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Bestehende Anlagen smart machen ohne Denkverbot

So schont das Konzept der Reverse Digitalization Investitionen

Altes raus, Neues rein! Eine Digitalisierung nach diesem Prinzip wäre durchaus effektiv. Sie würde jedoch zugleich viele Werte vernichten, die in den Industrieanlagen stecken. Das sollte nicht sein und muss es auch nicht. Eine Reverse Digitalization bewahrt Investitionen, wenn sie vollumfänglich, individuell und herstellerunabhängig erfolgt - also nach einem Konzept ohne Denkverbot.
 Die Digitalisierung bringt bestehenden Anlagen, wie etwa Häfen, vielschichtige Vorteile in technischer und ökonomischer Hinsicht.
Die Digitalisierung bringt bestehenden Anlagen, wie etwa Häfen, vielschichtige Vorteile in technischer und ökonomischer Hinsicht. Bild: ©kosssmosss/stock.adobe.com

Ratten können eine Plage sein. Das weiß der Betreiber eines großen Getreidespeichers im Hamburger Hafen nur zu gut. Er hat deshalb mehr als 130 Fallen an den neuralgischen Punkten auf dem Firmengelände aufgestellt. Deren Erfolg ließ sich in der Vergangenheit nur auf eine Weise ermitteln: Ein Mitarbeiter musste täglich einen zeitraubenden Kontrollgang unternehmen. Damit ist nun Schluss: Die Überwachung der Rattenfallen erfolgt mittlerweile über einen Sensor. Er meldet via Funkeinheit, wo ein Nager gefangen sitzt oder ob einer der ungebetenen Besucher wieder ausgebüxt ist und die Falle neu aktiviert werden muss. Die Rattenfänger des Unternehmens können mit dem Schädlingsbekämpfungsmanagement nun gezielt reagieren und vergeuden keine Zeit mehr mit Leerfallen.

 Typ Netris1 Wika Funkeinheit mit LoRaWAN für Wika-Messgeräte.
Typ Netris1 Wika Funkeinheit mit LoRaWAN für Wika-Messgeräte.Bild: Wika Alexander Wiegand SE & Co. KG

Technische und ökonomische Aspekte

Dieses Beispiel zeigt, auf welch vielschichtige Weise die Digitalisierung bestehender Anlagen über eine IIoT-Infrastruktur die Sicherheit der Verfahren, die Laufzeiten der Maschinen und die Betriebskosten optimieren kann. Die Transformation ist angesichts des Ausmaßes vieler Produktionsstätten eine gewaltige Aufgabe, nicht nur technisch. Sie hat auch einen ökonomischen Aspekt, der über die Kosten des Wandels hinausreicht. Die Bruttoanlageinvestitionen der Unternehmen in Deutschland belaufen sich nach Angaben des Statischen Bundesamtes auf mehr als 870 Mrd. Euro (Stand: 2022). Ein beträchtlicher Teil davon entfällt auf die Sinnesorgane und Nervenstränge der Verfahren: auf die Instrumentierung zum Messen, Steuern und Regeln. Diesen Bereich haben die Unternehmen im Zuge der Automatisierung unter hohem Kostenaufwand neu ausgerichtet und von den Messtechnik-Herstellern zunehmend leistungsstärkere Geräte angefordert. Da die Prozesse in wachsendem Maß am oberen Limit betrieben wurden, bedurfte es einer immer präziseren und robusten Sensorik.

Mit dem Einsetzen der Digitalisierung ist bei vielen Geräten dieser Generation der Lebenszyklus noch längst nicht ausgeschöpft. Der Wunsch, eine solche Qualität vollends zu nutzen, ist nachvollziehbar. Würde jede Neuinstrumentierung jedoch erst beim regulären Austauschintervall erfolgen, ließe sich eine digitale Transformation nur stückweise verwirklichen. Das wäre nicht zielführend.

 Typ PGW23 Rohrfedermanometer mit Funkübertragung.
Typ PGW23 Rohrfedermanometer mit Funkübertragung.Bild: Wika Alexander Wiegand SE & Co. KG

Skalierbare Third-PartyIntegration

Vor diesem Hintergrund hat der Messtechnikhersteller Wika als IIoT-Partner und Solution Provider das Konzept der kundenspezifischen Reverse Digitalization entwickelt. Es baut unabhängig von der Herkunft der Komponenten auf dem Ist-Zustand auf (Third-Party-Integration) und ist skalierbar. Ob es sich um einen Getreidespeicher oder eine große Chemieanlage handelt: Die Reverse Digitalization ermöglicht den Unternehmen mit Blick auf die weitestgehende Sicherung bisheriger Investitionen einen großen Spielraum. Das Konzept setzt auf der Sensorebene an. Schließlich werden dort alle Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette generiert, auf deren Basis die künftigen Unternehmensentscheidungen beruhen. Eine Bestandsaufnahme zeigt dabei auf, welche Instrumentierung smart gemacht werden kann und bei welcher ein Austausch zwingend notwendig ist.

Der überwiegende Teil der Messstellen ist mittlerweile mit elektronischen Geräten bestückt, die zum größten Teil über ein analoges Standardsignal wie 4-20mA verfügen. Ihr Output wird nun mittels Bridge-Einheiten in ein Digitalsignal umgewandelt. Brücken sind wahlweise mit Spannungsversorgung, Batteriebetrieb und/oder ATEX-Zulassung ausgeführt und daher problemlos in bestehende Abläufe einzubinden. Mit solchen Units werden künftig selbst rein analoge Messgeräte, die vor allem in kritischen Prozessen als Back-up unverzichtbar sind, in eine digitale Struktur integriert.

