Interview mit Sascha Niederhagen, Bürkert

„Intelligente fluidische Subsysteme“

Seit September 2020 ist Sascha Niederhagen als Chief Sales Officer ein Mitglied der Geschäftsleitung des Fluidtechnik-Spezialisten Bürkert. Unter anderem hat er die Verantwortung für den globalen Vertrieb bei Bürkert Fluid Control Systems übernommen. Das SPS-MAGAZIN war für ein Gespräch in der Zentrale in Ingelfingen vor Ort.
 Beispiel einer dezentralen Automatisierungslösung.
Beispiel einer dezentralen Automatisierungslösung.Bild: Christian Bürkert GmbH & Co. KG

Zu Beginn und weil es derzeit wirklich jeden zu betreffen scheint: Wie kommt Bürkert mit dem derzeitigen Rohstoffmangel zurecht?

Nun, es gibt tatsächlich grenzwertige Situationen im Bereich Metall, im Bereich Kunststoff und im Bereich Halbleiter. Das hören Sie überall, und dem müssen wir uns auch stellen. Aber wir schaffen es bisher noch recht gut, unsere Lieferzeiten zu halten. Wir haben zum Glück langfristige partnerschaftliche Kontakte zu unseren Zulieferern und beizeiten die Mindestmengen erhöht, sodass wir derzeit bezüglich der Liefersituation immer noch ganz gut aufgestellt sind. Unser Einkauf war da sehr gut unterwegs.

 Bürkert-CSO Sascha Niederhagen
Bürkert-CSO Sascha Niederhagen Bild: Christian Bürkert GmbH & Co. KG

Das Thema Corona haben die meisten Firmen nach bald zwei Jahren produktionstechnisch und organisatorisch ganz gut im Griff. Aber wie hat sich der Kundenkontakt, wie die Vertriebstätigkeit in der Zeit verändert? Mussten Sie die Herangehensweise ändern?

Es ist nicht primär unsere Herangehensweise, die sich ändert, es ändert sich etwas am Kundenwunsch – und dem müssen wir uns natürlich anpassen. Der Kunde von heute, in dieser Pandemie-Situation, der bevorzugt oft eine digitale Betreuung. Je nach aktueller Lage kann er einen Vor-Ort-Besuch auch gar nicht empfangen, weil die Konzernregeln es untersagen. Wir haben deshalb unsere Vertriebsmitarbeiter, die häufig vom Homeoffice aus arbeiten, so ausgerüstet, dass sie gut Videomeetings abhalten können. Außerdem haben wir im Büro spezielle Arbeitsplätze und Demo-Tische aufgebaut, an denen der Mitarbeiter live mit dem Kunden digital kommunizieren und gleichzeitig verschiedene Produkt- und Systemlösungen zeigen kann. Wir sind sogar so weit gegangen, dass wir in einer unserer Hallen einen Dauer-Messestand eingerichtet haben, an dem typische Applikationen zu sehen sind. Dort können wir Besucher aus der ganzen Welt virtuell empfangen und unsere Produktmanager, System- und Applikationsspezialisten können jederzeit zeigen, was wir können. Nichtsdestotrotz haben wir auch unseren Show-Truck unterwegs, derzeit in Dänemark. Und wir freuen uns darauf, wieder auf Messen zu gehen, wenn sie wieder stattfinden werden.

Hat die Situation auch Auswirkungen auf die Produktwelt, auf das Produktportfolio von Bürkert? Müssen Sie Produkte umdesignen?

Die fortschreitende Digitalisierung betrifft alle Bereiche. In Produktionsumgebungen heißt das, dass Anlagen beispielsweise fernwartbar sein sollen. Aber umdesignen müssen wir da nichts. Die Tendenz zur Digitalisierung der Automatisierungstechnik war schon vor Corona da, Stichwort Industrie 4.0. Das hat zunächst in der Factory Automation Fahrt aufgenommen, dann in der Logistik-Automation und jetzt auch in der Prozessautomation, die aktuell aufholt. Dazu müssen die Produkte im Stande sein, digital zu kommunizieren – mit der SPS und im Endeffekt auch mit der Cloud. Aber diese Tendenz zu digitalisieren gab es schon vorher. Ich glaube, es ist nur noch viel klarer geworden, dass das nachhaltig ist und dass es schneller vorangetrieben werden muss als bisher gedacht.

Was heißt das für das Bürkert-Portfolio konkret? Sie haben sich doch gerade erst vom Anbieter klassischer Aktoren in der Fluidtechnik, den Ventilen, in Richtung Sensorik entwickelt.

