Die zur IFM-Unternehmensgruppe gehörende Virtual Retail hat Deep Learning für ein Werker-Assistenzsystem, das für die eigene Fertigung am Standort Tettnang entwickelt wurde, eingesetzt. Die Bildverarbeitung erkennt die Hände des Werkers und schaut ihm so quasi auf die Finger. Das Werker-Assistenzsystem Mate arbeitet mit einer Bildverarbeitung, die optische 2D- und 3D-Bilder des Arbeitsbereichs aufnimmt. Neben dem Videobild ermittelt das System also auch eine Abstandsinformation für jeden Bildpunkt. Kernstück des Systems ist die Handerkennung, die aus den Rohdaten der Kameras Hände innerhalb des Bildes identifiziert. Diese Aufgabe ist sehr anspruchsvoll: Eine Hand kann zur Faust geballt sein, mit der Handfläche nach oben oder nach unten gerichtet, die Finger alle oder einzeln ausgestreckt, abgewinkelt oder gespreizt – in allen Fällen muss das System die Hand sicher identifizieren erkennen können. Virtual Retail hat für diese Anwendung eine KI entwickelt. Das System wurde dazu solange mit Aufnahmen von Händen trainiert, bis die Ergebnisse die benötigte Genauigkeit hatten.
Die Erkennung funktioniert im Anschluss an die Trainingsphase sehr zuverlässig. Ob der Werker Rechts- oder Linkshänder ist, spielt für die Erkennung ebenso wenig eine Rolle wie die Haltung der Hand. Das Assistenzsystem, das als Komplettsystem inklusive Kameras, Monitor und Rechner erhältlich ist, kommt durch die Handerkennung ohne zusätzliche Hilfsmittel, wie VR-Brillen oder Tracker am Handgelenk, aus. Dadurch ist die Arbeit damit deutlich komfortabler als bei anderen Systemen, und die Akzeptanz bei den Werkern hoch. Das System überprüft, ob der Arbeitsablauf korrekt ausgeführt wird und zeigt Abweichungen auf dem Monitor an. Für die Einrichtung des Systems sind keine Fachkräfte oder IT-Spezialisten notwendig. Ein typisches Einsatzgebiet sind Handarbeitsplätze in der Verpackung, an denen etwa immer ein Sensor zusammen mit einem Kabel und einer Bedienungsanleitung in eine Kartonverpackung gepackt werden muss. Die Qualitätssicherung bei solchen manuellen Arbeitsschritten ist im Vergleich zu digitalisierten Prozessen bisher schwierig. Mit dem neuen Werker-Assistenzsystem gelingt dies sehr einfach.
Online Mode kaufen, die passt
Eine neue Anwendung seiner Technologie hat Virtual Retail für das Online Shopping entwickelt. Eines der größten Probleme des Online-Versandhandels ist eine hohe Retourenrate, und im Modebereich ist diese besonders hoch. Häufigster Grund: Die Hose, der Pullover oder die Jacke passen nicht und werden zurückgeschickt oder umgetauscht. Dies verursacht hohe Kosten nicht nur für den Versand, sondern die Ware muss zusätzlich beim Online-Händler überprüft, neu verpackt und im schlimmsten Fall sogar entsorgt werden. Neben den damit verbundenen Kosten ist die hohe Retourenrate natürlich auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten negativ zu bewerten.
Die von Virtual Retail entwickelte Lösung Sizeez schafft bei diesem Problem Abhilfe. Der Kunde kann beim Kauf im Online-Shop über einen personalisierten QR-Code die App Sizeez Body Measurement aktivieren. Diese fordert ihn auf, seinen ganzen Körper zu fotografieren – einmal von vorne, einmal von der Seite. Angaben zur Körpergröße und zum Geschlecht vervollständigen die notwendigen Informationen. Anhand dieser Fotos werden innerhalb von wenigen Sekunden die präzisen Körpermaße berechnet – wiederum auf Basis einer KI. Über die reine Körpervermessung hinaus, können die ermittelten Körpermaße mit den Größentabellen der Bekleidungshersteller verknüpft werden. Aus den gesamten Daten generiert Sizeez Größenempfehlungen, die eine hohe Passgenauigkeit gewährleisten. Die Folge: Die online gekauften Textilien passen besser, die Retourenrate nimmt ab und die Kosten sinken.
Training mit vorhandenen Daten
Auch Sizeez basiert auf einer KI. Zunächst erzeugt die Software aus den beiden Körperbildern Silhouetten. Die Originalbilder, auf denen die Kunden eventuell zu erkennen sind, werden anschließend aus Datenschutzgründen sofort gelöscht. Im nächsten Schritt ermittelt die KI aus den Silhouetten verschiedene Körpermaße. Grundlage dieser Maße sind die in der ISO 8559 definierten anthropometrischen Definitionen der Vermessung eines Körpers. Die App Size Recommendation vergleicht diese Daten mit den Größentabellen der Hersteller und gibt eine passende Größenempfehlung ab. Um das neuronale Netz zu trainieren hat Virtual Retail passende Rohdaten erworben. Darin sind Personen in den beiden oben beschriebenen Positionen fotografiert, und die exakten Körpermaße wurden zusätzlich mit einem 3D-Scanner aufgenommen. Nach dem Abschluss des Trainings kann die KI die geforderten Körpermaße mit einer sehr hohen Genauigkeit aus den Silhouetten ermitteln.
Anbindung direkt an den Online Shop
Um die Verwendung von Sizeez so einfach wie möglich zu gestalten und gleichzeitig den Datenschutz umfassend zu gewährleisten, wird die App direkt in den Online Shop eingebunden. Bei jedem Einkaufsvorgang wird ein kundenindividueller QR-Code erzeugt, über den die App aufgerufen und die Daten zur Cloud-basierten Anwendung hochgeladen werden. Die Cloud-Anwendung übermitteln die Körpermaße des Kunden wieder an den Online Shop. Die ermittelte Größenempfehlung steht dann in wenigen Augenblicken direkt in dem Einkaufsvorgang zur Verfügung. Das System erzeugt quasi einen digitalen Zwilling des Kunden, der die Anprobe im stationären Modehandel ersetzen kann. Virtual Retail arbeitet bereits an weiteren Anwendungsfeldern, etwa dem Online Shopping von Fahrrädern – natürlich in der passenden Größe.