Interview mit Norbert Schwabbauer, KEB

„Kompletter Baukasten an Safety-Funktionen“

Das Unternehmen KEB hat seine Wurzeln in der Antriebselektronik, Getriebe- und Bremsentechnik. Heute präsentiert es sich als Anbieter moderner Antriebs- und Automatisierungstechnik auf dem Markt. Ergänzt wurde das Portfolio um leistungsfähige Safety-Lösungen. Das SPS-MAGAZIN hat bei Norbert Schwabbauer, Leiter Vertrieb und Marketing bei KEB, nachgefragt, welchen Stellenwert moderne Sicherheitstechnik im Markt sowie im Angebot des Unternehmens hat.

Herr Schwabbauer, KEB hat eine komplett neue Steuerungsgeneration mit integrierter Sicherheit vorgestellt. Trotzdem ist das Thema Safety an sich nichts Neues für Sie, oder?

Norbert Schwabbauer: Nein, wir haben schon vor einigen Jahren begonnen, funktionale Sicherheit in die Antriebssteller aufzunehmen – angefangen bei der Drive-Funktion STO, die ja mittlerweile Standard ist. Um möglichst breite Lösungen möglich zu machen, waren wir hier von Anfang an auf PLe bzw. SIL3 fokussiert. Doch auch steuerungsseitig sind die Safety-Anforderungen gestiegen und deshalb mussten wir uns die Frage stellen: Wie können wir den nötigen Invest und Know-how-Aufbau für eine Sicherheits-SPS stemmen? Die Antwort lag in der Zusammenarbeit mit drei weiteren Mittelständlern, mit denen wir die Entwicklungsgesellschaft BYKK ins Leben gerufen haben. Das war für uns quasi die Keimzelle für Safety in der Steuerungsebene. Daraus hervorgegangen sind unsere Lösungen der Codesys-Safety-basierenden Safety PLC und Safety I/Os, die unser Automatisierungsangebot mit integrierter Sicherheitstechnik komplettieren.

Und diese Lösung bieten jetzt alle Partner aus der Entwicklungskooperation an?

Schwabbauer: Die Hardware, deren Grundfunktionalität sowie die Integration über FSoE steht allen Entwicklungspartnern zur Verfügung. Als Alleinstellungsmerkmal haben wir diese Basis aber vollständig in die KEB-Automatisierungswelt und unser eigenes Engineering Tool eingebunden – und damit zu einem ganzheitlichen Safety-Paket gemacht.

Wie Sie bereits erwähnt haben, ist STO antriebsseitig ja zum Standard-Feature geworden. Welches Funktionsspektrum decken Sie mit Ihrer neuen Safety-Lösung ab?

Schwabbauer: Wir bieten im Rahmen eines zweistu- figen Konzepts einen kompletten Baukasten an Si- cherheitsfunktionen an. Das erste Level ist auf Wirtschaftlichkeit ausgelegt und fokussiert STO für eine Vielzahl von Anwendungen nebst der Funktion Safe Brake Control, kurz SBC. Die zweite Stufe deckt nahezu die komplette Breite heute verfügbarer Sicherheitsfunktionen ab, die allesamt in unserem Tool im Safety-Editor konfiguriert werden.

Das sich aktuell in der Zertifizierung befindet. Welcher Softwareaufwand steckt denn für KEB in einer solchen Anstrengung?

Schwabbauer: Codesys Safety liefert uns eine gute Grundlage. Darauf aufbauend haben wir die Implementierung der zusätzlichen Tools dann in unser Combivis Studio 6 als das zentrale Softwareentwicklungswerkzeug der KEB Automatisierung integriert. Generell wird heute von einem Automatisierer eine hohe Softwarekompetenz erwartet. Dies fordert die Unternehmen zu einem Wandel in den Anforderungs- und Tätigkeitsprofilen – vom Konstrukteur zum Softwareentwickler – beim anwendenden Kunden als auch KEB-intern. Die Effizienz der Entwicklungsumgebung wird zum Unterscheidungsmerkmal.

Ein großer Funktionsumfang der Software ist nur die eine Seite der Medaille. Die Tools müssen auch für den Anwender beherrschbar bleiben. Wie schafft man diesen Spagat?

