
Heute redet alles in der Automatisierung über Offenheit. Für Wago ist dieser Ansatz alles andere als neu. Sehen Sie Wago hier als Trendsetter, Herr Roca?
Tom Roca: Das kann man schon so sagen. Offenheit war bei Wago von Anfang an die Maxime für die Automatisierung. Unsere Technik soll keine Blackbox für den Anwender sein, die ihn abhängig vom Lieferanten macht. Schon 2006 haben wir das mit einem Linux-Betriebssystem für unsere Steuerungen unterstrichen – als einer der ersten Anbieter überhaupt, die in der Automatisierung auf Linux gesetzt haben. Ein zweiter Schritt, den wir ebenfalls deutlich früher als die meisten Marktbegleiter gemacht haben, war die Entscheidung für Docker im Jahr 2018. Kurzum: Den eingeschlagenen Weg werden wir nicht wieder verlassen. Offenheit bleibt unser Kernmotto!
Der Anspruch an Offenheit wird von so manchem Automatisierungsanbieter heute noch eher als Feigenblatt getragen, denn wirklich gelebt, oder?
Vollkommen richtig. Wenn man genau hinschaut, merkt man bei einigen Anbietern, dass deren Technik doch nicht so offen ist, wie sie behaupten. Anders bei Wago: Unsere Technik ist wirklich offen, und nicht nur das. Unser Anspruch ist es, sie dem Anwender gegenüber transparent zu positionieren. Ein Beleg dafür findet sich etwa in besagtem Linux-Betriebssystem, für das wir z.B. auch ein SDK anbieten. Weitere Beispiele sind die freie Wahl des Kommunikationsstandards oder der Programmiersprache, bei der von Codesys über Docker bis zu Node Red eine Vielzahl an Optionen bereit steht.
Beim Betriebssystem hat Ihr Kunde ja aktuell die Wahl zwischen dem Linux-basierten Wago OS und der Rexroth-Lösung ctrlX OS. Wann sollte sich der Anwender für welches entscheiden?
Prinzipiell ist der Anwender mit beiden Lösungen gut beraten. Es kommt letztlich auf den Grad der Offenheit an, den er für die Umsetzung seiner Applikation benötigt oder bevorzugt. Beim ctrlX OS sowie der Entwicklung mit Ubuntu bzw. Snap ist die Offenheit schon auch hoch aufgehängt. Gleichzeitig kann der Nutzer aus dem zugehörigen Partner- und -App-Angebot einiges an Mehrwert generieren. Dabei muss er jedoch gewisse Vorgaben akzeptieren, weil schließlich alle Apps von Rexroth kontrolliert, getestet und freigegeben werden. Will er hingegen bei der Steuerungsentwicklung alle Freiheiten ausschöpfen, dann erlaubt das Wago OS die tiefere Einbindung. In der komplett offenen Wago-Welt kann der Anwender wirklich alles machen, was er will. Es wird nichts vorgegeben. Allerdings muss er dann auch für das Ergebnis selbst einstehen – etwa mit Blick auf Sicherheit und Stabilität. Was aber nicht heißt, dass wir nicht für ihn da sind, wenn es Schwierigkeiten gibt. Ganz im Gegenteil: Große Stärken von Wago sind die Nähe zu unseren Kunden und die Bereitschaft zur Unterstützung bei Engineering und Applikationsentwicklung.
Wenn der Anwender von Wago-Steuerungstechnik allein nicht weiter kommt, finden wir gemeinsam eine passende Lösung.
Tom Roca, Wago
Wie steht es denn um die Akzeptanz für offene Technik auf Kundenseite?
