Seit Jahren setzt sich die Fertigungswelt immer stärker mit der Digitalisierung auseinander. Was bedeutet das für Lenze als Anbieter von Automatisierungs- und Antriebstechnik?
Für die produzierende Industrie, den Maschinenbau und Automatisierer wie Lenze, geht es um eine gewaltige Chance. Das hat sich seit der ersten Definition von Industrie 4.0 nicht verändert. Deutlich geändert hat sich hingegen, dass die daraus resultierende Aufbruchsstimmung mittlerweile flächendeckend spürbar ist – bei den Anbietern und auch auf Anwenderseite.
Woran machen Sie das fest?
Vor zehn Jahren war die Vorstellung, was durch die Digitalisierung technologisch möglich wird, noch sehr vage. Mittlerweile wird der Mehrwert sehr konkret formuliert. Das grundlegende Potenzial ist jetzt gut sichtbar: mehr Produktivität, höhere OEE, smarte Instandhaltung, neue Geschäftsmodelle. Die Wahrnehmung von Automatisierung in der Gesellschaft hat sich endgültig ins Gegenteilige gewandelt: Einst als Arbeitsplatzvernichter verschrien, bildet sie heute das Fundament für eine innovative, wirtschaftliche und resiliente Industrie. Und die wünscht man sich schließlich in allen Regionen der Welt.
Demnach steigt auch die Nachfrage.
In der Tat. Seit einigen Jahren spüren wir eine stark wachsende Nachfrage – gerade in Richtung Datenerfassung. Die Kunden verstehen immer besser, welcher Wert in den generierten Daten liegt und versuchen ihn in Form von Produkten an den Endanwender weiterzugeben.
Auf was muss man als Anwender achten, um sich im riesigen Feld von Digitalisierung und Datenerfassung nicht zu verlieren?
Lenze legt bei seinem Angebot den Fokus auf drei Aspekte: einfache Anwendbarkeit, Wiederholbarkeit und Skalierbarkeit. Zum einen geht es darum, technologisch die passende Basis zu definieren und Daten zu erfassen, die sich Mehrwert-bringend auswerten lassen. Mit unserem Lösungskonzept muss der Anwender nicht in riesigen Data Lakes fischen, sondern kann schon mit kleineren Datenmengen loslegen. Unsere Experten unterstützen ihn darüber hinaus, welche Daten wie zu lesen sind, und welche Schlussfolgerungen sich gegebenenfalls ziehen lassen. Auf diese Weise wird aus Small Data ganz unkompliziert Smart Data – ohne dass der Anwender in cloudbasierten KI-Systemen tausende Datensätze verarbeiten muss. Die zweite Voraussetzung, damit dieser Plan aufgeht, sind nicht nur einfache, sondern auch wiederholbare und skalierbare Konzepte für die Auswertung der erfassten Daten. Das bildet die Basis, um die Lösung über die Zeit beherrschbar zu halten und nicht zu komplex zu machen.
Unterstützen Sie dabei?
Natürlich. Das Ziel ist es, den Anwender mit unsem Domänenwissen und unserer Erfahrung zu befähigen, alle Einflussgrößen zu verstehen und Digitalisierungsprojekte selbst umzusetzen. Oftmals stellen wir also nicht nur Technologie zur Verfügung, sondern genauso Beratungs- und Implementierungsleistungen. Die Digitalisierungsreise gehen wir Hand in Hand mit den Maschinenbauern und Endkunden. So können wir gemeinsam die passende Digitalisierungsstrategie für das Unternehmen verwirklichen.
Auf Seite der Tools setzt Lenze eher auf schlanke Lösungen. Warum keine monolithische Plattform?
Das ist eine Frage der Anwendung. In der Prozessautomation z.B. sind schon lange sehr große Systeme etabliert, die auch weiterhin ihre Berechtigung haben. Wir haben unser Angebot der Engineering Tools oder der Fast-Funktionsbausteine hingegen stark aus dem Blickwinkel der diskreten Automation gestaltet. Konkret heißt das: Lenze hat früh einen Weg für mehr Funktionalität und Performance direkt in den einzelnen Achsen eingeschlagen – z.B. für Motion Control oder Safety – und das haben wir dann über die Nupano Suite mit der IT-Ebene verbunden und skaliert. Rückwirkend lässt sich feststellen: Unsere Vision, mit einzelnen Tools, die miteinander interagieren, komplette Anlagen zu konfigurieren und zu programmieren, war in der Praxis agiler und attraktiver, als eine monolithische Digitalisierungsplattform überzustülpen
Und wie bewerten Sie dabei die Offenheit?