Ich würde sagen, wir entwickeln uns nicht in diese Richtung, sondern wir ergänzen unser Angebot. Wir sehen uns als Applikationsspezialist in der Fluidik. Applikationsspezialist heißt, wir sehen die Applikation weiter, als es ein reiner Sensorhersteller oder ein reiner Ventilhersteller tun kann. Wir können zwei Welten miteinander kombinieren und sind dabei, den gesamten Regelkreis abzubilden. Das heißt, wir können messen, steuern und regeln. Ein Sensorhersteller kann meist nur Daten liefern und eine Situation darstellen. Aus diesen Daten müssen dann Entscheidungen getroffen werden oder ein Aktor, etwa ein Ventil, geregelt werden. Und das können wir beides aus einer Hand.

Zur Kalkulation braucht der Anwender dann aber doch noch die SPS oder einen IPC, oder?

Aktuell haben wir durch die gängigen Protokolle die Möglichkeit, unsere Aktoren, Prozessventile beispielsweise, mit der SPS kommunizieren zu lassen. Auch die Sensoren kommunizieren mit der SPS. Woran wir derzeit aktiv arbeiten, sind Edge-Lösungen. Z.B. kann unser Flowave, ein Durchflussmesser, deutlich mehr als nur Durchfluss messen. Er kann unter anderem auch Dichte und Temperatur messen. Außerdem hat er einen integrierten Controller, über den dieser Sensor direkt ein Ventil steuern kann. Mit der passenden Software haben Sie nun die Möglichkeit, einen Edge-Regelkreis aufzubauen, ohne die SPS zu involvieren. Dezentralisierung ist für uns ein genereller Trend. Zukünftig wird nicht mehr die zentrale SPS die Steuerung der gesamten Anlage übernehmen, sondern mehr und mehr Applikationen respektive Anlagenteile werden sich selber steuern. Das ermöglicht auch modularere Anlagen, wie wir sie in unserem Systemhaus zeigen.

Das Systemhaus?

Ja. Das ist etwas, was meines Wissens nur sehr wenige Firmen in der Form abgebildet haben. Ein Ort, an dem Kunden und Mitarbeiter gemeinsam an Projekten arbeiten können. Das ist wie ein großes Haus der Innovation, in welchem eine Applikationsidee auf unsere Fluidik-Experten trifft. Ich denke, das ist etwas, was Bürkert wirklich unterscheidet von vielen anderen. Unsere Technik ist dort nahbar, anfassbar und erlebbar. Wir bieten unseren Kunden dadurch das volle Spektrum an Applikationslösungsoptionen an. Vom Standardprodukt mit schnellen Lieferzeiten bis zur systemspezifischen Co-Innovation. Im Systemhaus können wir die komplette Welt des Kunden erfassen und abbilden, sensorisch, aktorisch und steuerungstechnisch. Dort bauen wir mit und für die Kunden aus unseren Komponenten und allen nötigen weiteren Bauteilen eine Applikationslösung. We make ideas flow – maßgeschneidert, gemeinsam und auch als Co-Innovation. Nicht als Systemintegrator, sondern als Lieferant spezifischer fluidischer Subsysteme.

Ein weiterer aktueller Trend ist ja Nachhaltigkeit. Inwieweit ist das für Bürkert ein Thema?

Vom Kunden wird Nachhaltigkeit oder der CO2-Footprint immer wieder einmal angesprochen. Aber harte Anforderungen, dass man CO2-neutral sein muss, um gelistet zu bleiben, das gibt es aktuell noch nicht. Allerdings ist der Gedanke der Nachhaltigkeit im Hause durch die Inhaberfamilie sehr stark verankert. Wir haben von dieser den klaren Auftrag, bis 2030 CO2-neutral zu sein. Wir schauen zunächst, wie weit wir durch eigene Leistungen kommen. Wenn Sie mit Ihren Produkten wirklich CO2-neutral sein wollen, dann müssen Sie Ihre komplette Lieferkette betrachten. Dies ist noch näher zu eruieren. Darüber hinaus helfen unsere Produkte und Fluidik-Lösungen natürlich an vielen Stellen in unterschiedlichsten Industrien und Applikationen generell dabei, nachhaltiger zu werden.

Bürkert Fluid Control Systems ist ein Hersteller von Mess-, Steuer- und Regelungssystemen für Flüssigkeiten und Gase. Lösungen von Bürkert kommen in den unterschiedlichsten Branchen und Anwendungen zum Einsatz – das Spektrum reicht von Brauereien und Laboren bis zur Medizin-, Bio- und Raumfahrttechnik. Mit einem Portfolio von über 30.000 Produkten deckt Bürkert alle Komponenten des Fluid-Control-Regelkreises aus Messen, Steuern und Regeln ab: von Magnetventilen über Prozess- und Analyseventile bis zu pneumatischen Aktoren und Sensoren. Das Unternehmen mit Stammsitz in Ingelfingen verfügt über ein weit gespanntes Vertriebsnetz in 36 Ländern und beschäftigt weltweit mehr als 3.000 Mitarbeiter. In fünf Systemhäusern in Deutschland, China und den USA sowie vier Forschungs- und Entwicklungszentren entwickelt Bürkert kontinuierlich kundenspezifische Systemlösungen und neue Produkte.

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