Construction Production Regulation (CPR): Noch eine Regulierung der Europäischen Union, die keiner kennt und keiner braucht. Ersteres stimmt – CPR ist immer noch weitgehend unbekannt. Das Zweite stimmt allerdings nicht: CPR reguliert den Brandschutz in Gebäuden, in denen sich Menschen aufhalten. Wenn ein Feuer ausbricht, sind die Personen in dem Gebäude bestimmt dankbar, wenn der Bauherr die CPR beachtet hat.
Das ist aber keineswegs sicher. Denn obwohl schon seit dem 1. Juli 2017 in Kraft, ist das EU-Gesetz bis heute nicht allen bekannt, die davon betroffen sind, und das sind nahezu alle Wirtschaftsbranchen. CPR ordnet diese Produkte in sieben unterschiedlichen Klassen ein, die sich in ihrem Brandverhalten unterscheiden.
„Uns war von Anfang an klar, dass das viele unserer Kunden betreffen würde“, erinnert sich Luigi Sterli. Der Manager für Innovation und Technologie bei Lapp Camuna Cavi in Italien warnt, die Umsetzung auf die lange Bank zu schieben. Doch viele ignorierten diese Warnungen und meinten, CPR betreffe sie nicht. Das sei ein Irrtum, wie sich jetzt herausstelle. In letzter Zeit sei die Zahl der Kunden, die bei Camuna Cavi nach CPR-klassifizierten Kabel fragten, deutlich gestiegen. Vor allem von Raffinerien oder aus der Chemieindustrie gebe es verstärkt Nachfrage.
Operation ohne Skalpell
Sterli hat schon zahlreiche Kunden und Projekte mit Bezug zu CPR betreut. Eine ungewöhnliche Anfrage kam aus der Medizin, nämlich vom Nationalen Zentrum für Onkologische Hadronen-Therapie in Pavia in Italien. Das CNAO betreibt ein kreisförmiges Synchrotron, das Atomkerne auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt, um mit ihnen Tumore im Gehirn zu zerstören, die man chirurgisch nur schwer entfernen kann. Beim Aufbau der komplexen Maschine erkannte die ausführende Firma, dass sie in dem Bunker, wo das Synchrotron steht, CPR-klassifizierte Rechnerkabel verwenden muss. Die Firma fragte bei Sterli an, ob er ein Produkt empfehlen könne, das die geforderten Eigenschaften der Datenübertragung erfülle und außerdem nach CPR geprüft sei.
Sterli empfahl die Unitronic RE-2Y(ST)Yv PiMF, eine niederfrequente Rechnerleitung mit verstärktem Außenmantel und statisch geschirmten Aderpaaren. Sie erfüllt die am Synchrotron notwendigen CPR-Anforderungen, darunter EN 50399 zur Bestimmung der Abgabe von Hitze und Rauch im Flammtest, oder IEC 60332-1-2, ein Test, der die Flammenausbreitung auf einem einfach isolierten Kabel prüft. Darüber hinaus besteht die Leitung weitere Tests nach IEC 60754-2 (Bestimmung der Gase, die in der Flamme entstehen) oder IEC 61034-2 (Bestimmung der Rauchdichte).
Hochmoderne Prüfstände für CPR-Tests
Im Sommer 2022 lieferte Lapp 1,6km der Unitronic-Leitung. Das Team von Camuna Cavi war gut vorbereitet, weil es sich schon länger mit CPR befasst und bereits eine breite Palette von CPR-klassifizierten Produkten anbietet. Die Anfrage aus Pavia, wie auch von zahlreichen anderen Kunden, konnte das Team daher schnell erfüllen. Dabei hilft, dass die Lapp-Tochter frühzeitig Prüfstände zu den oben genannten Normen aufgebaut hat. Weil das Thema Brandschutz immer wichtiger wird und die Anfragen zu CPR zunehmen, hat das Management entschieden, gleich eine ganze Halle auf dem Firmengelände zu einem hochmodernen Labor umzubauen und das alte Labor zu ersetzen.
Auf 300m2 Fläche stehen nun alle erforderlichen Testmöglichkeiten zur Verfügung, darunter eine 4m hohe Kammer, in der Kabel vertikal aufgehängt und einer Flamme ausgesetzt werden. Ein Lichtsensor misst die Dichte des Rauchgases. Das Labor führt auch Tests aus, die in CPR nicht gefordert sind, wie der Widerstand gegen Entflammen. Weil bei solchen Prüfungen toxische Gase und Rauch entstehen können, ist das Labor mit einem Aktivkohlefilter ausgestattet sowie mit einem Abgaswäscher.
Im Sommer 2023 wurde das neue Labor eingeweiht. Damit sei Lapp gut vorbereit auf die wachsende Nachfrage nach CPR-Produkten, verspricht Luigi Sterli. Er empfehle allen Kunden, die ein Projekt planten, sich zügig um das Thema CPR zu kümmern. „Gehen Sie nicht davon aus, das würde Sie nicht betreffen“, so Sterli. „Das Team von Lapp Camuna Cavi unterstützt gerne bei der Auswahl der geeigneten Produkte.“
Das Nationale Zentrum für Onkologische Hadronen-Therapie
Nur sechs Zentren gibt es weltweit, die eine Tumortherapie wie die Einrichtung in Pavia anbieten. Das Synchrotron beschleunigt Kohlenstoff-Ionen, das sind Atomkerne ohne Elektronenhülle, auf eine sehr hohe Geschwindigkeit, wodurch sie eine große Energie gewinnen. Im Synchrotron kreisen die Atomkerne so lange, bis sie schließlich zum Therapieplatz abgezweigt werden, wo der Patient auf einer Liege fixiert ist. Durch elektrische Felder werden die Atomkerne an den Ort des Tumors dirigiert, zum Beispiel im Inneren des Gehirns. Auf ihrem Flug durch das Gewebe werden die Atomkerne abgebremst, die meiste Energie verlieren sie aber erst auf den letzten Millimetern. Deshalb wird nur das Erbgut der Tumorzellen zerstört, während das gesunde Gewebe auf dem Weg dorthin unbeschädigt bleibt. Durch Variation der Energie der Atomkerne kann man die Eindringtiefe variieren, elektrische Felder lenken die Richtung des Strahls, wie früher in Röhrenfernsehern. So kann man jeden Punkt in einem dreidimensionalen Volumen genau ansteuern und den Tumor quasi von innen verbrennen.
