Expertenrunde: Wie sieht die Sensorik der Zukunft aus? Teil 1/2

Sensorik 2025

Wie sieht die Sensorik der Zukunft aus? Im ersten Teil unserer Expertenrunde mit den Firmen Balluff, Baumer, IFM, Sick und Turck hat das SPS-Magazin nachgefragt, wie sie die Themen Wireless, IO-Link und SPS beurteilen.

Inwieweit wird Wireless, z.B. 5G, Wifi6 oder LPWAN, die Sensorik verändern?

Oliver Marks (Turck): Sensorik, die kabellos kommunizieren kann, ist ein weiterer, wichtiger Baustein auf dem Weg zur flächendeckenden Implementierung von Condition Monitoring und Predictive Maintenance. Dies gilt insbesondere für Brownfield-Projekte, da dort der Verzicht auf eine nachträgliche Verkabelung deutliche Zeit-, Planungs- und Kostenvorteile bringt. Grundsätzlich sind bei der kabellosen Kommunikation zwei Punkte wichtig: jeder Sensor muss mit Energie versorgt werden. Das geht zwar auch mit Batterien bzw. Akkus, allerdings muss man sich dann über Themen wie Akkulaufzeiten Gedanken machen – oder aber man hat sehr lange Zykluszeiten. Das ist für Condition Monitoring nicht problematisch, zur Maschinensteuerung aber eher ungünstig. Gleiches gilt für das Thema Determinismus. Deshalb wird es sicher noch lange verkabelte Sensoren geben. Sehr viel sinnvoller ist es daher aus meiner Sicht, mehrere Signale bzw. Informationen funkbasiert z.B. in die Cloud zu transportieren – etwa mittels eines Edge-Gateways.

Peter Wienzek (IFM): Drahtlose Sensorik wird oft dann nachgefragt, wenn keine Kommunikationsinfrastruktur oder keine Stromversorgung zur Verfügung steht bzw. der Sensor an bewegten oder rotierenden Teilen angebracht werden soll. Als Vorreiter sind hier Vibrationssensoren zu nennen. Allerdings sind mögliche Applikationen, aufgrund der beschränkten Batteriekapazität und eingeschränkter Lebensdauer von z.B. fünf Jahren bei einer Aktualisierung pro Tag, überschaubar. 5G und Wifi6 sehen wir momentan eher als breitbandige Schnittstelle in Richtung IT, also an einem IO-Link-Master oder dem Edge-Gateway. Bei LPWAN-Netzwerken ist IFM bereits in der Mioty-Alliance aktiv.

Bernhard Müller (Sick): In der Outdoor-Automatisierung, bei FTS oder für portable Werkzeuge sind die Datenraten für das Senden über eine Wireless Verbindung zum Edge Computing begrenzt. Dies bedeutet, dass eine Komprimierung der Daten oder eine Reduzierung vor der Verarbeitung im Sensor stattfinden muss. Batteriefreie (Energie-autarke) oder batteriebetriebene Systeme, die typischerweise für das Verfolgen von Gütern eingesetzt werden, sind sehr kompakt und enthalten nur kleine Batterien oder Akkus. Das Aufladen oder Auswechseln aller Komponenten im System stellt einen großen Aufwand dar. Um dies zu vermeiden, wird der Bedarf an Energieoptimierung steigen. Ebenso gehen wir davon aus, dass eine Wireless-Verbindung auch mit neuen Technologien nicht immer verfügbar sein wird, sind zusätzlich integrierte Daten-Login-Funktionen erforderlich, die Daten lediglich für eine bestimmte Zeitspanne für einen späteren Versand speichern.

Lasse-Pekka Thiem (Baumer): Wir müssen die Anwendungsszenarien unterscheiden. In der Fabrik- und Prozessautomation wird sich aus meiner Sicht mittelfristig in der breiten Masse der Anwendungen wenig ändern. Bedenken Sie, im Prozessumfeld ist Funktechnologie noch immer schwierig zu realisieren. Doch die Anwendungen für die Sensorik sind längst über die Fabriken hinaus gewachsen und deshalb sehe ich vor allem in Remote-Outdoor-Anwendungen Potenziale für kabellose Verbindungen, z.B. bei der Überwachung von Abwasseranlagen oder die Füllstandskontrolle von Müllcontainern.