Die Branche lernt gerade, dass Standalone-Lösungen nicht mehr das Nonplusultra sind. Stattdessen bringen Ecosysteme, die über Offenheit und Partnerschaften funktionieren, heute in vielen Fällen den größeren Nutzen. Dem folgend, spreche ich proprietären Automatisierungslösungen per se keine große Zukunft zu. Im Gegenteil: Ein gesundes Maß an Offenheit ist künftig Voraussetzung für den Erfolg. Diese Philosophie setzen wir mit unserem Portfolio konsequent um und versorgen den Anwender sowohl mit Hardware als auch mit Softwareelementen, die diese Offenheit bieten – und ausreichend Flexibilität.
Was heißt flexibel an dieser Stelle?
Wie auch schon unsere Funktionsbausteine der Fast Application Software lassen sich die Apps von Nupano dort installieren und nutzen, wo es aus Anwendersicht am besten ist: Im Controller, auf einem Edge Device oder in der Cloud. Der Maschinenbauer kann die Funktionalität damit auch tief in die eigene Steuerung integrieren. Deswegen haben wir Nupano bewusst als Ecosystem aufgestellt, in das auch Partner ihre Apps beisteuern können, z.B. für Visualisierung, Datenverarbeitung oder KI. Letztendlich ist diese Co-Creation das wirklich Wertvolle an der Digitalisierung.
Wie weit sind Sie auf der Roadmap der Nupano Suite?
Die Funktionsbausteine und Motion-Apps sind bereits integriert. Nupano ist also einsatzbereit und wird nun Stück für Stück zu einer vielseitigen Suite ausgebaut. In einem weiteren Schritt werden wir die Struktur, Übersichtlichkeit und Transparenz von Nupano und seinen Elementen nochmal verbessern. Welche Vorteile das für den kompletten Lebenszyklus einer Maschine bringt, haben wir auf der SPS 2024 in Nürnberg gezeigt.
Es geht also nicht nur um das Engineering?
Nein. Die Konzeption unserer Nupano Suite soll vom Engineering über die Inbetriebnahme bis zu Service und Maintenance durchgehend Nutzen ausspielen. Sie bildet das Fundament für den digitalen Zwilling als ganzheitlichem Abbild der Maschine und für das Lifecycle Management der Softwarestände und Apps. Auf der Messe erklären wir den Besuchern die unterschiedlichen Anwendungsstufen in der Projektierung, wie man Hardware- und Softwaremodule verbindet oder wie programmiert wird. Mittelfristig wird die Wahrnehmung beim Anwender, was den Wert moderner Software angeht, stark wachsen – und parallel rollen wir die Nupano Suite als attraktive Lösung flächendeckend im Maschinenbau aus.
Wenn es immer stärker in Richtung Software geht, was passiert mit der Hardware bei Lenze?
Die Hardware bleibt eines der Kernelemente im Angebot. Das merkt man z.B. daran, wie deutlich das Controller-Portfolio über die letzten Jahre erweitert wurde. Einen Fokus legen wir jetzt noch auf Edge Controller, um in unserem Systemangebot die letzte Lücke von der Cloud bis zur Feldebene zu schließen. Hohes Gewicht liegt bei Lenze aber auch weiterhin auf der Elektromechanik. Ein gutes Beispiel findet sich in der neuartigen Motorrolle für Förderanwendungen, die wir auf der Logimat vorgestellt haben. Im Vergleich zu den heutigen Systemen im Feld, bedeutet sie einen echten Paradigmenwechsel für die Energieeffizienz in der Intralogistik. Welchen Stellenwert die Effizienz für Lenze auch in der klassischen Fertigung hat, haben wir ebenfalls auf der diesjährigen SPS präsentiert: In Form einer hocheffizienten integrierten Antriebslösung, wie es sie bisher noch nicht gegeben hat.
