Herr Scholle, was hat es mit der EU Maschinenverordnung auf sich und warum wird die bisher gültige Maschinenrichtlinie ersetzt?
Am 19. Juli 2023 ist die neue EU-Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 in Kraft getreten, die die EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ablösen soll. Dieses neue Regelwerk für die Sicherheit von Maschinen muss ab dem Stichtag 20. Januar 2027 angewendet werden. Hiermit vollzieht die EU einen konzeptionellen Wechsel von Richtlinien zu Verordnungen, vermutlich mit dem Ziel, mehr Kontrolle über die nationale Gesetzgebung zu erlangen. Ein konzeptioneller Unterschied zwischen Verordnungen und Richtlinien besteht darin, dass erstere nicht in nationales Recht überführt werden müssen. Hierdurch ist der Einfluss der einzelnen Mitgliedsstaaten auf die Interpretation des Textes – ob unbewusst oder bewusst – stark eingeschränkt.
Für was gilt die Maschinenverordnung?
Die Maschinenverordnung gilt für alle Maschinen, einschließlich unvollständiger Maschinen und ‚dazugehöriger Produkte‘, die auf dem Markt der EU in Verkehr gebracht werden. Sie richtet sich in erster Linie an Hersteller, aber auch an Importeure und Händler. Unter bestimmten Umständen können auch Betreiber als ‚Quasi-Hersteller‘ angesehen werden. Zu den ‚dazugehörigen Produkten‘ gehören unter anderem auch Sicherheitsbauteile. Diese können nun auch aus reiner Software bestehen. Zudem werden auch Komponenten mit selbstentwickelndem Verhalten erfasst, sofern sie Sicherheitsfunktionen ausführen und ihr Verhalten selbstlernend ändern oder anpassen.
Was wird sich nun für wen ändern?
Mit der Maschinenverordnung ändern sich einige Rollen und Pflichten der Wirtschaftsakteure. Dies betrifft zum einen die Rolle des Importeurs, definiert als eine in der EU ansässige Person, die ein Produkt aus einem Drittland auf dem EU-Markt in Verkehr bringt. Der Importeur übernimmt viele der Pflichten des Herstellers und muss diesen in zahlreichen Punkten überprüfen. Außerdem muss der Importeur nicht nur seine Kontaktdaten angeben und das Beschwerdeverzeichnis führen, sondern ist auch für die ordnungsgemäße Lagerung und den Transport der Maschine sowie der dazugehörigen Produkte verantwortlich. Zum anderen wurde auch die Rolle des Händlers neu definiert. Dieser wird nun als eine Person in der Lieferkette definiert, die ein Produkt auf dem Markt bereitstellt, aber weder Hersteller noch Importeur ist. Auch der Händler ist selbstverständlich für die ordnungsgemäße Lagerung und den Transport verantwortlich.
Wenn ein Importeur oder Händler ein Produkt unter seinem eigenen Namen in Verkehr bringt oder Änderungen vornimmt, die die Konformität beeinträchtigen, wird dieser unter Umständen zum Hersteller eines rechtlich neuen Produkts mit allen damit verbundenen Verpflichtungen. Grundsätzlich darf kein Wirtschaftsakteur, egal ob Hersteller, Importeur oder Händler, eine Maschine in Verkehr bringen, sofern Zweifel an der Konformität bestehen.
Was ändert sich für die sogenannten ‚Anhang IV-Maschinen‘?
Diese Kategorien von Maschinen werden auch gerne als ‚Hochrisikomaschinen‘ bezeichnet. Dabei taucht der Begriff ‚Hochrisiko‘ in diesem Zusammenhang in der Maschinenverordnung jedoch nicht auf. Der entsprechende Anhang I ist in zwei Teile gegliedert: Teil A listet Maschinen auf, für die unabhängig von den angewandten Normen eine Baumusterprüfung durch eine benannte Stelle vorgeschrieben ist. Dies betrifft unter anderem abnehmbare Gelenkwellen bzw. dafür genutzte Schutzvorrichtungen, Hebebühnen für Fahrzeuge sowie tragbare Befestigungsgeräte mit Treibladung und andere Schussgeräte. Eine Baumusterprüfung muss auch für Sicherheitsbauteile mit selbstentwickelndem Verhalten, sowie für Maschinen, die diese Technologieaspekte nutzen, durchgeführt werden. Bei allen in Teil B aufgeführten Maschinen ist eine Prüfung durch eine benannte Stelle nur bei Bedarf notwendig – vergleichbar mit der bisherigen Verfahrensweise nach der Maschinenrichtlinie. Zukünftige Anpassungen der Liste sind möglich. Zunächst am 20.07.2026 – und damit gerade einmal sechs Monate vor dem Stichtag – danach alle fünf Jahre.
