Interview zu Time-Sensitive Networking in der Automatisierung

„Den Bogen zu TSN nicht überspannen“

Wenn es darum geht, Maschinen und Anlagen aus der Cloud zu steuern, dann ist in aktuellen Diskussionen das Thema TSN nicht weit. Doch je nachdem, wen man nach dessen Potenzial fragt, fallen die Antworten ganz unterschiedlich aus. Um Klarheit zu schaffen - worum genau es bei TSN eigentlich geht und wie groß das Potenzial für die Industrie wirklich ist - hat sich das SPS-MAGAZIN mit zwei Spezialisten zu diesem Thema unterhalten: Dr. Karl Weber, Kommunikationsexperte bei Beckhoff und seit den Anfängen in der TSN Task Group der IEEE aktiv, sowie Peter Zahn, verantwortlich für den Arbeitskreis 'TSN for Automation' am ISW der Uni Stuttgart.

Weber: Aber auch das wird kein Kinderspiel, denn auch mit OPC UA muss vom klassischen Client/Server-Prinzip auf ein Publisher/Subscriber-Modell umgestellt werden. Deswegen ist hinsichtlich der heterogenen Netze ein neues Bewusstsein beim Anwender erforderlich. Bisher war er nur auf den schnellen Prozessdatenaustausch ausgerichtet, oder nur auf Client/Server oder nur auf Audio und Video. All diese Kommunikationsarten auf einem Level zusammenzuführen, setzt eine ganz andere Denkweise voraus. Hat man das verstanden und verinnerlicht, ist TSN aus meiner Sicht der richtige Schritt für eine integrierte Kommunikationslösung der Zukunft. Bis sich die neue Denke auf dem Mark großflächig etabliert hat, wird aber noch einige Zeit vergehen.

Zahn: Dennoch ist es wichtig, dass das Thema in der Branche mittlerweile angekommen ist und große Aufmerksamkeit bekommt. Der erste Hype ist bereits vorbei und jetzt geht es vor allem um die praktischen Fragen, wie man TSN ganz konkret in der Industrie einsetzen kann.

Diese Diskussionen finden in unterschiedlichen Gremien und Arbeitskreisen statt. Ist es hilfreich, dass TSN an vielen Stellen parallel behandelt wird, oder sollten besser alle gemeinsam an einem Strang ziehen?

Zahn: Der Ethernet-Standard kommt zwar von der IEEE, es gibt aber – anders als bei den Feldbussen – keine industrielle Organisation, die eine Hoheit über die Anwendung von TSN hätte. Aus diesem Grund gibt es mehrere Gruppen, die sich mit TSN beschäftigen. Je intensiver sie das tun, umso mehr lernen die verschiedenen Seiten aber auch, miteinander zu reden und gemeinsam offene Fragen anzugehen.

Weber: Im Moment sehe ich auch keine Alternative zu dieser breit aufgestellten Vorgehensweise. Natürlich wissen alle Automatisierer, dass sie zusammenarbeiten müssen. Aber es gibt keinen Anwenderkreis, der intensiv in Richtung TSN treibt, so wie es die Automobilindustrie früher bei den Feldbussen gemacht hat. Und ohne solchen Druck agieren viele Anbieter noch etwas zurückhaltend.

Zahn: Hier die Anforderungen einer Branche zusammenzutragen war wie gesagt einer der Gründe, warum wir mit dem ISW-Arbeitskreis an den Start gegangen sind. Wie gut das funktioniert, werden wir dann innerhalb des kommenden Jahres validieren und die Ausrichtung an das Umfeld anpassen.

Der Wunsch des Anwenders hat die Anbieter in der Vergangenheit ja nicht von proprietären Lösungen abgehalten. Zeichnet sich an dieser Stelle in Bezug auf TSN ein Umdenken ab?

Weber: Zumindest ist die aktuell gute Konjunktur kein Beschleunigungsinstrument für den Einsatz neuer Technik. Salopp gesagt haben die Industrieunternehmen alle Hände voll zu tun und da wechselt man nicht die bewährten Zugpferde. Es wird aber Anbietern wie Anwendern zunehmend bewusst, dass TSN die Möglichkeit bietet, die industrielle Automatisierung ein ganzes Stück voranzubringen. Dieser Erkenntnis kann sich kein Hersteller von Automatisierungstechnik auf Dauer verschließen – auch ohne offensiven Druck aus der Anwenderschaft. Ich bin da ganz optimistisch.

Zahn: Wenn man in Richtung Industrie 4.0 gehen will, bleibt letztendlich keine andere Möglichkeit, denn all diese Szenarien verlangen eine durchgängige Kommunikation, TSN ist hier die Enabling-Technology.

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ISW Institut für Steuerungstechnik der

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