Phoenix Contact startet offenen Software-Store und erweitert so das Ecosystem PLCnext Technology

„Wir haben geöffnet“

Vor gut zwei Jahren hat Phoenix Contact seine neue Steuerungsplattform PLCnext vorgestellt (wir berichteten). Zusätzlich zu den klassischen SPS-Fähigkeiten bringt das System eine offene Anwendungsarchitektur mit, die Anwendern neue Lösungsdesigns eröffnet. In der Zwischenzeit wurde die Plattform stetig weiterentwickelt und komplettiert. Zur diesjährigen SPS IPC Drives zündet das Unternehmen die nächste Stufe. Wie sich PLCnext seit seiner Vorstellung 2016 entwickelt hat und was Phoenix Contact in diesem Jahr auf der Messe zeigen wird, darüber sprachen wir mit Hans-Jürgen Koch und Ulrich Leidecker, beide Member of the Board der Business Area Industriemanagement und Automation (IMA) bei Phoenix Contact.

Schon im Namen PLCnext wird eines deutlich: Einen harten Bruch zur bisherigen Steuerungswelt will die PLCnext nicht bringen. Trotzdem ermöglicht sie Anwendern eine völlig neue Herangehensweise an Automatisierungsprojekte, weil sie zum einen die Nutzung von diversen modernen Hoch- und Scriptsprachen im Echtzeitteil erlaubt und zudem über einen offenen Nicht-Echtzeitteil verfügt, der dem Anwender die Nutzung beliebiger Software ermöglicht. Das macht auch Hans-Jürgen Koch deutlich. „Zunächst einmal ist eine PLCnext-Steuerung eine ganz normale SPS, wie man sie seit vielen Jahren kennt“, erläutert er. „Der Anwender bekommt hier alles, was er aus seiner klassischen SPS-Umgebung kennt: Eine deterministische, zyklusorientierte Runtime mit einer IEC61131-Programmierumgebung inklusive umfangreicher integrierter Safety-Funktionalitäten und dem Zugriff auf eines der umfangreichsten E/A-Systeme am Markt; das alles natürlich in einer modernen Art und Weise. Aber wenn der Anwender will, dann kann PLCnext für ihn viel mehr. Er hat damit ein mächtiges Werkzeug für seine Automatisierungsapplikationen an der Hand und kann auf einer Plattform aufbauen, die viele neue Möglichkeiten bietet“, so Koch weiter.

Was PLCnext kann

Aber was ist es nun, was PLCnext ausmacht? Ulrich Leidecker beschreibt das in Kurzform so: „Die Uhren bleiben auch in der Automatisierungstechnik nicht stehen. Was Automatisierungsanwender heute brauchen, ist nicht vor allem ein immer variantenreicheres Hardwareangebot, sondern eine industrietaugliche Plattform, die von der Architektur her so gebaut ist, dass sie eine offene, sicher geschützte, moderne und vor allem zukunftsorientierte Basis bietet, die ihn für viele kommende Jahre begleitet. Das sind die Überlegungen, die uns bei der Entwicklung von PLCnext angetrieben haben.“ Wie oben bereits erwähnt, stellt Phoenix Contact auf der neuen Steuerung einen Realtime- und einen Non-Realtime-Bereich zur Verfügung. In beiden Bereichen haben Anwender hohe Freiheitsgrade, was dazu führt, dass insbesondere bei den Anwendungen, die in der Vergangenheit einen zusätzlichen PC benötigten, dieser evtl. eingespart werden kann. Zudem wurde bei der Entwicklung auf ein hohes Maß an Sicherheit geachtet.

Security by Design

Die Anforderungen, die Phoenix Contact an die Sicherheit seines Systems stellt, sind hoch: Das spiegelt sich in der Software ebenso wider wie in der Hardware und in der gesamten Entwicklung des Systems. Koch erläutert dazu: „Das Thema Security wurde bereits beim Hardwaredesign berücksichtigt und zieht sich bis zum Endanwender. Wir sind jedoch noch einen Schritt weiter gegangen und haben mit der Security-Entwicklung bei den internen Prozessen und Abläufen in der Entwicklungsabteilung begonnen. Der Entwicklungsprozess wurde dafür nach der IEC-Norm 62443 zertifiziert.“ Diese Eigenschaften der sicheren Hardware von PLCnext sind übrigens auch der Grund dafür, dass das System nicht als Upgrade für die früheren RFC-Steuerungen von Phoenix Contact angeboten wird, erläutert Leidecker: „Möglich wäre es theoretisch schon, die PLCnext-Runtime auf einem älteren RFC laufen zu lassen. Allerdings haben wir mit der neuen Software auch einen wesentlichen Claim im Bereich der Sicherheit implementiert, angefangen mit einem TPM-Modul usw. Diese Dinge sind jedoch nicht Bestandteil der alten Hardware und deshalb wird PLCnext darauf nicht angeboten.“