Dr. Elmar Büchler (Balluff): Hinsichtlich Sensorik und Aktorik wird IO-Link Wireless insbesondere dann von Bedeutung sein, wenn es um industrielle Automation mit entsprechenden Anforderungen an Echtzeitfähigkeit, Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit und Kosten geht. Auch bei niedrigen Bitfehlerraten ist die Performance von IO-Link Wireless einzigartig und eignet sich daher sehr gut für Anwendungen z.B. in der Robotik, Greifsysteme, Drehtische, im Maschinenbau, dem Ersatz von Schleppketten, der Intralogistik, bei Wechselwerkzeugen, u.v.m. Kommt es jedoch auf große Reichweiten oder Datenmengen an, sind Standards wie 5G, Wifi6, LPWAN und gegebenenfalls Lora und Mioty die bessere Wahl. Diese sind ideal für Anwendungen wie AGV, mobile Arbeitsmaschinen und mobile Bediengeräte bzw. für alle Geräte mit direkter Ethernet-Schnittstelle. IO-Link Wireless ermöglicht dagegen Anwendungen, die bis dato nicht realisierbar waren, z.B. ´intelligente´ Shuttles bei linearen Transportsystemen. Diese können, unabhängig vom Standort des Aufbaus, zuverlässig Steuerungsbefehle ausführen und somit die Performance erhöhen. Mit IO-Link Wireless konnten wir bereits Taktzeiten in Kundenapplikationen um das 5-fache erhöhen und die Anzahl der Fertigungsstraßen um 80% reduzieren.

Wie geht es weiter bei IO-Link und was macht IO-Link Wireless?

Thiem: IO-Link gewinnt weiter an Bedeutung und ein durchgängiges Produkteportfolio sehr vieler Anbieter ist mittlerweile auf dem Markt verfügbar. Die Anwender setzen sich im Zusammenhang mit Industrie 4.0 mit der Nutzung der neuen Möglichkeiten und den wirtschaftlichen Vorteilen, die Produkte mit IO-Link bieten, auseinander. Mit ergänzenden Softwarelösungen unterstützen wir Kunden dabei, Prozesse massiv zu verbessern. Ob bei der Parametrierung oder Inbetriebnahme bis hin zum Condition Monitoring der Anlagen. Es gibt für mich keine Alternative zu IO-Link für einfache Feldgeräte. IO-Link Wireless hat für uns derzeit aber noch keine Relevanz, da wir die drahtgebundene Variante weiter voran bringen wollen, damit diese mehr als die bisher geschätzten 10% Marktanteil an neu installierten Sensoren haben, z.B. bei der Integration in schwierig zur verdrahtende Applikationen wie Greifer.

Büchler: Selbst in der Krise wächst IO-Link um knapp 50% auf ca. 16 Millionen Knoten weltweit. Die aktuelle Notarstatistik wurde aktuell gestartet und ich erwarte mindestens 22 Millionen Knoten. Signifikant ist auch die Anzahl an angebotenen IO-Link-Produkten, die auf über 21.000 gestiegen ist. Dazu tragen die über 340 IO-Link-Mitglieder bei. Es gibt bereits über 50 IO-Link-Anbieter in China und in ähnlicher Größenordnung in Japan und weiteren Ländern. Wir erwarten hinsichtlich IO-Link Safety und Wireless dieses Jahr einen Zuwachs an neuen Produkten. Daneben wird an weiter verbesserten Integrationen und Profilen für verschiedenste Steuerungen gearbeitet. Um dem Anspruch von IO-Link als IIoT-Technologie gerecht zu werden, wurden bereits Integrationen für OPC, JSON, MQTT oder http realisiert bzw. beschäftigen sich zwei Arbeitsgruppen sowohl mit Themen wie SPE (Single Pair Ethernet) als auch mit Automation ML am digitalen Zwilling von IO-Link.

