Das Werturteil \’revolutionär\‘ lässt sich eigentlich erst im Rückblick verleihen, gerade wenn es um technische Revolutionen geht. Ob sich also eine vierte industrielle Revolution herbeireden lässt und was ihre Merkmale gewesen sein werden, sei dahingestellt. Worin sich aber alle Kommentatoren einig sind: Die effizientere Produktion der Zukunft verlangt eine deutlich intelligentere Automatisierung, um selbststeuernde Prozesse zu ermöglichen. Innerhalb eines Produktionsablaufs sollen beispielsweise einzelne Stationen flexibel auf Varianten von Produkten reagieren. Produkte steuern praktisch ihre eigene Fertigung – etwa, indem sie über RFID oder Matrixcodes Anweisungen für die Fertigungsanlagen tragen. Maschinen sollen adaptiv ihre nächste Aufgabe erkennen und ausführen, anstatt wie heute bei einem Rüstwechsel für das nächste Los konfiguriert zu werden. Was bedeutet dies für die Entwicklung von Steuerungskonzepten und für die Automatisierung der nächsten Generation?
Es gibt einen Bereich der Automatisierung, der bereits in diese Richtung unterwegs ist: Service-Robotik. Im Gegensatz zu klassischen Industrierobotern sind diese autonomen Systeme, die sich variablen Umgebungsbedingungen selbstständig anpassen. Vier Eigenschaften moderner Errungenschaften der Service-Robotik können helfen, die industrielle Automation \’zu revolutionieren\‘:
- Mit einer großen Zahl an Sensoren und Aktoren werden Systeme zur adaptiven Bewältigung veränderlicher Aufgaben befähigt.
- Zur Bewältigung des damit verbundenen Rechenaufwands werden die funktionalen Einheiten aus Sensoren/Aktoren über lokale, verteilte Rechenknoten gesteuert.
- Analog zur dezentralisierten Rechenkapazität folgt die Software für die verteilten Systeme dem Ansatz Service-orientierter Architektur (SOA).
- Zukünftige Industrieanlagen bestehen aus modularen Einheiten, deren elektronische und mechatronische Komponenten über das \’Internet der Dinge\‘ miteinander zu Cyber-Physical Systems vernetzt werden.
Dezentrale Steuerung
Systeme, die zu einer adaptiven Interaktion fähig sein sollen, erfordern eine umfangreiche Sensorik, die Rückmeldungen über den Kontext gibt. Die Interaktion mit Produkten, anderen Maschinen und auch Menschen macht die Entwicklung von Produktionsanlagen extrem komplex. So komplex, dass sie mit bisherigen Herangehensweisen nicht mehr bewältigt werden kann – wirtschaftlich nicht, aber auch in Hinblick auf Echtzeitverhalten und Zuverlässigkeit nicht. Es kann, vereinfacht gesagt, nicht mehr funktionieren, über eine zentrale Rechnereinheit die erforderlichen Aktionen (Drehzahl, Dauer etc.) der einzelnen Motoren eines Greifarms errechnen zu lassen und die Motoren dann zentral anzusteuern. Künftig muss es reichen, dem Greifarm Zielkoordinaten oder andere \’höhere\‘ Befehle zu schicken, die dann von einer lokalen Steuerung umgesetzt werden. Service-Roboter reagieren direkt über lokale Rechnereinheiten an den Umgebungssensoren, womit z.B. dezentrale Sicherheitsfunktionen realisiert werden, die etwa autark Hinderniss-Kollisionen vermeiden können. Künftige Produktionsanlagen stellen sich auf dieser Basis auf Produktvarianten ein. Der Begriff der Cyber-Physical Systems (CPS) meint vernetzte Embedded-Systeme, die Serverdienste, Sensoren, Aktoren und verbindende Elektronik zu einem adaptiven Gesamtsystem verschmelzen. Diese Entwicklungen verlangen neue Ansätze in der Systemarchitektur.
Von SPS zu CPS
Die Entwicklungsnormen haben die Tendenz schon aufgenommen. Die IEC61499 – Nachfolgenorm der IEC61131 als Standard für die Programmierung von Steuerungen – löst die bisher übliche zyklische durch eine ereignisgesteuerte Programmbearbeitung ab. Durch IEC 61499 wird die zusammenhängende Programmierung verteilter Steuerungen ermöglicht. Es geht also von der Programmierung einzelner Steuerungen in Richtung einer Programmierung kompletter Systeme. Ähnlich wie bei sonstigen Cyber-Physical Systems werden es auch Anlagen der Industrie-4.0 aber erfordern, Embedded-Systeme nicht nur zu vernetzen, sondern auch dezentral zu organisieren. Die Intelligenz der Anwendung hat keinen zentralen Sitz mehr, von dem aus jeder Steuerungsknoten des Systems angesprochen wird. Die Intelligenz der Anwendung wird vielmehr über Knoten verteilt, die ihre Prozesskommunikation direkt untereinander führen. Ein verteiltes System meint hier auch die bis ins Äußerste gehende Verteilbarkeit von Software: Echtzeit-Intelligenz direkt auf Sensor-Aktor-Ebene. Dazu ist zweierlei nötig: Zum einen braucht es ein Hardwarekonzept, das die Einrichtung standardisierter Steuerungseinheiten mit Schnittstellen zu Sensoren und Aktoren sowie einem frei programmierbaren Prozessor und einem Kommunikationsmodul erlaubt. Zum anderen braucht es Methoden, um Anwendungen auf Basis einer verteilten Intelligenz zu entwickeln.
Service-Oriented-Architecture setzt sich durch
In der Service-Robotik setzen sich SOA-Frameworks (Service-Oriented Architecture) durch. Im Prinzip ist dies aber auch eine Lösung für die Anforderungen industrieller Cyber-Physical Systems. Mit ROS (Robot Operating System) hat sich in der Service-Robotik ein Open-Source-Projekt als Standard etabliert. Der Einsatz von Service-Robotern aber lässt sich nicht mehr auf militärische und medizinische Spezialeinsatzbereiche oder Forschungseinrichtungen beschränken, diese Systeme \’bewerben\‘ sich jetzt um Jobs in der Industrie. Mit ROS Industrial ist bereits ein Ableger für industrielle Anwendungen entstanden, der erfolgreich gegen ältere Standards wie DDS (Data Distribution Service) oder OPC-UA (OLE for Process Automation, Unified Architecture) antritt.