Welche Änderungen gibt es bei den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen?
Die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen, kurz GSA, finden sich jetzt in Anhang III (vorher Anhang I). Leider werden in der Maschinenverordnung offensichtlich die Begriffe ‚Risiko‘ und ‚Gefährdung‘ des Öfteren missbräuchlich verwendet. Relevante Änderungen im Bereich der Ergonomie haben eventuell Auswirkungen auf anthropometrische Daten, z.B. Körpermaße. Falls sich die entsprechenden Körpermaßdaten in zugrundeliegenden Normen ändern, wären auch Anpassungen an zentralen harmonisierten Normen zu Sicherheitsabständen im Maschinenbau zu erwarten. Diese Änderungen stehen auch im Zusammenhang mit anderen neuen Anforderungen zur ergonomischen Gestaltung der Maschine. Maschinen bzw. dazugehörige Produkte mit autonomem Betriebsverhalten müssen dem Nutzer geplante Aktionen auf verständliche Weise mitteilen.
Neuerungen gibt es auch beim Schutz vor Korrumpierung – gerne wird hierbei auch auf den Begriff ‚Cybersecurity‘ verwiesen. Hier muss nicht nur der Zugriff verhindert, sondern es müssen auch Beweise gesammelt und Versuche dokumentiert werden. Für diese Beweise gilt eine Aufbewahrungsfrist von fünf Jahren. Definiert ist auch, dass die Maschine bei einem Kommunikationsausfall nicht mehr zwingenderweise unmittelbar stoppen muss. Stattdessen wird allgemeiner definiert, dass es hierbei nicht zu einer gefahrbringenden Situation kommen darf. Außerdem ist die Berücksichtigung der Notfallrettung von Personen aus Maschinen nun Teil der Anforderungen.
Was muss bezüglich der digitalen Bedingungsanleitung beachtet werden?
Grundsätzlich sieht die Maschinenverordnung eine klar beschriebene Möglichkeit zur digitalen Bereitstellung der Betriebsanleitung vor. In diesem Fall muss jedoch der Bezugsweg, z.B. die entsprechende Website, angegeben werden. Darüber hinaus kann der Nutzer beim Kauf der Maschine die Betriebsanleitung in Papierform fordern, die dann innerhalb eines Monats kostenlos bereitgestellt werden muss. Der sicherheitsrelevante Quellcode ist nun ebenfalls Teil der Dokumentation, muss aber nur Marktüberwachungsbehörden ausgehändigt werden. Bei Bedarf kann den Behörden explizit mitgeteilt werden, dass der Code als Geschäftsgeheimnis zu betrachten ist. Außerdem ist die Konformitätserklärung nicht mehr Teil der technischen Dokumentation, was eventuell Vereinfachungen etwa bei Serienmaschinen erlaubt. Neu ist die Verpflichtung, die Prüfung der Sicherheitsfunktionen in der Betriebsanleitung zu beschreiben und bei Bedarf das notwendige Zubehör oder Spezialwerkzeug mitzuliefern. Auch das Verfahren zur Rettung von Personen aus der Maschine muss beschrieben werden.
Was sollten Hersteller und Betreiber schon heute tun?
Es ist ratsam, den aktuellen CE-Prozess auf Konformität mit der aktuell nach wie vor geltenden Maschinenrichtlinie zu überprüfen und die Risikobewertungsvorlagen im Hinblick auf Cybersecurity und KI anzupassen. Es kann auch ratsam sein, ein Konzept für die Bereitstellung digitaler Unterlagen zu entwickeln und das Typenschild um eine E-Mail- und Internetadresse zu ergänzen. Diejenigen, die in dieser Angelegenheit externe Unterstützung suchen, dürfen sich jederzeit an uns wenden. Unser Safety-Service-Team bei Wieland Electric stellt sicher, dass sie auf die neue Verordnung ab Januar 2027 gut vorbereitet sind.