassen, dass es möglich wird, kundenindividuelle Produkte ohne zusätzliche Kosten herzustellen.\“

Aufgabenteilung

Die Umsetzung dieser Idee, darauf weist Sandhöfner hin, sei allerdings nicht alleine eine Aufgabe von Automatisierungsherstellern. \“Schließlich beginnt doch alles damit, dass die Individualisierungswünsche des Kunden in digitaler Form vorliegen müssen – egal, ob sie nun mit einem Eingabeformular, einem Scanner, einem Bild oder irgendwelchen Konfiguratoren erzeugt werden\“, erläutert er. Dieser Part werde auch in Zukunft in der Regel nicht von Automatisierungsunternehmen übernommen, sondern von überlagerten IT-Abteilungen oder -Dienstleistern. \“Wir als Automatisierungslieferant wollen unsere Kunden darin unterstützen, ihre Maschinen und Anlagen immer modularer und flexibler zu machen, sodass sie beispielsweise zwei völlig unterschiedliche Produkte in Losgröße 1 auf der gleichen Maschine herstellen können. Diese Losgröße 1 ist der Ansatz, den wir verfolgen müssen.\“

Schneller zur fertigen Applikation

Doch was hat das für Konsequenzen für Maschinen- und Anlagenbauer? Für eine höhere Flexibilisierung und Variantenvielfalt der Maschine sowie eine zunehmende Modularisierung müssen Maschinenbauer zunächst einmal mehr Code als bisher schreiben. Sandhöfner: \“Gemessen an der Entwicklungsleistung einer Maschine beträgt der Anteil von Code heute schon deutlich über 50%.\“ An diesem Punkt setzt B&R an und unterstützt seine Kunden auf zwei Weisen, erläutert Sandhöfner: \“Erstens ist der gesamte B&R-Automatisierungsbaukasten darauf ausgelegt und optimiert, dass Code nur einmal geschrieben werden muss. Zweitens stellen wir unseren Anwendern Code in Form von vorgefertigten Funktionalitäten und Modulen zur Verfügung. Diese wurden von uns vor der Auslieferung getestet und dokumentiert. Dadurch können Anwender nachgewiesenermaßen bis zu 70% der Entwicklungszeit eingesparen\“, erläutert Sandhöfner. \“Die neue Technologie, die wir für die Erstellung der fertigen, modularen Bausteine bei B&R entwickelt haben, nennen wir modular application technology, kurz mapp.\“

Flexible Maschinen und Anlagen mit Scalability+

Die durchgängige Wiederverwendung von SPS- und Antriebscode ist bei B&R bereits seit vielen Jahren ein wesentliches Merkmal des Systems. Heute ist diese Fähigkeit ein wesentlicher Bestandteil von Scalability+, der B&R-Strategie für flexiblen Maschinen- und Anlagenbau. \“Durch die seit Jahrzehnten bei B&R praktizierte konsequente Hardware-Abstraktion ist es mit unserem Lösungsbaukasten möglich, eine einmal entwickelte Lösung unabhängig von der verwendeten Steuerung, ja selbst unabhängig von der verwendeten Antriebstechnologie wiederzuverwenden. Das ist am Markt einzigartig und spart enorm an Entwicklungszeit\“, erläutert Sandhöfner. \“Das genau drückt Scalability+ u.a. aus: Code, der einmal geschrieben wurde, kann in vielen möglichen Varianten wiederverwendet werden. Egal für welche Hardware oder Antriebstechnologie, egal für welchen Steuerungstyp kann der Code einfach wiederverwendet werden. Auch unterschiedliche Steuerungsarchitekturen, ob zentral oder dezentral lassen sich mittels Scalability+ auf einer Codebasis realisieren. Diese Durchgängigkeit und Unabhängigkeit des Codes von der Hardware ist das Kernprinzip von Scalability+.\“ Der zweite wesentliche Faktor bei der Reduzierung der Engineeringzeiten ist \’mapp\‘. \“Mit mapp stellen wir unseren Anwendern Basis-Funktionen zur Verfügung, die jeder in seiner Anwendung braucht. Diese Basisfunktionen sind häufig zeitraubend zu implementieren, dienen jedoch leider nicht dazu, sich als Maschinenbauer einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen\“, erklärt Markus Sandhöfner dazu. Mit mapp stehen über 70 Funktionen zur Verfügung, die dem Anwender viele dieser Basisaufgaben abnehmen. Die eingesparte Entwicklungszeit bringt ihnen den Freiraum für die Entwicklung von neuen Alleinstellunggsmerkmalen, um im wachsenden Wettbewerb zu bestehen. B&R geht jetzt allerdings noch einen Schritt weiter, erklärt Sandhöfner: \“Im Automation Studio haben wir die Möglichkeit, umfangreiche Varianten aus einem einzigen Projekt abzubilden. Das heißt, nur ein einziges Projekt muss gepflegt werden und es können dahin unzählige Varianten von Maschinen inklusive Sicherheitstechnik abgebildet werden.\“

