"Wer weiterhin erfolgreich am Markt agieren will, muss den Wandel im Maschinenbau erkennen." Philipp Garbers, Head of Industry Management bei Endress+Hauser – Bild: Endress+Hauser (Deutschland) GmbH+Co. KG. Mit der Erstellung eines Master Data Connectors mit Netilion Connect im Hintergrund ist es erstmals möglich, Daten direkt aus Netilion mit den jeweiligen Datenbankfeldern automatisiert und in Echtzeit zu verknüpfen und zu synchronisieren. – Bild: Endress+Hauser (Deutschland) GmbH+Co. KG. Die Compact Line von Endress+Hauser: Liquiphant FTL43, Micropilot FMR43 und Cerabar PMP43 – Bild: Endress+Hauser (Deutschland) GmbH+Co. KG.
Herr Garbers, was waren die entscheidenden Auslöser für die stärkere Ausrichtung auf den Maschinen- und Anlagenbau?
Der Maschinen- und Anlagenbau war schon immer eine wichtige Klientel für Endress+Hauser, besonders in Deutschland. In den letzten Jahren beobachten wir einen Wandel in den Entscheidungsprozessen rund um die Messtechnik: Während früher verstärkt die Endkunden vorgaben, welche Geräte in einer Anlage eingesetzt werden, übernehmen heute immer häufiger die Maschinen- und Anlagenbauer selbst diese Aufgabe. Sie standardisieren schon in frühen Phasen der Entwicklung, um sich das Leben einfacher zu machen. Sie wissen selbst am besten was funktioniert und was nicht. Die Auswirkungen des Fachkräftemangels und Fokussierung auf Kernkompetenzen auf Kundenseite spielen hier eine wichtige Rolle. Für uns bedeutete das: Wer weiterhin erfolgreich am Markt agieren will, muss dies erkennen.
Welche konkreten Maßnahmen haben Sie unternommen?
Wir haben unser bestehendes Produktportfolio gezielt weiterentwickelt und segmentiert, um es noch besser an diese Bedürfnisse anzupassen. Auch über unsere Komponenten hinaus wurde ein großer Teil des Leistungsumfangs weiterentwickelt, um dem Kunden effiziente Abläufe zu ermöglichen, z.B. bei der digitalen Informationsbeschaffung, der Dokumentation, der Bestellung oder im Service. Kommunikation und Angebote richten sich zunehmend auch direkt an Maschinen- und Anlagenbauer als Entscheider mit eigenen Herausforderungen.
Es geht also nicht um ein neues Portfolio. Nach welchen Kriterien entwickeln Sie die Produkte für diesen Markt?
Ein zentrales Thema ist die Kompaktheit der Geräte, um eine einfache Integration auch in beengten Einbausituationen zu ermöglichen. Ebenso wichtig ist eine vereinfachte Bedienbarkeit – sowohl bei der Inbetriebnahme als auch im laufenden Betrieb. Wo es technisch sinnvoll ist, werden zudem kostengünstigere Varianten angeboten, ohne dabei Abstriche bei der Produktqualität zu machen. Diese Optimierungsschritte fließen gezielt in die Produktentwicklung ein, um wirtschaftliche und praxistaugliche Lösungen zur Verfügung zu stellen.
Welche Rolle spielen Modularität und Skalierbarkeit bei Ihren Lösungen?
Die im Markt zunehmende Modulbauweise kommt uns deutlich entgegen. Standardisierung von Komponenten ist hier kundenseitig der Schlüssel. Wir vereinfachen das dadurch, dass wir kompakte Bauformen, marktübliche Schnittstellen und standardisierte digitale Protokolle anbieten. Inbetriebnahme und Integration in die Automatisierungstopologie müssen einfach sein. Maschinen- und Anlagenbauer benötigen Lösungen, die sich flexibel in unterschiedliche Maschinentypen integrieren lassen – unabhängig von Größe, Komplexität oder Branche. Am Ende entscheidet immer die Verfahrenstechnik, welche Messtechnik zum Einsatz kommen muss.
Welche Rolle spielt Industrie 4.0 bzw. Digitalisierung dabei?
Ich denke, Industrie 4.0 und Digitalisierung sind mittlerweile als Begriffe zu unspezifisch. Ein Ziel ist es, Messtechnik bereitzustellen, die sich nahtlos in moderne Automatisierungstopologien integrieren lässt und darüber hinaus Mehrwert durch digitale Informationen schafft. Ein Beispiel dafür ist die Unterstützung von IO-Link. Beim Bau kompakter Maschinen bietet der Standard Vorteile. Wir bleiben aufgrund der Vielzahl an Anwendungen und Märkten allerdings technologieoffen. Digitale Services bieten wir mit Netilion, einer cloudbasierte IIoT-Ökosystem-Plattform, mit der sich Messdaten aus der Ferne erfassen, analysieren und nutzen lassen – etwa zur Zustandsüberwachung oder für vorausschauende Wartung. Ein weiteres zentrales Element ist die Heartbeat Technology, die in viele Geräte integriert ist. Sie ermöglicht eine kontinuierliche Selbstdiagnose bis zur Selbstverifikation der Sensoren und unterstützt damit eine hohe Anlagenverfügbarkeit und Prozesssicherheit – ganz ohne aufwändige manuelle Prüfzyklen.
Ihre 80GHz-Radarsensoren sind ein gutes Beispiel für den neuen Fokus. Was macht sie besonders geeignet für den Maschinenbau?