Schwabbauer: Abgeleitet vom Smartphone erwarten Anwender heute, dass Lösungen stark vereinfacht und komfortabel vorbereitet sind. Das ist auch in der Industrie ein Thema, das uns schon länger begleitet. Dem zu entsprechen ist die erste Aufgabe der Software- und Oberflächenentwicklung. Die Arbeitsumgebung stellt smarte Mechanismen bzw. Schnittstellen bereit, die eine vereinfachte Anwendung sicherstellen und damit die dahinter stehende Komplexität einer breiten Nutzung zuführt. Bei KEB haben wir besonders die Systembildung mit den Antrieben optimiert und dafür verschiedenste Wizard-Funktionen in unserer Systemsoftware entwickelt. Voreinstellungen und Anpassungen können so zu einem hohen Teil extrem vereinfacht vorgenommen werden. Die Systeminbetriebnahme von Steuerung und Drive benötigt wenige Minuten. Komplexe Algorithmen und Logikfunktionen sind in diversen Funktionsbausteinen angeordnet, die Anwendungsprogrammierung extrem vereinfachen. Und hier binden wir auch unsere neuen Sicherheitslösungen über die Safety PLC ein.

Welche besonderen Möglichkeiten geben Sie dem Anwender mit dem System noch an die Hand?

Schwabbauer: Safety PLC und Safety IO sind Teil eines skalier- baren und leistungsfähigen Automatisierungskonzeptes, dessen Kern die vor kurzem eingeführte C6 Smart darstellt. Als leistungsfähige Einstiegslösung deckt sie bereits weite Anwendungsbereiche ab. Zusammen mit der Safety PLC bildet sie ein integriertes Automatisierungs-Gesamtpaket für die Hutschiene. Als Kopfstation agiert der C6 Smart-Controller, das Rückgrat bildet die Kommunikation über Ethercat und das dazugehörige I/O-System wird kontinuierlich ausgebaut. In Summe haben wir einen Umfang geschaffen, mit der C6 Smart und der Safety PLC auch die Sicherheitsebene einer Applikation integriert zu bedienen.

Wieso haben Sie sich kommunikationsseitig für FSoE entschieden?

Schwabbauer: Unserer Entscheidung liegt eine Bewertung aus verschiedenen Richtungen zugrunde, die KEB auch bereits abseits der Sicherheit zu Ethercat geführt hat. Hier sehen wir aus dem Blickwinkel von Antriebs-Performance und Echtzeitkommunikation die besten Möglichkeiten. Entsprechend war jetzt die Brücke zu FSoE schnell geschlossen. Zu den technischen Aspekten kommt die Akzeptanz und die große Bandbreite an Produkten und Lösungen im Markt hinzu. Mit der Wahl von Ethercat und FSoE hat der Anwender also immer die Möglichkeit, Produkte von verschiedenen Herstellern in einem System zusammenzubringen. Er ist nicht von einem einzelnen Lieferanten abhängig.

Wie sieht es mit der Anbindung zu anderen Kommunikationsstandards aus?

Schwabbauer: Natürlich müssen wir berücksichtigen, dass es im Markt eine große Anwendungsdurchdringung von Steuerungen mit Profinet gibt. Insofern gilt es auch für uns aus Komponentensicht sich mit der Siemens-Welt zu befassen. In der Vergangenheit waren wir, was die Schnittstellen der Drives angeht, sehr breit aufgestellt. Das bedeutete einen komplexen Aufwand, den wir in den neuen Produkten vorrangig auf die Ethernet-basierenden Bereiche ausrichten.

Wie lässt sich dieses Dilemma lösen?

Schwabbauer: In unserer Antriebsgeneration 6 sind im Einstieg Ethercat und CAN onboard implementiert. Wir bleiben aber dennoch flexibel aufgestellt: Denn es ist uns gelungen, die ehemals in Hardware realisierte Modularität zunehmend flexibel in der Software abzubilden. So können wir mit unserer neuen Lösung des Multi-Realtime-Ethernet-Interfaces in S6 und F6 per Softwareschalter von Ethercat auf Profinet und bald in einer dritten Stufe auch auf Powerlink umschalten. Ethernet IP steht in einem weiteren Entwicklungsschritt an.

In wie weit ist die Integration der Sicherheitstechnik heute ausschlaggebend, um Applikationen mit Automatisierungs- und Antriebstechnik zu bedienen?