Wienzek: IO-Link ist dank exponentiellem, weltweiten Mitgliederzuwachs in der Lage auf Basis des Standards IEC61131-9 ein einheitliches Ökosystem aufzubauen. Dies besteht aus der digitalen Sensor-/Aktorschnittstelle, die um sicherheits-gerichtete Kommunikation nach SIL3 bzw. PLe ergänzt wurde. Als weitere Physik wurde IO-Link Wireless spezifiziert, das für kurze Strecken bis zu 20m Radius und Anwendungen, bei denen nicht einfach eine Leitung verwendet werden kann, konzipiert ist. Dies können rotierende Systeme wie z.B. Flaschenabfüller, Roboterarme oder Linearbewegungen sein, bei denen die Kabel regelmäßig ersetzt werden müssen. Es gibt bereits IO-Link-Wireless-Produkte von verschiedenen Herstellern, die in ersten realen Projekten ihre Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt haben. Als Projektpartner hat IFM Durchflusssensoren über IO-Link-Wireless-Bridges und Wireless-Master zur Energieaufzeichnung an Maschinen eingesetzt. IO-Link drahtgebunden und Wireless nutzen die bewährten IO-Link Beschreibungsdateien (IODD), Softwaretools und Übertragungsmechanismen, sodass es für den Anwender und Programmierer keinen Unterschied macht über welchen Übertragungsweg die Signale fließen. Momentan werden von den Geräteherstellern weitere IO-Link-Profile definiert, z.B. für smarte Aktuatoren, Ventile, Sicherungen, Netzteile und Anzeigeleuchten. Es entsteht also ein Ökosystem, das für Kunden und Hersteller eine breite Basis bildet.

Marks: IO-Link ist mittlerweile eine seit Jahren etablierte und extrem wichtige Technologie für die Industrielle Automatisierungstechnik. Nachdem es sich zuerst bei komplexeren Devices als Kommunikationsstandard durchgesetzt hat, ist es nun auch bei den einfacheren Sensoren angekommen. In sehr vielen, auch binären Sensoren ist ohnehin ein Mikroprozessor verbaut, sodass man IO-Link quasi ohne Mehrkosten implementieren kann. Dann ist für unsere Kunden auch die Kosten-Nutzen-Rechnung einfach, da man zusätzliche Informationen über seine Maschine bekommt, die man zur Verbesserung der Anlage einsetzen kann. Auch eine einfache Inbetriebnahme für komplexe Sensoren, die parametriert werden müssen, ist so ohne weitere proprietäre Software-Tools möglich. Exzellentes Beispiel dafür sind unsere neuen Radarsensoren, bei denen man z.B. über den im IO-Link-Master implementierten Web-Server einfach eine Vorder- und Hintergrundausblendung durchführen kann oder Störsignale, die durch Gitterstrukturen, Rührwerke oder ähnliches entstehen, unterdrücken kann. IO-Link Wireless ist sicherlich interessant für Nischenanwendungen und Nachrüstungen, muss aber ansonsten natürlich dieselben Herausforderungen meistern, wie schon bei den Wireless-Sensoren beschrieben.

Müller: Neben IO-Link Wireless, das weitestgehend fertiggestellt ist, wird IO-Link Safety neue Sicherheitsanwendungen ermöglichen und die Übertragungsmöglichkeiten von sicherheits- und nicht-sicherheitsbezogenen Daten vereinfachen. Ein nächster Baustein von IO-Link wird die Unterstützung der direkten Datenanbindung von Sensoren an die IT-Welt sein. Dafür hat die IO-Link-Community eine schlanke JSON-Mapping-Spezifikation erarbeitet, die nun in erste Produkte eingesetzt wird und für eine schlanke Anbindung von IO-Link an die IT-Welt und deren Dienste sorgt. Die IO-Link-Community arbeitet außerdem verstärkt an Applikationsprofilen, wie z.B. für intelligente Leuchten oder smarte Aktorik, um die Anwendbarkeit und Integrierbarkeit von IO-Link-Geräten deutlich zu vereinfachen. Zuletzt und ganz aktuell beschäftigt sich IO-Link mit der Evaluierung der SPE-Technologie als zusätzlichen physikalischen Layer.

