Rückblick auf 25 Jahre Siemens TIA

Automatisierung neu gedacht

Als Siemens vor 25 Jahren Totally Integrated Automation, kurz TIA, einführte, wurde der Markt auch mit einer völlig neuen Automatisierungsweise konfrontiert. Das Konzept der Durchgängigkeit in einer integrierten Automation hat die gesamte Automatisierungstechnik nachhaltig beeinflusst.
Bild: Siemens AG

TIA hatte es nicht ganz leicht. Die 1979 in den Markt gebrachte Simatic S5 war auch 15 Jahre später noch überaus erfolgreich. Erstmals waren mit ihr konsequent alle Darstellungsarten für ein Anwenderprogramm angeboten worden: Anweisungsliste, Funktionsplan und Kontaktplan. Allerdings: Die Konfiguration wurde damals mit aus heutiger Sicht recht umständlichen Programmiergeräten unter Step 5 vorgenommen. Alles, was moderne Engineering-Tools heute in einer Systemarchitektur vereinen – Kommunikation, Datenmanagement oder Diagnose -, musste damals manuell angelegt werden. Als dann 1994 mit der Simatic S7 der bis heute aktuelle und stetig weiterentwickelte Nachfolger in den Startlöchern stand (auch wenn die S5 noch viele Jahre im Programm blieb), war auch die Zeit für eine neue Programmierweise gekommen: Die PC-basierte Programmierung mit Simatc Step7. Und TIA (Totally Integrated Automation) sollte das Ganze dann ab 1996 noch eine ganze Stufe weiter treiben.

Als eine der treibenden Kräfte hinter dem Konzept von TIA wird gerne Klaus Wucherer genannt, der ab 1986 mehrere Siemens-Geschäftszweige in Erlangen und Nürnberg verantwortete und 1996 Mitglied des Bereichsvorstands Automatisierungstechnik wurde. In seine Amtszeit, ab 1999 als Mitglied des Vorstands der Siemens AG, fiel auf jeden Fall die Markteinführung und auch die Marktbearbeitung – denn das neue Konzept hatte anfangs nicht nur Freunde. Mit seinem integrierten, durchgängigen Ansatz war TIA für die damalige Zeit eine völlig neue Art der Automatisierung und rückblickend betrachtet ein Quantensprung, der zeigte, wie Maschinenentwicklung in Zukunft funktionieren könnte. Für handbediengeräterprobte Techniker eine unter Umständen durchaus beängstigende Vorstellung. Entsprechend stiegen anfangs die Verkaufszahlen der neuen S7-300 bei weitem nicht so an, wie sich das Produktmanagement es vorgestellt hatte. Die Kunden kauften schlichtweg weiterhin die gute alte S5. Erst auf die Jahrtausendwende hin begann die Akzeptanz des neuen Automatisierungsansatzes bei den Kunden zu steigen, auch weil die Prozessleittechnik mit Simatic PCS7 auf die S7-Steuerungstechnik migrierte.

 Noch in den 90er-Jahren war die SPS-Programmierung mit Programmiergeräten gang und gäbe. Die PC-Programmierung musste sich erst durchsetzen.
Noch in den 90er-Jahren war die SPS-Programmierung mit Programmiergeräten gang und gäbe. Die PC-Programmierung musste sich erst durchsetzen.Bild: Siemens AG

Stetige Weiterentwicklung

Von Anfang an waren die Kernelemente von Totally Integrated Automation die integrierte Kommunikation, das integrierte Datenmanagement und die integrierte Diagnose. Im Laufe der Jahre sind weitere Aspekte in das Automatisierungskonzept eingeflossen, etwa integrierte Sicherheit, heute auch Edge-Computing. Ein besonders wichtiger Meilenstein war 2010 die Einführung von TIA Portal – einer der aufwendigsten Produktlaunches der Siemens-Geschichte. Es gab damals global parallel stattfindende halbautomatische Präsentationen: Überall auf der Welt wurde das gleiche Video abgespielt, die jeweiligen gesprochenen Präsentationen wurden dann live in verschiedenen Sprachen gehalten.

Auch jenseits des Show-Effekts war TIA Portal ein wichtiger Schritt. Das System sollte die Integration noch weiter vorantreiben und die nahtlose Verzahnung von Hardware, Software und Services von der Feld- bis zur Leitebene ermöglichen. Das Engineering-Framework integriert nicht nur die grundlegende Software (Simatic Step7, Simatic WinCC, Sinamics Startdrive, Simocode ES und Simotion Scout TIA), sondern auch zusätzliche Funktionalitäten wie TIA Portal Multiuser Engineering und Energiemanagement mit Simatic Energy Suite über ein einziges Interface. Das Automatisierungskonzept umfasst also heute nicht mehr nur Steuerungen, sondern auch Motoren, Umrichter, HMI und das Prozessleitsystem. Es ermöglicht so den vollständigen Zugriff auf die gesamte digitalisierte Automatisierung von der digitalen Planung über integriertes Engineering bis zum transparenten Betrieb. Alle Betriebs-, Maschinen- und Anlagenabläufe lassen sich in dieser Entwicklungsumgebung handhaben. So kann TIA zu einer wichtigen Informationsquelle für Unternehmen werden, da es nicht nur Produktionsdaten sammelt, sondern diese auch in einen Kontext stellt, der es ermöglicht, wichtige Entscheidungen faktenbasiert zu treffen.