Neue Hardware

Mit PLCnext vereinfacht Phoenix Contact auch die Übersicht über die verfügbaren Controller. Bisher ist bereits ein Axioline-Controller AXC F 2152 verfügbar, der auf einem ARM9-Dual-Core-Chip basiert und mit 800MHz getaktet ist. Auch hier hat Koch Neuigkeiten zu berichten: „Ende diesen Jahres wird es für PLCnext im Gehäuse unserer bekannten RFC-SPS eine neue Hochleistungs-CPU auf Basis eines Intel i5-Prozessors geben inklusive integrierter Safety-Funktion. Mit dem neuen RFC haben wir unseren gesamten klassischen Funktionsumfang nun allumfassend in PLCnext implementiert inklusive Safety. Bisher hatte dieser Bereich noch gefehlt.“ Auch die Axioline-Steuerung wird um eine leistungsfähige X86-Hardware ergänzt, die Anfang nächsten Jahres vorgestellt wird. Leidecker erläutert: „Mit diesen bisher drei Hardwareplattformen – eventuell wird es noch eine vierte Variante geben – können wir alle Anforderungen des Marktes abdecken. Die unzähligen Varianten der Vergangenheit wird es mit den Plattformen für PLCnext nicht geben. Die Differenzierung in drei bzw. vier Leistungsklassen reicht aus, um sowohl von der Leistung her als auch aus Kostengesichtspunkten in jeder Applikation die optimale Basis zu liefern.“

Umstellung bisheriger Projekte auf die neue Plattform

Schon seit vielen Jahren hat Phoenix Contact eine Steuerungsplattform unter dem Namen PC Worx im Programm. „Wer bisher schon diese Plattform verwendete, wird in PLCnext viele Dinge wiedererkennen“, erklärt Koch. Zwar ist die Portierung von bisherigen Projekten nicht direkt möglich, aber „die Übertragung von PC-Worx-Projekten auf PLCnext ist mit überschaubarem Aufwand umsetzbar, da ältere Projekte auf Standard-IEC61131-Sprachen basieren.“ Eine Aufrüstung alter Hardware auf PLCnext ist – wie bereits erläutert – aus Gründen der Security-Anforderungen nicht möglich.

Einfach in die Cloud

Zu jeder PLCnext-Steuerung gehört ein Zugang zur Proficloud von Phoenix Contact. „Ziel war es, auch hier die Verbindung in die Cloud für unsere PLCnext-Anwender so einfach wie möglich zu machen, ganz nach dem Motto: ‚auspacken – anschließen -läuft!“, erläutert Koch. „In der Proficloud wird der Anwender auf einfache Weise erste Auswertungen mit seinen Steuerungsdaten machen können. Aber auch einzelne Zusatzfunktionen wird er aus der Proficloud auf seine Steuerung laden können. Zudem sind hier die Gerätedaten mit zusätzlichen Dokumenten angereichert wie beispielsweise Firmwarestand, Bedienungsanleitung usw.“ Die Proficloud ist übrigens offen für Cloud-To-Cloud-Verbindungen, sodass die Daten aus der Steuerung zusätzlich mit den Meta-Daten auch in anderen Cloudplattformen genutzt werden können. „Die Proficloud ebnet allen PLCnext-Anwendern einen sehr einfachen Weg in Cloudanwendungen“, sagt auch Leidecker. „Allerdings ist sie zur Nutzung der offenen Architektur von PLCnext nicht zwingend erforderlich. Erstens funktioniert die Offenheit und Hochsprachenfähigkeit der Plattform völlig unabhängig von der Cloud. Zweitens können Anwender auch andere Cloudanbieter nutzen. Dafür müssen sie lediglich die Steuerung mit dem entsprechenden Service verbinden, was mit den Hochsprachentools einfach möglich ist.“

Early-Adopters-Programm

Erstmals hat Phoenix Contact ein Produkt mit einem Early-Adopters-Programm eingeführt, erklärt Leidecker: „Dabei haben wir erstaunliche Erkenntnisse gewonnen. Neben den SPS-Funktionalitäten und den neuen Hochsprachen-Möglichkeiten im Echtzeit-Bereich haben sich viele Pilotkunden mit den Non-Realtime-Fähigkeiten der neuen Steuerungsgeneration auseinander gesetzt. Der Controller bietet über den Global Data Space Zugriff auf einen konsistenten Datenbereich, den man sowohl aus dem SPS- bzw. Echtzeit-Bereich ansprechen kann, als auch aus dem Non-Realtime-Bereich. Hier haben Anwender beispielsweise mit einer Java Virtual Machine auf diesen Daten Analysefunktionen laufen lassen.“ Koch ergänzt: „Über zwei Drittel der Testanwender haben sich mit dem Mix aus Realtime- und Non-Realtime-Tasks befasst. Das war für uns sehr spannend zu sehen, denn das ist eines der Features, die die PLCnext-Controller so einzigartig machen.“