Die Effizienz von Elektromotoren wurde in der Branche lange nur als Vorschrift und nicht als Chance für weniger Energieverbrauch gesehen. Hat sich das geändert?
Auf jeden Fall. Die Performance bleibt natürlich ein entscheidender Faktor. Aber das Thema Nachhaltigkeit spielt heute ebenfalls eine enorme Rolle. So steigt die Nachfrage nach hocheffizienten Systemen weltweit sehr deutlich. Immer öfter steht die Effizienzklasse an erster Stelle und nicht der Preis. Parallel wechselt die Blickrichtung auch von einzelnen Komponenten in Richtung ganzer Systeme. Darin liegt eine riesige Chance. Denn Lenze steht seinen Kunden als Lösungsanbieter nicht nur mit Hard- und Software, sondern eben auch mit entsprechender Domain-Expertise und Beratung zur Seite. Dieses Leistungsversprechen unterstreichen wir mit unserem Technologie- und Logistikstandort MCC in Extertal.
Inwiefern?
Das MCC, kurz für Mechatronic Competence Campus, geht als Commitment zur Differenzierung weit über die Produktebene hinaus. Ich bin der festen Überzeugung, dass man sich künftig auf dem Markt nur noch über den Mehrwert eines stimmigen Gesamtpakets abheben kann. Dieses Selbstverständnis können wir unseren Kunden am MCC eindrücklich vorführen.
Wie geht es weiter bei Lenze, Herr Wendler?
Für Lenze sehe ich eine große Zukunft. Denn das nächste Jahrzehnt wird eine Dekade der Automation – darauf deuten alle Faktoren und heutigen Rahmenbedingungen hin. Demnach lautet das Ziel natürlich, mit dem Markt zu wachsen und auch unsere internationale Präsenz auszubauen. Was die Technologie angeht: Die Verbindung von IT und OT, der digitale Zwilling und künstliche Intelligenz werden sich zu absolut relevanten Kerntechnologien entwickeln. Selbstverständlich bleibt auch die Energieeffizienz hoch aufgehängt. Mit Blick auf den Carbon Foot Print, werden Steigerungen der OEE nur noch in Kombination mit mehr Effizienz möglich sein. Das ist in der diskreten Fertigung so, und in der Prozessindustrie oder der Gebäudetechnik nicht anders. Wer weiß, vielleicht hat Lenze für diese Bereiche auch bald spannende Automatisierungslösungen im Programm.
Sie selbst, Herr Wendler, verabschieden sich Ende des Jahres in den Ruhestand. Wie lautet Ihr persönliches Fazit aus mehr als drei Jahrzehnten im Auftrag der Automatisierung?
Die letzten drei Jahrzehnte waren geprägt von bemerkenswerten technologischen Fortschritten und einer stetigen Weiterentwicklung der Automatisierungslösungen. Automatisierung ist mehr als nur eine technologische Entwicklung; sie ist eine Antwort auf die großen Herausforderungen unserer Zeit. Angesichts des demografischen Wandels bietet die Automatisierung Lösungen, um die Produktivität aufrechtzuerhalten und zu steigern. Gleichzeitig spielt sie eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung. Mein persönliches Fazit aus dieser Zeit ist durchweg positiv. Ich habe miterlebt, wie sich die Automatisierung von einfachen Steuerungssystemen hin zu komplexen, intelligenten Netzwerken entwickelt hat, die heute aus der modernen Industrie nicht mehr wegzudenken sind. Besonders die letzten Jahre, in denen künstliche Intelligenz und Machine Learning Einzug gehalten haben, waren spannend und haben das Potenzial der Automatisierung deutlich erweitert. Ich bin dankbar für die vielen Erfahrungen und die Zusammenarbeit mit so vielen talentierten Menschen. Es ist für mich ein großes Glück Teil dieser dynamischen Branche zu sein und ich blicke mit Stolz auf das Erreichte zurück. Für die Zukunft wünsche ich meinem Nachfolger Dr. Marc Wucherer und Lenze weiterhin viel Erfolg und bin gespannt, welche Innovationen in der Automatisierungsbranche noch auf uns warten.