Man darf sagen, Ehre wem Ehre gebührt: Siemens hat mit TIA und TIA Portal Pionierarbeit geleistet und einen konzeptionellen Standard gesetzt, der in unterschiedlichsten Engineering-Tools etlicher Wettbewerber seine Nachahmer gefunden hat. Welches System heute das Beste ist, muss jeder Entwickler selber entscheiden, aber unbestritten bleibt, dass Siemens hier den Weg bereitet hat.

 Durch die Einbindung in Mindsphere sind die Dienste von TIA heute auch cloudbasiert verfügbar und können mit mobilen Endgeräten genutzt werden.
Durch die Einbindung in Mindsphere sind die Dienste von TIA heute auch cloudbasiert verfügbar und können mit mobilen Endgeräten genutzt werden.Bild: Siemens AG

Der Ausblick: Integration hoch drei

Die Industrie und die damit einhergehenden Anforderungen an die Automatisierung haben sich seit der Einführung von TIA deutlich verändert. Die Digitalisierung ergreift alle Gesellschaftsbereiche und manche sehen schon die vierte industrielle Revolution. So oder so, in den Fabriken entsteht eine Vielzahl an Daten. Diese Daten sind einerseits der Schlüssel zu Optimierung und Wettbewerbsfähigkeit, andererseits wächst deren Menge und die Vielfalt ihrer Quellen rapide. Deren clevere Analyse ist der Schlüssel, um auf die immer differenzierteren Kundenwünsche eingehen zu können, die bis hin zu einer flexiblen Produktion von Losgröße 1 reichen.

Um dem gerecht zu werden, braucht es ein hohes Maß an Datentransparenz und -qualität. Deshalb wurde der integrierte Ansatz weiterentwickelt. TIA steht heute nach wie vor für Durchgängigkeit: Alle Komponenten und Kompetenzen harmonieren und kommunizieren miteinander. Aber das passiert nicht mehr nur auf der Feldebene, sondern bis hin zur Unternehmensleitebene und mit Raum für Innovationen, die bereits heute hineingedacht und schrittweise integriert werden. Das Ergebnis nennt Siemens nun Integration hoch drei.

Realisiert wird dieser Fortschritt durch konsistente Datenhaltung, weltweite Standards, einheitliche Schnittstellen und Offenheit – von OT (Operational Technology) hin zu IT (Infomationstechnik). Auf der Produktionsebene, also im OT-Bereich, wird eine Vielzahl an Daten durch Sensoren und Aktoren erzeugt, um Automatisierungsaufgaben realisieren zu können. Im IT-Bereich wiederum sind per Definition schon eine Menge Informationen vorhanden. Der Mehrwert und die Basis neuer Geschäftsmodelle besteht darin, diese beiden Welten zusammenzuführen, um Informationen aus beiden Bereichen gleichzeitig verwenden zu können.

Mit TIA bietet Siemens seit Langem eine Infrastruktur, um alle Informationen aus dem OT-Bereich zu sammeln. Somit stehen die Daten in den meisten Anlagen bereits zur Verfügung. Für die Kommunikation in den IT-Bereich setzt Siemens auf den offenen Standard OPC UA. Dieser bietet nicht nur Konnektivität, sondern definiert mit den OPC UA Companion Specifications Standards für die Datenstruktur. Die Spezifikationen lassen sich einfach via Drag&Drop in TIA Portal implementieren.

Seiten: 1 2Auf einer Seite lesen

Das könnte Sie auch Interessieren

Weitere Beiträge

Bild: Siemens AG
Bild: Siemens AG
Vision-Integration per App

Vision-Integration per App

Qualitätskontrolle ist in der modernen Industrie von entscheidender Bedeutung. Mit Machine Vision wird sie weniger fehleranfällig, zeitaufwändig und kostspielig. Durch die Aufnahme von zwei Anbietern der industriellen Bildverarbeitung in das Siemens-Industrial-Edge-Ökosystem können neue skalierbare Bildverarbeitungslösungen effizient und nahtlos in die Produktionsautomatisierung integriert werden.

mehr lesen
Bild: ©Media Whale Stock/shutterstock.com
Bild: ©Media Whale Stock/shutterstock.com
Verfügbarkeit erhöht 
und Kosten gespart

Verfügbarkeit erhöht und Kosten gespart

Herausforderungen in der Lieferkette waren während der Pandemie ein Damoklesschwert für viele Unternehmen. Der spanische Maschinenbauer Tecnobox hat diese Herausforderung als Chance genutzt und seinen Zulieferer gewechselt. Mit dem umfassenden Portfolio von Delta Electronics ist es dem Unternehmen gelungen, seine Verfügbarkeit zu erhöhen und zudem ein Viertel der Kosten einzusparen.

mehr lesen
Bild: ISW der Universität Stuttgart
Bild: ISW der Universität Stuttgart
Domänenspezifische Sprache

Domänenspezifische Sprache

Ein grundlegender Baustein zur Flexibilisierung von Automatisierungssystemen aus Softwaresicht sind modulare, virtualisierte Echtzeitarchitekturen, die als verteilte Echtzeitsysteme realisiert werden. Um Entwickler in die Lage zu versetzen, robuste Systeme hinsichtlich der Echtzeiteigenschaften zu entwerfen und zu verwalten, wurde am ISW der Universität Stuttgart auf Basis einer domänenspezifischen Sprache ein Werkzeug entwickelt, das die Analyse des Echtzeitverhaltens sowie die automatisierte Echtzeitorchestrierung Container-basierter Steuerungsanwendungen mit Kubernetes und Docker-Compose erlaubt.

mehr lesen