In wie weit wird SPE (Single Pair Ethernet) zu einer Alternative für IO-Link?

Thiem: SPE ist für Applikationen mit großen Datenmengen oder bei der Kommunikation über größere Strecken prädestiniert. In diesen Anwendungen spielt die Technologie ihre Vorteile zweifelsohne aus. SPE ist aus unserer Sicht ’nur‘ das Übertragungsmedium. Es wird in Zukunft darauf ankommen, welche Protokolle über SPE kommunizieren. Es ist auch denkbar, dass zukünftig verschiedene Protokolle sinnvoll über die gleiche Infrastruktur kommunizieren. Eine Herausforderung wird sein, dass sich auch bei den Anschlusssteckern ein einheitliches Steckerbild durchsetzen wird.

Wienzek: Betrachtet man die kurze Historie von SPE sieht man, dass es aus der Automobilindustrie kommt. Es hatte den Anspruch ein Ethernet-Netzwerk auf nur einem Adernpaar zu übertragen anstelle von zwei oder vier Paaren, was zu einer erheblichen Gewichtseinsparung führt. Nach der Standardisierung der Physik in der IEEE802.3-Normenreihe mit Möglichkeit der Stromversorgung und Kommunikation über nur zwei Adern, wurde das Thema auch für die IO-Link-Community interessant. Hieraus ist die auf der Website abrufbare Konzeptstudie ´IO-Link over Single Pair Ethernet´ entstanden. Mitte 2020 wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die gerade weitere Details erarbeitet. Folgende Punkte sind dabei wohl konsensfähig: a) SPE wird kein IO-Link-Ersatz, sondern eine physikalische Erweiterung, b) die SPE-Vorteile (Performance, Entfernung) können genutzt werden um smarte IO-Link-Devices zu erweitern, wobei wir viel Wert auf Einfachheit beim Tooling und Plug&Play legen und c) die Vorteile der einfachen Punkt-zu-Punkt-Verdrahtung sollen erhalten bleiben. Natürlich steht es Herstellern frei, SPE auf der Nordseite von IO-Link-Mastern zu verwenden, als IoT-Anbindung an IT-Systeme oder Edge-Gateways.

Büchler: SPE spielt sowohl hinsichtlich Performance, Kosten und technischen Anforderungen in einer etwas gehobeneren Liga im Vergleich zu IO-Link. Daher sehe ich SPE nicht als Alternative, sondern als optimale Ergänzung zu IO-Link unter zwei Gesichtspunkten: Einerseits könnte es in Zukunft entsprechende IO-Link-Master geben, die neben der Vielzahl an Interfaces zu etablierten Feldbus- und IT-Systemen, in Zukunft auch noch SPE als weiteres Bussystem unterstützen. IO-Link ist ein vor allem hinsichtlich Usability sehr einfaches Protokoll. Die Studie zeigt, dass sich IO-Link neben der bestehenden Physik und darauf basierend auch um eine Vielzahl von Produkten um eine SPE für entsprechend hoch performante Sensoren, Aktoren und Systeme ergänzen ließe.

Müller: SPE kann eine sinnvolle Erweiterung für IO-Link darstellen, um bestehende Grenzen – Längenbegrenzung von 20m sowie die Zykluszeitgrenze von typisch 2ms – zu überwinden. SPE verspricht selbst bei 10MBit-Übertragungsrate deutlich kürzere Zykluszeiten und ermöglicht gleichzeitig größere Reichweiten zwischen Devices und Master. SPE wird jedoch mittelfristig IO-Link als Drei-Leiter-Interface aufgrund der Rahmenbedingungen von Kosten und Ressourcenbedarf nicht ersetzten können.

Marks: Wenn SPE standardisiert und zu vertretbaren Kosten verfügbar sein wird, ist es auf jeden Fall eine Alternative für die Sensorik als Kommunikationsweg in der Industriellen Automation. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies sehr viel schneller als bei IO-Link passieren wird. Wichtig wird auch dabei sein, dass alle notwendigen Komponenten durchgängig verfügbar sind, um den Kunden eine Lösung aus einem Guss präsentieren zu können.

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