Als wir vor knapp 20 Jahren mit Linux gestartet sind, war es gar nicht einfach, das Gehör des Kunden zu finden. Aber der Markt hat sich ganz klar in diese Richtung entwickelt und wird das auch weiterhin tun. Offenheit liegt einfach im Trend. Und weil Wago schon so lange dafür einsteht und bekannt ist, befinden wir uns in einer sehr guten Position und gelten als vertrauensvoller Partner. Klar, man kann nicht alle Kunden über einen Kamm scheren. Manchem Anwender, der einfach nur eine funktionierende Lösung will, ist der Grad der Offenheit egal. Aber dieser Kreis wird immer kleiner. Die meisten Maschinenbauer wollen die Automatisierungstechnik heute genau verstehen und Einblick haben. Zudem wollen sie die Freiheit, Hardware-unabhängig zu sein und im Zweifel den Lieferanten wechseln zu können.

Welche Besonderheiten oder Alleinstellungsmerkmale abseits der Offenheit besetzt Wago denn im Bereich der Automatisierung?
Ich hatte es eben schon angedeutet: Wago positioniert sich immer als Partner des Kunden, um dessen spezifisches Problem aus der Welt zu schaffen. Wenn er allein nicht weiter kommt, finden wir gemeinsam eine passende Lösung. Als Basis dafür haben wir ein umfassendes Portfolio aufgebaut, mit unterschiedlichen Controller-Familien, rund 600 I/O-Modulen sowie einem ganzen Strauß an Standards, Zulassungen und Zertifizierungen. Das gilt übrigens nicht nur für die Fabrik: Auch von der Energiebranche und der Prozessindustrie über Railway und Marine bis zur Gebäudetechnik sind wir sehr breit aufgestellt.
Das heißt, der Maschinenbauer kann auf die Expertise von Wago zurückgreifen?
Ja, auf jeden Fall. Und diese Unterstützung auf Engineering-Ebene wird immer stärker nachgefragt. Weil das auch in Richtung Projektgeschäft bzw. Lösungsgeschäft geht, ist unser gesamtes Portfolio systemisch aufgebaut. Wago hat keinen Komponentenkatalog. Stattdessen wird bei uns so weit wie möglich im System gedacht. Dadurch sind wir automatisch nah am Kunden und unterstützen ihn bei der Steuerungsentwicklung. Wir haben unser Angebot so ausgelegt, dass sich offline bereits die passende Architektur und Erstprogrammierung vorbereiten lässt. Der Anwender kann also schon am Schreibtisch seine Lösung simulieren, bevor es überhaupt konkret um die Hardware geht.
Der neue Controller PFC300 ist durch seine hohe Leistung ausgezeichnet für Anwendungen geeignet, in denen große
Tom Roca, Wago
Datenmengen anfallen.
Apropos Hardware. Wie sieht denn das Wago-Angebot im Bereich Steuerungen aktuell aus?
Wir bieten drei Controller-Familien an. Die PFC-Serie mit den Leistungsklassen PFC100, PFC200 und jetzt auch PFC300. Für einfache Anwendungen gibt es den Compact Controller mit integrierten I/Os. Das dritte Segment bilden unsere Edge Controller, die in Sachen Performance das Angebot nach oben hin abrunden.
Bildet der PFC300 das Bindeglied zwischen dem klassischen SPS-Angebot und dem Edge-Bereich?
Die Anforderungen an die Hardware sind in vielen industriellen Anwendungen deutlich gestiegen – vor allem durch die Anbindung von weiteren Gewerken und steigenden Datenmengen. Darauf haben wir mit dem neuen Modell der PFC-Familie reagiert. Moderne Edge Controller bieten immer öfter eine spannende Alternative zur klassischen SPS. Doch auch hier steigen die Ansprüche. Letztlich verschiebt sich der ganze Automatisierungsmarkt in Richtung höherer Rechenleistung und größerer Datenmengen.
Für viele unserer Wettbewerber geht die Reise zu mehr Offenheit. Wago ist dort bereits angekommen.
Tom Roca, Wago
Welche Einsatzbereiche adressiert Wago mit dem PFC300?