Schwabbauer: Allem voran steht eine grundsätzliche Frage: Wo findet Sicherheit statt? Die Integration der Safety ermöglicht es dem Anwender, funktionale und sicherheitsgerichtete Automatisierung in einem System, in einer Kommunikationsstruktur und einer Entwicklungsumgebung zu lösen. Das bietet deutliche Einsparpotentiale – nicht nur bei der Auswahl von Hardware, sondern vor allen Dingen im Engineering. Dieser Trend ist stetig steigend und stößt auch in den von KEB fokussierten Anwendungsbereichen bei vielen Kunden auf großes Interesse.

Gibt es spezielle Anwendungen und Branchen, die Sie mit dem neuen Sicherheitsportfolio ansprechen?

Schwabbauer: Primär sehen wir unsere wachsende Safety-Kompetenz nicht als Schlüssel, um komplett neue Geschäftsbereiche aufzubauen. Stattdessen wollen wir in den Märkten zusätzlichen Mehrwert bieten, in denen wir auch bisher erfolgreich sind. Unsere Schwerpunkte liegen hier traditionell in Maschinenbausegmenten wie dem Kunststoff-Spritzgießen oder der Extrusion sowie in der Verarbeitung entsprechender Teile. Klassische Anwendungsfelder sind auch das Thema Holzbe- und -verarbeitung, der Bereich Food & Packaging oder Krane, Fördertechnik und Logistik. In anderen KEB-Absatzmärkten, wie Lifte und Rolltreppen, werden mit dem STO-Standard heute die Grundbedürfnisse bereits bedient. Wie weit dort die Safety-Anforderungen steigen, bleibt abzuwarten.

Ethercat ist als Kommunikationssystem längst nicht mehr auf die klassischen Anwendungen in der Fabrik beschränkt. Bietet Ihr Safety-Konzept nicht doch vielleicht die Möglichkeit mit FSoE an der ein oder anderen Stelle über den Tellerrand hinaus zu blicken?

Schwabbauer: Hierzu machen wir uns sicherlich Gedanken. Aber die stehen noch am Anfang und es wäre falsch, sie schon zu konkretisieren. Da sind wir sehr pragmatisch. Mit dem Einsatz und der Zertifizierung von FSoE haben wir eine Stufe erreicht, die es jetzt erst einmal dauerhaft zu belegen gilt. Zudem müssen wir für die technologische Kompetenz als Mittelständler auch die passenden Strukturen schaffen – auch in der Schnittstelle zum Kunden. Wir konzentrieren uns darauf, unsere Safety-Lösung in eine breite praktische Anwendung zu bringen. Dann erst werden wir mit der Sicherheitstechnik neue Bereiche angehen.

Wie weit sind Sie denn auf Ihrer Safety Roadmap? Welche weiteren Schritte sollen im Anschluss an Safety PLC und Safety IO denn noch folgen?

Schwabbauer: Wir haben unser Ziel sicherlich noch nicht erreicht, sondern vielmehr eine Teilstrecke hinter uns. Es gibt bereits weitere Projekte im Bereich der geberlosen Sicherheit, an denen wir konkret arbeiten. Auf der Basis der konzipierten Modularisierung wollen wir bestehende Lösungen ausbauen und deren Anwendung weiter vereinfachen. Generell gilt es die Wirtschaftlichkeit sowohl auf der Antriebs- als auch auf der Steuerungsseite stetig zu verbessern. Safety-Funktionen werden immer tiefer in unseren Systembaukasten integriert und damit Lösungsansätze ganzheitlich in Funktion mit Sicherheit gebildet.

Der Wandel vom Komponentenhersteller zum Lösungsanbieter ist schnell formuliert.

Schwabbauer: Diesen Weg aktiv zu beschreiten stellt uns als mittelständisches Unternehmen vor neue Herausforderungen. Wir haben dies aus eigener Kraft angegangen und sind uns sicher: Es lohnt sich und unsere Kunden profitieren davon.

Danke für das Gespräch, Herr Schwabbauer.

SPS-MAGAZIN 9/2017: Aktiv gestalten im Team (Teil 1)

SPS-MAGAZIN 10/2017: Automatisieren mit integrierter Sicherheit (Teil 2)

SPS-MAGAZIN 11/2017: Strategisches Interview: Safety im KEB-Portfolio (Teil 3)

KEB Automation KG

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