Als treibende Kraft dieses Umbruchs erweist sich das subventionsorientierte Marktmodell der europäischen Regierungen. Ansätze wie das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) zielen darauf ab, die konventionelle Energiegewinnung schrittweise durch erneuerbare Energiequellen zu ersetzen. Neben positiven Effekten wie der zunehmenden Unabhängigkeit von importiertem Erdöl, -gas und Kohle werden jedoch neue technische Herausforderungen geschaffen. Beispielsweise erhöht sich der Aufwand zur Sicherstellung eines stabilen Netzbetriebs, um die gewonnene Energie zuverlässig sowie mit hoher Qualität zu den Verbrauchern zu transportieren. Aus Sicht des Netzbetreibers muss im Netz ein Leistungsgleichgewicht zwischen Erzeugern und Verbrauchern hergestellt werden. Ansonsten steigt oder fällt die Netzfrequenz, was zu Schäden an den angeschlossenen Netzteilnehmern führen kann. Darüber hinaus hat die Spannung in einem definierten Toleranzband zu liegen. Ist dies nicht der Fall, könnten der komplette Leistungstransport oder die Netzteilnehmer nicht mehr bestimmungsgemäß funktionieren. Deshalb erweist es sich als wichtig, entsprechend der Verbraucher- und Erzeugerstruktur des jeweiligen Netzes induktive oder kapazitive Blindleistung zur Verfügung zu stellen, damit das Spannungsniveau gehalten wird.
Statistische Fehler ausregeln
Die meisten Energieerzeugungsanlagen, die elektrischen Strom aus erneuerbaren Ressourcen gewinnen, speisen diesen in das Mittel- oder Niederspannungsnetz ein. Eine Ausnahme bilden große Windparks, die durchaus auf Höchstspannungsebene arbeiten. Windenergie- und auch Photovoltaikanlagen hängen von der fluktuierenden Leistung des Windes respektive der Sonneneinstrahlung ab, weshalb die eingespeiste Leistung kaum vorhersagbar ist. Hinzu kommt, dass der aus erneuerbaren Energien gewonnene Strom aufgrund gesetzlicher Bestimmungen vorrangig in das Netz eingespeist werden muss. Der Netzbetreiber hat den Einsatz der konventionellen Energieerzeugungsanlagen also so zu planen, dass sich ein Leistungsgleichgewicht einstellt. Dabei kann er lediglich auf statistische Daten der zu erwartenden Stromproduktion aus Wind- und Sonnenenergie zurückgreifen. Diese sind naturgemäß mit einem gewissen Fehler behaftet, den die Netzbetriebsführung ausregeln muss. Zu beachten ist außerdem, dass die Windenergie- und Photovoltaikanlagen oftmals Umrichter-gebunden in das Netz liefern und deshalb mechanisch vom Netz entkoppelt sind. Sie tragen somit nicht zum Selbstregeleffekt des Netzes bei, sondern verstärken die Frequenzregel-Problematik. Auf der anderen Seite eröffnen Umrichter die Möglichkeit, mit hohem Freiheitsgrad netzstützend zu wirken, wenn ihre Frequenz respektive Blindleistung entsprechend eingestellt wird. Das gelingt jedoch nur, sofern die expliziten Anforderungen an das Umrichterverhalten in den relevanten Normen verankert sind.
Energieerzeugungsanlagen müssen über Eigenintelligenz verfügen
Vor dem Hintergrund der vorhergehenden Erläuterungen steht die Betriebsführung eines Stromnetzes im modernen Energiemix vor einigen Herausforderungen. Die Netze müssen daher immer intelligenter werden. Über die Kommunikationsschnittstellen sollen die Erzeugungsanlagen umfassende Informationen hinsichtlich ihres aktuellen Status an die Netzbetriebsführung übermittelt. Umgekehrt empfangen sie Sollwerte vom Netzbetreiber. Als wesentliche Normen seien hier die IEC61850 und die IEC60870-104 genannt. Sie sind insbesondere für Energieerzeugungsanlagen interessant, die in das Mittelspannungsnetz einspeisen. Zusätzlich zu den beschriebenen Anforderungen wird von den Anlagen eine gewisse Eigenintelligenz zur Stützung des Netzes verlangt, die ein bestimmtes Verhalten vorschreibt. Das gilt besonders für Anlagen, welche in das stärker verzweigte Niederspannungsnetz liefern und damit eine Leistung von maximal einem Megawatt haben. Im Niederspannungsnetz lassen sich Leistungsflussbilanzen schwerer als im Mittelspannungsnetz erstellen. Dies liegt neben der starken Verzweigung darin begründet, weil die Zahl der Erzeuger und Verbraucher erheblich größer ist. Deshalb erweist es sich als wichtig, dass grundsätzliche Anforderungen an die Drehstrom-Einspeisung von Umrichter-basierten Erzeugungsanlagen gestellt werden. Mit der VDE-AR-N 4105:2011-08 steht seit dem 01. August 2011 eine entsprechende Richtlinie zur Verfügung, die Planungs- und Handlungssicherheit bietet sowie die eingangs aufgelisteten Maßnahmen normativ bündelt und ein genau definiertes Anlagenverhalten bewirkt.
NA-Schutz stellt kurze Reaktionszeit auf Netzfehler sicher
Die Richtlinie VDE-AR-N 4105:2011-08 ist darüber hinaus Bestandteil der technischen Anschlussbedingungen der Netzbetreiber (TAB), die gesetzlich verpflichtend einzuhalten sind. Vor diesem Hintergrund ist die VDE-AR-N 4105 selbst ebenfalls rechtlich für alle Energieerzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz bindend. Die Richtlinie legt unter anderem eine gezielte Blindleistungsabgabe der Anlagen fest und zwingt sie, die Wirkleistungsabgabe ab einer Frequenz von 50,2Hz zu reduzieren, um die Netzstabilität zu unterstützen. Darüber hinaus sieht die VDE-AR-N 4105 den Einsatz eines typgeprüften Netz- und Anlagenschutzes (NA-Schutz) für Energieerzeugungsanlagen im Parallelbetrieb mit Konformitätsnachweis vor. Der NA-Schutz darf nur dann zulassen, dass die Energieerzeugungsanlage am Netz verbleibt, wenn sich sowohl Spannung als auch Frequenz in einem definierten Toleranzband befinden. Dabei hat er sicherzustellen, dass die Reaktionszeit auf Netzfehler – vom Auftreten des Fehlers über die Messung bis zur galvanischen Trennung der Energieerzeugungsanlage vom Netz durch den Kuppelschalter – weniger als 200ms beträgt. Beim NA-Schutz handelt es sich somit um ein intelligentes Sicherheitsrelais, das die Netzfrequenz und Spannung erfasst, auswertet und im Fall eines Fehlers eine Netztrennung durch den Kuppelschalter vornimmt. Allerdings werden einige spezielle Anforderungen an den NA-Schutz gestellt, die neben dem einzuhaltenden Toleranzband für Spannung und Frequenz zu berücksichtigen sind.