Interview mit Prof. Dr. Hans Schotten vom DFKI

Die Weiterentwicklungdes industriellen Internets

Mit dem FIND-Projekt - FIND steht für Future Industrial Network Architecture - hat sich ein Konsortium aus Unternehmen und Institutionen ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Man will das industrielle Internet weiterentwickeln. Welche Ziele die Beteiligten mit dem Projekt noch verfolgen und vor welchen Herausforderungen sie dabei stehen, erklärt Prof. Dr. Hans Schotten, Koordinator des Projekts und wissenschaftlicher Direktor am DFKI, im Interview mit dem INDUSTRIE 4.0- MAGAZIN.
Bild: DFKI GmbH

Herr Prof. Dr. Schotten, können Sie unseren Lesern zu Beginn kurz erläutern, was sich hinter dem FIND-Projekt verbirgt:

Hans Schotten: Das FIND-Projekt (Future Industrial Network Architecture) beschäftigt sich mit der Weiterentwicklung des industriellen Internets und dabei insbesondere mit der Definition einer zukunftsfähigen Architektur und den Konzepten und Algorithmen, die benötigt werden, um dieses zukünftige industrielle Internet zu steuern.

Wer genau steckt da dahinter?

Schotten: Das FIND-Konsortium besteht aus einer ganzen Reihe von Industrie- und Forschungspartnern, die in diesem Gebiet wichtige Kompetenzen haben und in der Umsetzung eine große Rolle spielen könnten. Neben dem DFKI als Gesamtkoordinator gehören dem Konsortium die Robert Bosch GmbH, die Festo AG, das Institut für industrielle Informationstechnik der Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Lemgo, das HMS Technology Center, Ravensburg GmbH, die Bosch Rexroth AG, RT-Solutions, Siemens, die TU Dresden und die Universität Passau an.

Sie wollen das industrielle Internet weiterentwickeln, das hört sich sehr ambitioniert an. Wo liegen dabei die größten Herausforderungen? Schotten: Die größte Herausforderung ist, dass wir in der heutigen Industrie eine relativ heterogene Landschaft an Kommunikationssystemen haben. Dazu gehören Feldbussysteme oder bereits existierende industrielle Ethernet-Verfahren. Dazu gehört aber in Zukunft auch zunehmend die Einbindung in 5G-Netze, die ohne weiteres die Ambition haben, in die Fabrik vorzudringen. Das heißt, wir haben unterschiedliche Systeme, die wir in irgendeiner Weise zusammenbringen müssen. Es werden industrielle Anwendungen zu unterstützen sein, die ein sehr breites Spektrum an Anforderungen haben. Das sind zum Teil sehr hohe Sicherheitsanforderungen. Das sind für Anwendungen wie die visuelle industrielle Inspektion oder Augmented Reality Anforderungen an eine sehr hohe Datenrate. Hinzu kommen Anforderungen an die Zuverlässigkeit, wie man sie z.B. bei funkbasierten Not-Aus-Systemen hat. Vor allen Dingen sind es Anforderungen an niedrige Latenz und Deterministik, wie wir sie für die Steuerung von Motoren, die sogenannten Motion Controls, benötigen. Das heißt, dass wir ein breites Spektrum sehr extremer Anforderungen haben, was in Kombination mit der sehr heterogenen Kommunikationslandschaft, die wir in der Fabrik vorfinden, die große Herausforderung darstellt. Ist es denn überhaupt möglich, das Gros der Standards – ob existierende oder auch zukünftige – in Einklang zu bringen?

Schotten: Das ist natürlich eine Frage, die sich aufdrängt: Will man alle Anwendungsfälle mit einem System abdecken? Die Antwort lautet im Moment klar ‚Ja‘. Es hätte sehr große Vorteile, wenn wir auf eine einheitliche, transparente Informationsinfrastruktur zurückgreifen könnten. Das ist tatsächlich im Moment die Ambition. Man möchte dabei das industrielle Ethernet als Basis haben. Das kann natürlich auch über Funk implementiert sein. Letztlich ist dies aber eine Vision, von der wir wissen, dass sie sehr anspruchsvoll ist. Wie verhält es sich dabei mit der Sicherheit?

Schotten: Das ist ein ganz zentrales Thema. Wir haben von Anfang an Sicherheitsexperten im Konsortium mit dabei, z.B. RT-Solutions. Aber auch alle anderen sind sehr an diesem Thema interessiert. Wir gehen natürlich davon aus, dass, wenn wir die Kommunikationsinfrastruktur in der Fabrik vereinheitlichen, wir sie damit auch für potenzielle Angriffe öffnen. Und dem muss man direkt vorbeugen. Bei der Umsetzung unserer Vision werden wir auf SDN-Technologien (Software Define Networking) zurückgreifen. Das wird in den Netzwerk-Steuereinheiten sein. Auch die könnten natürlich Gegenstand von Angriffen – insbesondere auf die Kontrollsignalisierung – werden. Da uns dies klar ist, werden wir von Anfang an nach dem Motto ‚Security by Design‘ dafür sorgen, dass Mechanismen eingebaut sind, die mit möglichen Angriffsszenarien umgehen können.

Nun soll die Architektur einen automatisierten Ablauf ermöglichen. Inwieweit muss denn überhaupt noch ein manueller Eingriff erfolgen?

Schotten: Die Automatisierung ist eine der wichtigsten Anforderungen überhaupt, weil wir davon ausgehen, dass das industrielle Internet auch von kleineren Betrieben genutzt wird. Gerade diese Betriebe, die keine großen IT-Abteilungen haben, werden natürlich davon abhängig sein, dass sich ein solches System weitgehend selbst konfiguriert. Das heißt, ein Anwender, der dann häufig aus dem Bereich der Produktionstechnologien kommt, definiert, was er gerne hätte – hier insbesondere im Bereich Konnektivität – und der Netzwerk-Controller sollte dies in der industriellen Vernetzungsinfrastruktur automatisiert umsetzen und während des Prozessablaufs überwachen, dass alles wie vorher definiert zur Verfügung steht. Wir stellen uns das so vor: Die Anwendungsanforderungen werden vom Anwender definiert und dann in ein Vernetzungsprofil übersetzt. Im Netzwerk-Controller gibt es eine Intelligenz, die basierend auf der zur Verfügung stehenden Vernetzungstechnologie – und auch das wird wahrscheinlich von Fall zu Fall recht unterschiedlich sein – die optimale Implementierung sicherstellt. Für den Anwender, der in der Produktion sitzt, bleibt das aber verborgen – damit soll er sich nicht belasten müssen.

Das klingt angenehm für den Anwender…

Schotten: Angenehm für den Anwender, ehrgeizig natürlich für die Umsetzung. Dieses Maß an Automatisierung der Steuerungsvorgänge einer Netzwerkinfrastruktur, die zudem selbst auch noch ganz neu ist, ist etwas, was bisher in diesem Umfang noch nicht gemacht wurde. Wir haben für die öffentlichen Netze bereits über SON (Self Organizing Networks) gesprochen. Das sind aber Lösungen, die davon ausgehen, dass es sehr große Netzwerk-Managementabteilungen bei den Netzwerkbetreibern gibt, die ggf. helfen können und auch wissen, wie man entsprechende Anforderungen definiert. Hier gehen wir einen deutlichen Schritt weiter, das Netz ist zwar etwas kleiner als das der großen öffentlichen Netzbetreiber, dafür sind die Anforderungen aber extremer und wir müssen den Prozess vollständig automatisieren

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