Vernetzung der Fertigung

Neben der Flexibilisierung der Maschinen unter Industrie 4.0 spielt Ihre Vernetzung und Verkettung im Fertigungsumfeld der \’smart factory\‘ eine bedeutende Rolle. Dort stellt B&R mit der Automatisierungsplattform Aprol ein Tool für die Fabrikautomatisierung bereit, das sich sehr einfach an bestehende Maschinen ankoppeln lässt. Das Tool lässt sich vielfältig einsetzen: Eine Grundfunktion von Aprol ist die einfache Erfassung von Maschinendaten und die anschließende Nutzung der Daten. Die Daten könnnen beispielsweise für Energiemonitoring oder für intelligente Wartungsprozesse verwendet werden. Markus Sandhöfner erläutert die Funktion von Aprol folgendermaßen: \“Aprol ist die B&R-Software, um Daten zu erfassen, zusammenzuführen und zu vernetzen. Es bietet mächtige Funktionen, diese Daten auszuwerten und Aktivitäten daraus abzuleiten. Es beinhaltet eine sehr gute und übersichtliche Darstellung von produktionswichtigen Informationen einer Fertigung. So können beispielsweise Energieverbräuche ermittelt und sehr einfach mithilfe vorgefertigter Bausteine über intelligente Berichte und Diagramme dargestellt werden.\“ Dabei greift die Automatisierungsplattform für den Maschinenbau von B&R mit der intelligenten Fabrikautomatisierungslösung für Produzenten nahtlos ineinander. Neben der Ermittlung von Energieverbräuchen und intelligenten Wartungsintervallen realisiert Aprol die Vernetzung der gesamten Produktion. Sandhöfner dazu: \“Das Ziel ist es, Konfigurations- oder Rezeptdaten von den zu fertigenden Produkten in einer einheitlichen Form zu konzentrieren. Anschließend wird dann beispielsweise in der Materialaufbereitung geschaut, dass das richtige Material mit dem passenden Auftrag zu der richtigen Maschine kommt. Die Parameter werden dort automatisch eingestellt und die Entnahme und das Handling der Teile wird konfiguriert. Langwierige Rüstzeiten werden eliminiert. Dazu wird der Prozess quasi auf Knopfdruck umgestellt, was dann Losgröße 1 sehr einfach möglich macht. Aprol hilft, die Daten zu konzentrieren, zu sammeln, auszuwerten, sichtbar zu machen und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise können so Maschinen gezielt zu Spitzenlastzeiten abgeschaltet werden, um Energiekosten zu reduzieren. Die Optimierung von Wartungsplänen und die Optimierung von Produktionsabläufen sind ebenso möglich.\“

Fazit

Was verändert sich also bei B&R durch Industrie 4.0? Markus Sandhöfner sieht die Sache wie folgt: \“Ich werde oft gefragt, was wir bei B&R unter Industrie 4.0 verstehen. Ich verstehe darunter, dass wir unsere Kunden fit machen, individualisierte Produkte herstellen zu können, und zwar mit möglichst geringem Aufwand. Wir beraten unsere Kunden, wie ein Konzept für die Software- oder Maschinenmodularisierung umgesetzt werden kann, um eine Individualisierung der Fertigung zu erreichen und dabei gleichzeitig den vermehrten Aufwand für Software zu begrenzen. Ich würde sagen, darin sind wir Spezialisten. Auf der Basis unserer durchgängigen Hardware, gepaart mit unseren innovativen und effizienten Methoden zur Programmerstellung (Stichwort mapp und Wiederverwertung), ergänzt durch unsere langjährige Projekterfahrung, erstellen wir gemeinsam mit dem Kunden die Grundlage einer modularen und flexiblen Maschine oder Anlage. Dabei verbinden wir das Automatisierungs-Know-how auf der B&R-Seite mit dem Prozess-Know-how auf der Kunden-Seite und kommen gemeinsam zu einer optimalen Lösung. (kbn)

B&R Industrie-Elektronik GmbH
http://www.br-automation.com

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