Der neue Controller bietet deutlich mehr Leistung als der bereits lange bewährte PFC200. Dadurch ist er ausgezeichnet für Anwendungen geeignet, in denen große Datenmengen anfallen, etwa in der Energieversorgung aber auch in der Fabrik. Ein zweiter Bereich sind Applikationen, in denen parallel viele unterschiedliche Aufgaben gerechnet werden müssen – z.B. Daten erfassen, bearbeiten, zusammenführen, aufbereiten und weiterleiten.
Rechenleistung wäre in der Cloud ja grenzenlos vorhanden. In wie weit ist das eine Alternative zu steigender Controller-Performance direkt an der Maschine?
In der Industrie ist schon ein gewisser Trend in Richtung Cloud spürbar. Aber er entwickelt sich noch sehr langsam. Das hängt damit zusammen, dass die Branche ziemlich konservativ denkt, gerade in puncto Datensicherheit oder Stabilität der Steuerungsanbindung. Bislang werden hauptsächlich Funktionen in die Cloud verlagert, die mit tiefgehender Datenanalyse oder KI zu tun haben. Denn die dafür benötigte Rechnungsleistung ist in Industriesteuerungen in der Regel nicht verfügbar. Auch die Themen Monitoring, Visualisierung oder Versionierung lassen sich gut über das IoT abbilden. Für eine klassische Regelung aus der Cloud ist der Markt meines Erachtens noch nicht bereit. Umgekehrt kann die Cloud die industriellen Anforderungen an Echtzeit und Deterministik in vielen Fällen noch nicht erfüllen.

Leistungsstarker Controller PFC300
Der Controller PFC300 von Wago bietet hohe Flexibilität und Leistung für komplexe industrielle Applikationen. Mit Dual-Core-64Bit-CPU, 2GB RAM und Linux-Betriebssystem ermöglicht er effizientes Programmieren, Steuern und Visualisieren. Zwei GBit-Ethernet-Ports, eine RS485-Schnittstelle sowie Modbus RTU sorgen für vielseitige Konnektivität. Zudem ist die Steuerung Docker- und cloudfähig, wodurch Anwendungen auch von Drittanbietern integrierbar sind. Die IEC-Programmierung erfolgt herstellerunabhängig mit Codesys 3.5.
Wie geht es weiter auf der Automatisierungs-Roadmap von Wago? Welche Technologietrends werden sie prägen?

richten sich die Edge Controller
von Wago. – Bild: WAGO GmbH & Co. KG
Für viele unserer Wettbewerber geht die Reise zu mehr Offenheit. Wago ist dort bereits angekommen und so liegt das Ziel vor allem auf mehr Funktionalität und Leistung. Generell gilt: Unser Automatisierungsangebot ist auf die breiten Anforderungen des Marktes ausgelegt und nicht auf die Technologiewünsche einzelner Kunden. Wir behalten diese Ausrichtung auch weiterhin bei und bauen darauf auf – eben mit mehr Leistung und mehr Geschwindigkeit. Entsprechend werden wir das Wago-Steuerungsangebot weiter harmonisieren und erweitern. Gleiches gilt für den Bereich Reihenklemmen. Softwareseitig verfügt Wago mit der Solutions Plattform seit 2023 über ein Automatisierungs-Ecosystem, das alle Ansprüche an ein modernes Engineering und smarte Tools abdeckt – von der Applikationserstellung über die Inbetriebnahme bis hin zur Versions- und Update-Verwaltung. Wir sind also sehr gut aufgestellt, wollen in diese Richtung aber noch weiter investieren – z.B. in Richtung von Apps und Third-Party-Anbietern.
Also im Sinne moderner Co-Creation-Ansätze?
Genau so ist es. Das ist ein wichtiger Teil unseres Verständnisses von Offenheit. Als mittelständisches Unternehmen kann man schlichtweg nicht alles selbst machen. Wago konzentriert sich deshalb auf seine Kernkompetenzen. Abseits davon kann der Kunde alles, was er für seine abgestimmte Lösung nicht in Eigenregie entwickeln will, über Partner lösen.