PLCnext Store eröffnet zur SPS IPC Drives

„Die größte Neuerung in Bezug auf PLCnext ist unser PLCnext Store, den wir zur SPS IPC Drives vorstellen werden“, erklärt Leidecker. Was wird man von einem solchen Store erwarten können? „Natürlich werden wir als Phoenix Contact hier vorgefertigte Lösungen und Funktionen anbieten. Das Besondere am PLCnext Store ist aber die Tatsache, dass man vom Automatisierungsanwender zum Anbieter von Software werden kann: Man erstellt eine Lösung für sein Projekt, abstrahiert sie dann und bietet sie über den PLCnext Store anderen Anwendern zum Kauf an. Hier wird von uns ein Prüfungsprozess zwischengeschaltet werden, der die Software evaluiert.“ Und das Abrechnungsmodell? Koch erklärt: „Hier wird alles vorkommen, was notwendig ist. Aus meiner Sicht wird es One-Pay-Optionen ebenso geben wie Abo-Modelle oder Pay-Per-Use-Abrechnungen, je nachdem, um was für eine App es sich handelt. Auf der SPS IPC Drives werden unsere Besucher erste Beispiele für solche Apps zu sehen bekommen.“

Der Vorteil eines solchen Stores liegt auf der Hand: Entwicklungszeit und -kosten können signifikant sinken. Und je mehr vorgefertigte Funktionen oder Anwendungen man im PLCnext Store abrufen kann, desto besser. Entwickler hingegen können aus einer einmal entwickelten Funktion oder Anwendung deutlich mehr Ertrag generieren. Entwicklungszeit bleibt also nicht länger nur Kostenfaktor, sondern wird zur Ertragsmöglichkeit.

Fazit

Mit PLCnext hat Phoenix Contact eine neue Steuerungsplattform vorgestellt, die weit mehr ist, als einfach nur eine neue SPS. Tatsächlich kann sie für Anwender der Einstieg sein in eine neue Philosophie der Automatisierungstechnik, die vier Aspekte umfasst: Erstens ist die PLCnext Technology eine der ersten Steuerungen, die von Grund auf nach den Prinzipien ‚Security by Design‘ entwickelt und gebaut werden. Zweitens erlaubt PLCnext neue Programmierweisen in der Steuerung, die weit über das bisher vorhandene hinausgehen. Drittens erweitert sie die Steuerung aufgrund ihrer offenen Architektur um neue Funktionalitäten, die bisher häufig eine weitere Hardware und die dazugehörigen Schnittstellen erfordert. Und viertens ist mit PLCnext ein neuer Vertriebsweg verbunden, der über einen Software Store (PLCnext Store) funktioniert, wie man ihn bisher von Smartphone-Plattformen kennt. „Am Ende bringen wir unseren Kunden mit dem PLCnext Store Schnelligkeit und Flexibilität in den Engineering-Prozess“, resümiert. „Und wir geben unseren Kunden die Möglichkeit, vom Anwender zum Anbieter von Automatisierungsanwendungen zu werden“, ergänzt Leidecker. Damit ist nun auch die Automatisierungstechnik in der Plattformökonomie angekommen. (kbn)

PLCnext Control AXC F 2152

SPS-MAGAZIN, Ausgabe 7/2018

ab Seite 46

Offen für grenzenlose Automatisierung; SPS-MAGAZIN, Ausgabe 9/2017

ab Seite 8

Steuerungsplattform für eine sich ändernde Welt,

SPS-MAGAZIN Ausgabe 6/2017

ab Seite 36

Offene Plattform PLCnext-Technology SPS-MAGAZIN, Ausgabe SPSS/2016

ab Seite 131

PLCnext Technology in Kurzform

PLCnext Technology gelingt es, die klassische SPS-Programmierung mit der Hochsprachenprogrammierung zu kombinieren. Verschiedene Programmiersysteme können so gemeinsam auf einer Plattform genutzt werden. Eine professionelle Cloudlösung als Teil der PLCnext Technology, die Proficloud, ermöglicht es, Daten in die Cloud zu übertragen. Dadurch werden Daten einfacher verfügbar und können über das Internet abgerufen und genutzt werden. Darüber hinaus stehen in der Cloud Services zur Verfügung, z.B. zur Datenanalyse, Predictive Maintenance usw. Mit der offenen Plattform PLCnext Technology können Anwender die Vorteile der klassischen SPS erweitern und verfügen über eine Basis für moderne Automatisierungsanwendungen, die den Anforderungen der IoT-Welt gewachsen sind. Der PLCnext Store bietet schließlich eine neue Vertriebsmöglichkeit für Anwendungssoftware und -funktionen, die sowohl Anbietern als auch Anwendern eine Menge Vorteile verspricht.

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