Die 80GHz-Radarsensoren Micropilot FMR10B, FMR20B und FMR30B wurden gezielt weiterentwickelt, um typische Anforderungen im Maschinenbau bestmöglich zu erfüllen. Sie kombinieren eine kompakte Bauform mit hoher Messleistung – auch in beengten Einbausituationen oder bei schwierigen Prozessbedingungen. Dank der berührungslosen Radartechnologie liefern sie zuverlässige Füllstandmessungen unabhängig von Medium und Dichte. Ihre einfache Bedienung, z.B. über Bluetooth und die SmartBlue App, erleichtert Zugriff und Inbetriebnahme. Bei wiederholenden Anwendungen kann die Parametrierung einfach von einem Gerät auf ein weiteres übertragen werden. Ein riesiges Plus für Modularisierung und Skalierbarkeit.
Wie kam es zur Entwicklung der neuen Compact Line?
Die neue Compact Line wurde speziell für Anwendungen in der Lebensmittel- und Life-Sciences-Industrie konzipiert. Hier gibt es einen besonders stark ausgeprägten Maschinenbau mit Anforderungen an Hygiene. Die neue Produktlinie hat aber auch das Interesse der Kunden anderer Industrien geweckt, in denen es auf Kompaktheit, Schnelligkeit, einfache Bedienung und nahtlose Systemintegration ankommt. Technologisch umfasst sie drei Messprinzipien – Druck, kontinuierlicher Füllstand und Grenzstand – und eignet sich für kleine Behälter in hygienischen Prozessen und engen Einbauverhältnissen.
Gibt es weitere Entwicklungen?
Ja, das Portfolio wird kontinuierlich ausgebaut. Ziel ist es, die Partnerschaft mit diesem wichtigen Kundensegment weiter zu stärken. Ein Baustein hierfür sind unsere Produkte und das große weltweite Vertrauen in unsere Marken und Qualität. Das Drumherum spielt aber auch eine wichtige Rolle. Die weltweite Verfügbarkeit von Servicepersonal, Verpackungsreduzierung, maßgeschneiderte Beschaffungs- und Logistikkonzepte sind nur ein paar Beispiele.
Apropos Partnerschaften, welche Rolle spielen sie für Ihre Positionierung?
Generell erhöhen solche Kooperationen die Oberfläche zum Markt. Sie sind auch komplex und erfordern gutes Management, denn nun arbeiten viele Menschen auf neue Weise zusammen. Im vereinten Portfolio, etwa von Sick und Endress+Hauser, haben wir tolle neue Möglichkeiten. Am Ende profitieren immer die Kunden davon. Dabei kommt den Emissions- und Gasanalysemessungen im Endanwenderbereich die größte Bedeutung zu. Im Maschinen- und Anlagenbau profitieren vor allem die Kunden aus dem Gasmarkt, wenn sie nun alles aus einer Hand bekommen und die Anwendungs- und Beratungsbreite bei Endress+Hauser weiter deutlich steigt z.B. im Erdgas- und Wasserstoffbereich inklusive im eichpflichtigen Verkehr.
Noch einmal zu den digitalen Services, können Sie hier noch etwas konkretisieren?
Digitale Services sind heute bereits ein zentraler Baustein und werden in Zukunft wichtiger werden. Dies hängt nach meiner Erfahrung maßgeblich mit den gestiegenen Ansprüchen an Anlagenverfügbarkeit zusammen. Durch die hohe Exportquote im deutschen Maschinen- und Anlagenbau stellt uns dies vor besondere Herausforderungen, weil der Servicebedarf auch beim Endanwender im Ausland auftritt. Daher haben wir schon vor Jahren unser Service-Portfolio erweitert. Der technische Support wurde stark ausgebaut und bietet neben den üblichen Arbeitszeiten in der Woche auch 24/7-Pakete an. Dies müssen wir uns natürlich bezahlen lassen. Gleichermaßen gibt es für den Kunden auch umfangreiche Möglichkeiten, selbst auf Informationen in unserem Smart Support Portal zuzugreifen. Besonders interessant sind die Multiparty SightCall Sessions, bei denen der Endanwender mit uns und dem Maschinen- oder Anlagenbauer gleichzeitig verbunden werden kann. Es gibt auch Möglichkeiten der Fernüberwachung und des Fernzugriffs auf Messstellen, so dass der Kunde gemeinsam mit uns live die Messstelle bearbeiten kann. Technisch ist oft mehr machbar als bereits genutzt wird. Diese Themen brauchen Zeit, Vertrauen, Mindset und das richtige Momentum. Die Integration in übergeordnete Automatisierungssysteme wird maßgeblich erleichtert, in dem wir uns an industrieübliche Standards halten und umfängliche Dokumentation zur Verfügung stellen. Auch dies erfolgt digital z.B. über die Website. Dort kann man sich auch die richtigen Treiber für die digitalen Protokolle herunterladen.
Wie soll sich Ihre Positionierung im Maschinen- und Anlagenbau weiterentwickeln?
Endress+Hauser genießt heute kundenseitig großes Vertrauen und wird als verlässlicher Partner für messtechnische Lösungen im Maschinen- und Anlagenbau wahrgenommen. Das wollen wir halten und langfristig ausbauen. Besonders der Fachkräftemangel auf Kundenseite wird aus meiner Sicht weiter Auswirkungen haben. Wir wollen den Kunden hier weiterhin mit hoher Beratungskompetenz und tiefgreifenden Kenntnissen branchenspezifischer Anforderungen zur Seite stehen. Parallel kommt der Weiterentwicklung und Segmentierung des Portfolios große Bedeutung zu. Ich glaube weiter fest an Made in Germany im Maschinen- und Anlagenbau – aber das klappt in einer globalen und zuweilen turbulenten Welt nur gemeinsam in enger Partnerschaft.