 Die Digitalisierung bringt bestehenden Anlagen, wie etwa Häfen, vielschichtige Vorteile in technischer und ökonomischer Hinsicht.
Die Digitalisierung bringt bestehenden Anlagen, wie etwa Häfen, vielschichtige Vorteile in technischer und ökonomischer Hinsicht. Bild: ©kosssmosss/stock.adobe.com

Übertragung mit LPWAN, Ethernet und Cloud

Die mit den Sensoren verbundenen Bridges übertragen die Datensignale an Gateways oder direkt in einen zentralen Datenpool. Damit stellt sich die Frage nach der Konnektivität, die auch eine bidirektionale Kommunikation ermöglicht. Erfahrungsgemäß verursachen LPWAN-Lösungen mit batteriebetriebenen Geräten den geringsten Aufwand. Sie sind für alle Messgrößen anwendbar, mit Ausnahme von Durchfluss: Eine Flow-Instrumentierung muss in der Regel mächtige Datenvolumina verarbeiten und benötigt daher eine entsprechende Energieversorgung. Eine Lösung mit Batteriebetrieb würde in dem Fall nur kurze Standzeiten erlauben.

Welcher LPWAN-Standard in Frage kommt, ergibt sich aus der jeweiligen Applikation und den topografischen Gegebenheiten. Wika zum Beispiel greift auf Mioty, LoRaWAN und NB-IoT zurück, um flexibel zu sein und um Distanzen bis zu 30km überbrücken zu können. Unter Einsatz von Hybrid-Gateways lassen sich unterschiedliche Standards in einem System bündeln. Neben LPWAN ist Ethernet zur Datenübermittlung keinesfalls ausgeschlossen. Mobilfunk-Standards sind vor allem für den Austausch mit überregionalen Transporteinheiten eine Option. Sämtliche Daten münden via Netzwerk entweder in eine Cloud oder in einen kundeneigenen On-Premise-Server. Dort werden sie mit entsprechenden Tools validiert, anforderungsgemäß aufbereitet und als Entscheidungsgrundlage auf einem Dashboard für Condition Monitoring, Preditictive Maintenance, Risikomanagement, Energiesteuerung und ähnlichen Aufgaben visualisiert.

Risiko- und Alarmmanagement in der Praxis

Der Betreiber des Getreidesilos mit angeschlossenem Logistikcenter im Hamburger Hafen, dessen Digitalisierung Wika über das Reverse-Konzept umsetzte, konzentriert sich auf das Risiko- und Alarmmanagement. Die Remote-Überwachung der Betriebsabläufe mit einer Mioty- und LoRaWAN-Infrastruktur als Kommunikationsgerüst ist selbst mit einer einzigen Person gewährleistet. Die Dimension des täglichen Getreideumschlags, der nahezu ausschließlich per Schiff erfolgt, untermauert die Priorität eines lückenlosen Monitorings zur Schadensprävention. Der Saugschlauch am Anleger für die Be- und Entladung der Frachter arbeitet mit einer Kapazität von 250t/h. Für den reibungslosen Ablauf ist eine zuverlässige Überwachung von Unter- und Überdruck unabdingbar. Im Fehlerfall löst die Sensorik einen Shutdown aus, um ein Rückstau zu vermeiden.

Eine weitere Kontrollfunktion betrifft die in den Verlade- und Verteilungsprozess integrierten Förderbänder. Temperatursensoren überwachen deren Kugellager zum Schutz vor Überhitzung. Diese würde zwangsläufig zum Ausfall der Bänder führen. Zuvor könnten die heißen Kugellager noch Getreide zum Schwelen bringen, was einen Brand oder – bei entzündlichem Staub – eine Explosion in dem 1000t fassenden Speicher verursachen kann.

Tiden-Vorhersage schafft weiteren Mehrwert

Die Digitalisierung einer bestehenden Anlage greift weiter als die reine Umwandlung der existierenden Prozesse. Der Aufbau der dafür notwendigen IIoT-Infrastruktur eröffnet zusätzliche Möglichkeiten, im alltäglichen Betriebsablauf einen Mehrwert zu generieren. Der Betreiber des Getreidesilos z.B. hat sein Lademanagement durch eine Tiden-Vorhersage für das Hafenbecken optimiert. Er kann damit den günstigsten Zeitpunkt für das Andocken der Schiffe seiner Lieferanten bestimmen. Denn jede Minute zählt: Eine halbe Stunde Liegezeit schlägt mit 10.000 Euro zu Buche. In die Vorhersage-Funktion wurde zudem eine saisonale und KI-gesteuerte Tiden-Analyse implementiert, um künftig noch präzisere Wasserstandsmeldungen zu erhalten.

Geschäftsmodelle mit IIoT-Ökosystemen

IIoT-Ökosysteme sind skalierbar und damit offen für weitergehende Nutzungsmöglichkeiten in nachfolgenden Schritten. So lassen sich u.a. die Unternehmensdaten mit externen Informationen, z.B. Wirtschaftsprognosen, verknüpfen. Aus solchen Kombinationen können Entscheidungen resultieren, die über die kontinuierliche Verbesserung von Prozessabläufen und Betriebskosten hinausreichen, z.B. zur Entwicklung neuer Produkte für bestimmte Zielgruppen oder für ein zusätzliches Geschäftsmodell.

Letzteres bot sich für den Betreiber des Getreidesilos aufgrund eines topografischen Vorteils an: Sein Speicher hat eine Höhe von 63m. Ein perfekter Sende- und Empfangspunkt für das LPWAN-Netz, dessen Reichweite von dort aus den gesamten Hafen abdeckt. Deshalb und wegen der ausgeprägten Skalierbarkeit des Mioty-Standards wird der Betreiber in Zukunft auch als Provider auftreten und eine LPWAN-Infrastruktur für Digitalisierungsprojekte anderer Unternehmen im Hafen anbieten.

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