Maschinen in der Prozesstechnik unter dem Aspekt der funktionalen Sicherheit

Eine Anlage – zwei Welten

Maschinen in verfahrenstechnischen Anlagen dienen normalerweise einem bestimmten Verwendungszweck und sind durch Druckgeräte wie Druckbehälter oder Rohrleitungen voneinander getrennt. Hinsichtlich der funktionalen Sicherheit sind Druckgeräte in Prozessanlagen allerdings von der Maschinenrichtlinie ausgenommen, es sei denn, sie sind fester Bestandteil einer Maschine. Damit stellt sich dem Anwender die Frage nach der Beziehung der Maschinenrichtlinie zur Verfahrenstechnik generell.
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XXXBild: Pepperl+Fuchs GmbH

In der Prozessindustrie werden EG-Richtlinien und Normen angewendet, um die verfahrenstechnische Anlage nach gewünschten Funktion anwenden zu können oder gemäß CE-Konformitätsverfahren Inverkehrbringen zu können. Das Ziel ist dabei, alle potentiellen Gefahren vollständig zu ermitteln. Unter verfahrenstechnische Anlagen werden insbesondere chemischer Produktionsprozesse oder thermischer Trennprozesse verstanden. Dabei gehen von der Anlage oder Maschine während des Gesamt-Lebenszyklus von Planung, Konstruktion, Installation, Inbetriebnahme und Betrieb bis hin zu Wartung Gefahren für Mensch, Maschine und Umwelt aus. Um die Risiken auf ein vernünftige Maß zu begrenzen, werden Geräte wie Stell- und Sperreinrichtungen, Pumpen zur Förderung von Stoffen oder Einrichtungen beispielsweise zum Temperieren oder Mischen von Stoffen eingesetzt. Bei der Planung und der Einstufung der Anlage oder Maschine ergeben sich dabei typische Fragestellungen:

  • Welche Normen sind für die Maschinenrichtlinie oder die verfahrenstechnische Anlage relevant?
  • Wie sind die oben genannten Teile der verfahrenstechnischer Anlage im Sinne der Maschinenrichtlinie einzuordnen?
  • Was bedeutet ‚Gesamtheit von Maschinen‘?
  • Was bedeutet ‚unvollständige Maschine‘?
  • Was bedeutet in der DIN EN61508-4 hinsichtlich der Gesamtsicherheit der Maschine oder Anlage?
Bild: Pepperl+Fuchs GmbH

Relevante Richtlinien und Normen

Aufgrund der gestiegenen Komplexität von Maschinen und Anlagen war es notwendig, einen Standardisierungsgrad zu erreichen. Hierzu wurde die ‚Sicherheits-Grundnorm‘ DIN EN61508 in der die ‚Funktionale Sicherheit‘ bezüglich sicherheitsbezogener elektrischer/elektronischer und programmierbarer elektronischer Systeme grundsätzlich festgelegt.

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XXXBild: Pepperl+Fuchs GmbH

Anwendungsbereiche der Maschinenrichtlinie

Die Richtlinie 2006/42/EG wird allgemein als ‚Maschinenrichtlinie‘ bezeichnet und deckt folgende Anwendungsbereiche ab:

Maschinen:

Dabei ist eine Maschine eine mit einem anderen Antriebssystem als der unmittelbar eingesetzten menschlichen oder tierischen Kraft ausgestattete oder dafür vorgesehene Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines bzw. eine beweglich ist und die für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt sind

  • der lediglich Teile fehlen, die sie mit ihrem Einsatzort oder mit ihren Energie- und Antriebsquellen verbinden.
  • und die erst nach Anbringung auf einem Beförderungsmittel oder Installation in einem Gebäude oder Bauwerk funktionsfertig ist.

Gesamtheit von Maschinen:

Dies bedeutet eine Gesamtheit von Maschinen, die, damit sie zusammenwirken, so angeordnet sind und betätigt werden, dass sie als Gesamtheit funktionieren.

  • auswechselbare Ausrüstungen
  • Sicherheitsbauteile
  • Lastaufnahmemittel
  • Ketten, Seile, Gurte
  • abnehmbare Gelenkwellen

Unvollständige Maschinen:

Diese Terminus bezeichnet eine Gesamtheit, die fast eine Maschine bildet, für sich genommen aber keine bestimmte Funktion erfüllen kann. Ein Antriebssystem stellt eine unvollständige Maschine dar. Eine unvollständige Maschine ist nur dazu bestimmt, in andere Maschinen oder in andere unvollständige Maschinen oder Ausrüstungen eingebaut oder mit ihnen zusammengefügt zu werden, um zusammen mit ihnen eine Maschine im Sinne der Maschinenrichtlinie zu bilden..

