Interview zu Time-Sensitive Networking in der Automatisierung

„Den Bogen zu TSN nicht überspannen“

Wenn es darum geht, Maschinen und Anlagen aus der Cloud zu steuern, dann ist in aktuellen Diskussionen das Thema TSN nicht weit. Doch je nachdem, wen man nach dessen Potenzial fragt, fallen die Antworten ganz unterschiedlich aus. Um Klarheit zu schaffen - worum genau es bei TSN eigentlich geht und wie groß das Potenzial für die Industrie wirklich ist - hat sich das SPS-MAGAZIN mit zwei Spezialisten zu diesem Thema unterhalten: Dr. Karl Weber, Kommunikationsexperte bei Beckhoff und seit den Anfängen in der TSN Task Group der IEEE aktiv, sowie Peter Zahn, verantwortlich für den Arbeitskreis 'TSN for Automation' am ISW der Uni Stuttgart.

Weber: Wir können heute schlecht diskutieren, was in zehn oder 15 Jahren passieren wird. Bis dahin wird TSN sicherlich noch weitere Entwicklungslevel erreichen. Im ersten Schritt ist es aber sehr unwahrscheinlich, dass einzelne Sensoren und Aktoren direkt an TSN angebunden werden. Aber es gibt sicherlich den Bedarf, aus der heterogenen Protokollwelt vernünftige Übergänge zu Maschinen mit homogener Buskommunikation zu schaffen. Dieser Aufgabe sollten sich Maschinenbauer und Endanwender auch heute schon stellen.

Das klingt danach, als sollte man das Thema TSN besser langsam angehen.

Weber: Man darf den Bogen zu TSN nicht gleich überspannen. Denn wir haben in der Vergangenheit schon oft erlebt, wie Kommunikationshypes gescheitert sind, weil es nicht gelungen ist, den Anwender mitzunehmen. Und auf dem Weg zur einheitlichen Lösung für heterogene Echtzeitumgebungen fehlen noch einige Schritte. Nichts desto trotz lässt sich mithilfe eines einheitlichen Applikationsprotokolls für höhere Ebenen – also dort wo TSN heute schon seine Vorteile ausspielen kann – die Einbindungen von Cloud, IoT und Co. sicherlich einfacher umsetzen.

Wann kann der Markt dem Maschinenbauer für solche Lösungen ausgereifte Technik zur Verfügung stellen?

Weber: Der beschriebene Annäherungsprozess wird sich nicht explosionsartig entwickeln. Demnach könnte man das nächste Jahr sicher für Feldversuche auf einer breiteren Basis nutzen, und auch dazu noch bestehende Lücken aufdecken. Parallel gibt es ja in der IEC auch die Ambition, ein Profil für TSN zu schaffen, um mehr Struktur in die vielfältigen Mechanismen zu bringen und damit den Anwender besser zu erreichen.

Zahn: Es ist aber bereits einiges in der Entwicklung und die Anzahl kommerziell verfügbarer Komponenten auf Netzwerkseite wird kommendes Jahr wachsen. Allerdings werden das immer noch Teillösungen sein, da die Standardisierung ja noch nicht abgeschlossen ist. Aus Endgeräte-Sicht, und dabei die Konfiguration und das Engineering mit berücksichtigend, wird sich der Einzug von TSN in die Automatisierung bestimmt noch zwei bis drei Jahre hinziehen.

Weber: Ich denke, dass man mit ersten Pilotanwendungen Ende des kommenden Jahres schon gut dastünde. Mit ausgereiften Produkten würde ich erst 2019 rechnen. Diese sogar als Plug&Play-Lösungen zu realisieren, wie es heute bei einigen etablierten Industrieprotokollen der Fall ist, das wird sicher noch länger dauern.

Erste Vorteile von TSN sind in greifbarer Nähe. Weitere Schritte hingegen noch zu gehen. Lässt sich Time-Sensitive Networking als Projekt überhaupt abschließen oder bleibt es ein ständiger Entwicklungsprozess?

Zahn: An dieser Stelle kommen die Feldbusse wieder ins Spiel. Denn auch, wenn sich mit TSN in den nächsten Jahren viel auf Kommunikationsseite lösen lässt, übernehmen die etablierten Industrieprotokolle ja heute bereits deutlich mehr als nur die Kommunikation. Spezielle Profile, Diagnose, Tools: Das sind alles Sachen, die für TSN noch entstehen müssen. Es bleibt also ein Prozess, auch wenn sich mit OPC UA als Anbindung an die IT-Ebene sicherlich einiges an Arbeit sparen lässt.

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ISW Institut für Steuerungstechnik der

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