Stuttgarter Innovationstage 2023

Der Digital Twin im Mittelpunkt

Die sechste Ausgabe der Stuttgarter Innovationstage am 28. Februar und 1. März stand ganz unter dem Leitthema des digitalen Zwillings. Weil der Begriff so vielschichtig ist und oft unterschiedlich interpretiert wird, ging der Kongress sowohl auf Grundlagen zur Definition ein als auch auf konkrete Einsatzmöglichkeiten in der Produktion. Anwendungsbeispiele und Referenzen wurden ergänzt um aktuelle Projekte aus der Forschung. Kernbestandteil war in diesem Jahr ebenfalls wieder die ausgiebige Möglichkeit für Diskussion und Networking sowie ein Blick hinter die Kulissen des Veranstalters - in die Maschinenhalle des Instituts für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen der Universität Stuttgart (ISW).

Als weiterer ISW-Referent stellte Forschungsdirektor Michael Neubauer das Thema Software-defined Manufacturing (SDM) in den Mittelpunkt. Hierzu gibt es an der Universität das umfangreiche Forschungsprojekt SDM4FZI (Software-defined Manufacturing für die Fahrzeug- und Zulieferindustrie), dessen verschiedene Aspekte und Fortschritte im Rahmen einer Artikelserie im SPS-MAGAZIN über einen längeren Zeitraum vorgestellt wurden. Was sich hinter dem Ansatz von SDM4FZI verbirgt, machte Neubauer am Wandel vom Handy zum Smartphone deutlich: „Auch ein Nokia hatte bereits mehrere Funktionen. Man konnte telefonieren, SMS schreiben oder sogar Spiele wie Snake spielen“, so Neubauer. „Allerdings wurden diese Features von Beginn an vom Hersteller vorgedacht.“ Das änderte sich beim modernen Smartphone gravierend. „Die Entwickler des iPhones haben heute gar keine Vorstellung davon, welcher Funktionsumfang später über die verschiedenen Apps ausgespielt wird.“

Übertragen auf die Fertigung bedeutet das: Von der Rechnerplattform komplett unabhängige Software erlaubt eine bedarfsorientierte Änderung oder Erweiterung der Funktionalität. Umgekehrt ist genauso ein flexibler Wechsel der Automatisierungs-Hardware möglich, z.B. eines Roboterfabrikats. Grundlegende Voraussetzung dafür ist eine standardisierte Beschreibung aller eingesetzten Elemente im Sinne der Industrie-4.0-Verwaltungsschale, die wiederum einher mit dem Konzept des digitalen Zwillings geht. Welches Gewicht SDM am Institut zugeschrieben wird, zeigt auch die Ankündigung der nächsten Innovationstage: Sie sollen als Abschlussveranstaltung des SDM4FZI-Projekts in den Herbst verschoben werden, konkret auf den 17. bis 19. September 2024.

Bild: TeDo Verlag GmbH

Künstliche Intelligenz in der Simulation

In der ISW-Forschungsgruppe ‚Virtuelle Methoden der Produktionstechnik‘ dreht sich alles um neue Technologien und Anwendungsbereiche für Simulationsmethoden rund um die virtuelle Inbetriebnahme. Gruppenleiter Florian Jaensch ging in seinem Vortrag darauf ein, welcher Nutzen sich durch KI und maschinelles Lernen für das Benutzen und Erstellen von Simulationsmodellen erzielen lässt. Er berichtete, wie sich eine Testumgebung für Steuerungssysteme zur Lern- und Optimierungsplattform umwandeln lässt. Weiteres Potential für den Einsatz von Machine Learning in Simulationsmodellen sieht er zudem in höherer Prozessgenauigkeit und mehr Recheneffizienz.

Obwohl das ISW verschiedene Perspektiven aus den eigenen Reihen beisteuerte, war das Podium überwiegend mit Referenten aus der Industrie besetzt. Das Spektrum der Speaker reichte von den Automatisierern Siemens (Digital Twins in Operation), ABB (Vom digitalen Produktabbild zur realen Poduktionsanlage) und Weidmüller (Digital Twin in der industriellen Anwendung) über Softwareanbieter wie Microsoft (Mixed Reality im Industrial Metaverse), Dassault (Holistischer Blick auf den digitalen Zwilling), ISG (VIBN aus 4D-Produktkatalogen) oder Eplan (Cloud-to-Cloud-Konnektoren zwischen Engineering-Systemen) bis zum Maschinenbauer Homag (Digitale Zwillinge im Produktlebenszyklus) sowie den KI-Entwicklern Inovex (Optimierung von Instandhaltungsprozessen), Sereact (Simulation-to-Reality für autonome Robotik) und Kenbun (Industrielle virtuelle Assistenten).

Vereinte Kräfte für den Digital Twin

„Diskussionen und Gespräche sind das Salz in der Innovationstage-Suppe“, so das Credo der Veranstalter. Deswegen steht der Kongress seit jeher im Zeichen des Networkings. Dazu gab es nicht nur in den ausgiebigen Pausen die Gelegenheit, auch die Abendveranstaltung bot ausreichend Raum für Gespräche zu den Kongressthemen und darüber hinaus.

Auf dem Podium wurde im Rahmen eines Panels ebenfalls kräftig diskutiert. Dort ging es primär darum, wie verschiedene Parteien zusammenarbeiten müssen, um das Potenzial des digitalen Zwillings bestmöglich zu entfalten. Prof. Alexander Verl (ISW) brachte die Sicht der Forschung ein, ISG-Geschäftsführer Dr. Christian Scheifele berichtete mit der Brille des Modellerzeugers bzw. Softwareanbieters und Benjamin Rother, Division Manager bei Heller, steuerte die Perspektive des Maschinenbaus bei. Ernst Esslinger, der sich neben seiner Tätigkeit bei Homag stark in der IDTA (Industrial Digital Twin Association) engagiert, nahm als Vertreter der Standardisierungs-Seite teil. So wurden aus den verschiedenen Blickwinkeln gesammelten Erfahrungen und bereits gelöste Aufgaben diskutiert. Zudem erfolgte eine Bestandsaufnahme der zu erreichenden Ziele und wie weit man auf der Roadmap dahin bereits ist. Die Quintessenz: Für die virtuelle Inbetriebnahme wird der Digital Twin bereits erfolgreich eingesetzt – für darüber hinaus gehende Mehrwerte wie digitale Services oder neue Geschäftsmodelle ist noch ein gutes Stück des Weges zu gehen.

Last but not least gab es an beiden Veranstaltungstagen die Möglichkeit zur Besichtigung der ISW-eigenen Maschinenhalle. Dort erlaubten die Mitarbeiter des Instituts tiefe Einblicke in das Forschungsprogramm und standen zu den verschiedenen Demonstratoren und Projekten Rede und Antwort. Um dem übergreifenden Ansatz des SDM4FZI-Projekts gerecht zu werden, wurden verschiedene einzelne Demonstratoren vom ISW zur so genannten Stuttgarter Maschinenfabrik (siehe QR-Code) zusammengefasst.

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ISW Institut für Steuerungstechnik der

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