Gemäß Artikel 1. der Maschinenrichtlinie gibt es einige Ausnahmen. Dazu zählen Maschinen, deren einzige Kraftquelle die unmittelbar angewandte menschliche Arbeitskraft ist (wobei hiervon wiederum Maschinen ausgenommen sind, die zum Heben von Lasten verwendet werden) sowie Elektromotoren. Weiterhin ausgenommen sind Maschinen für medizinische Zwecke, die in direktem Kontakt mit den Patienten verwendet werden, feststehende und verfahrbare Jahrmarktgeräte, Dampfkessel und Druckbehälter und Waffen. Die DIN EN61508-4 zur Funktionale Sicherheit sicherheitsbezogener elektrischer/elektronischer/programmierbarer elektronischer Systeme betrachtet die funktionale Sicherheit einen Teil der Gesamtsicherheit einer Maschine oder Anlage dar. Sie umfasst die Sicherheit, welche von der korrekten Funktion risikomindernder Systeme abhängt. Zu diesen Systemen zählen elektrische, elektronische sowie programmierbare elektronische Systeme (E/E/PE-Systeme). Sie führen Sicherheitsfunktionen aus und müssen in definierten Fehlerfällen mit einer bestimmten Zuverlässigkeit agieren. Das Ziel der funktionalen Sicherheit ist einerseits die Minimierung der Gefährdungen, die von einer Anlage ausgehen, andererseits jedoch die Funktion der Anlage durchgehend zu gewährleisten. Dies gilt auch außerhalb der normalen Betriebszustände, beispielsweise in Störfällen, in denen die Maschine ihre Funktion bis zu einem gewissen Maß ausüben kann. Zur Frage, ob eine verfahrenstechnische eine Maschine ist, gibt das CE-Konformitätsverfahren Auskunft. Der Anlagen- oder Maschinenbauer muss die oben genannten Punkte bewerten, um eine CE-Kennzeichnung für seine Anlage durchführen zu können. Dabei ist es sehr wichtig, die einzelnen Maschinen (M1, M2, M3 …) die bereits miteinander verkettet sind, als Gesamtheit gemäß folgendem Schema zu betrachten (Stichwort ‚Verkettete Anlage‘): Spätestens wo eine chemische Umformung stattfindet, werden Anlagen- oder Maschinenbauer erkennen, dass die Anlage nicht als „Gesamtheit von Maschinen“ eingestuft werden kann. Bei näherer Betrachtung wird man feststellen, dass einzelne Maschinen vor, während und nach der chemischen Umformung benötigt werden. Die einzelnen Maschinen, wie z.B. Pumpen oder Rührbehälter (Mischen), werden jedoch von der Maschinenrichtlinie erfasst. Daher können diese mit einer CE-Kennzeichnung gemäß MRL 2006/42/EG versehen werden. Zusammengefasst ist es nicht möglich, eine CE-Kennzeichnung im Sinne der Maschinenrichtlinie anzubringen, da die Anlage in ihrer Gesamtheit eine unvollständige Maschine ist, so im Kapitel I, Artikel 2, Absatz g) der Richtlinie 2006/42/EG ‚Begriffsbestimmungen‘ ausgeführt:

  • keine Konformitätserklärung für „unvollständige Maschinen“
  • keine Anbringung von CE-Zeichen, bevor die Maschine vollständig ist
Bewertungsschema: Gesamtheit von Maschinen, eine „Gesamtheit von Maschinen“ wird häufig auch als „verkettete Anlage“ bezeichnet.
Bewertungsschema: Gesamtheit von Maschinen, eine „Gesamtheit von Maschinen“ wird häufig auch als „verkettete Anlage“ bezeichnet.Bild: Pepperl+Fuchs GmbH

Fazit

Die Ziele aus Sicht eines Anlagenbetreibers, die Produktivität und Sicherheit seiner Anlage zu erhöhen und zu gewährleisten, wird durch die Funktionale Sicherheit erzielt und minimiert das Risiko hinsichtlich der Folgekosten, die durch Unfälle entstehen können. In der Praxis kommt es dabei zu Schwierigkeiten, da sich die chemische-pharmazeutische Industrie von der Maschinenherstellern unterscheidet. Der Hersteller, das heißt der Anlagenbauer, muss daher die geltenden Richtlinien sorgfältig aussuchen und auf die Anwendbarkeit prüfen (Stichwort: ‚Anwendungsbereich‘). Treffen mehrere EG-Richtlinien zu, so ist zu beachten, was zum jeweiligen Anwendungsbereich in der Richtlinie steht. Sobald sicher feststeht, unter welche Richtlinie(n) die Anlage fällt, kann das Inverkehrbringen unter Einhaltung der Sicherheitsziele erfolgreich durchgeführt werden.

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