Simulationsgestützte Optimierung wandlungsfähiger Produktionssysteme

SDM in der Anwendung

Software-defined Manufacturing (SDM) ist eine technische und methodische Lösung, um Produktionssysteme kontinuierlich an sich ändernde Anforderungen anzupassen. Nötig sind zunächst per Software anpassbare Komponenten wie Roboter oder Transportsysteme. Das große Potenzial an Wandelbarkeit und Optimierungsfähigkeit geht auch mit hoher Komplexität einher. Deshalb wird in einem Demonstrator gezeigt, wie die Vorteile praxisgerecht nutzbar gemacht werden.
Bild: ISW Institut für Steuerungstechnik der

In Teil 5 dieser Serie (siehe SPS-MAGAZIN 4/2022) wurde die Bedeutung einer digitalen Toolkette zur Beherrschung einer wandlungsfähigen Produktion erläutert. Zur Realisierung soll im BMWK-geförderten Forschungsprojekt SDM4FZI das Continuous-X-Prinzip zum Einsatz kommen, das sich in den vergangenen Jahren für die agile Entwicklung von Software durch Continuous Integration/Continuous Delivery durchgesetzt hat. Eine Adaption für Planung und Engineering einer wandlungsfähigen Produktion kann diese Arbeitsprozesse erheblich beschleunigen und qualitativ verbessern.

Robotik, modulare Maschinen und weitere Technologien erhöhen die Wandlungsfähigkeit der Produktion erheblich und erleichtern deren Rekonfiguration, um zukünftigen Produktionsanforderungen gerecht zu werden. Dieser Wandel geschieht jedoch nicht von selbst: Natürlich muss der Betreiber einer wandlungsfähigen Produktion zuerst wissen, ob und wie er wandeln möchte, bevor eine Veränderung durchgeführt wird. Und genau hier liegt die Herausforderung: Die Anzahl der Gestaltungsmöglichkeiten einer wandlungsfähigen Produktion sind durch die Gesetze der Kombinatorik geradezu erschlagend. Aber auch kleine Änderungen (z.B. das Verlegen eines Handhabungsvorgangs in eine andere Station), können diverse weitere Anpassungen erforderlich machen, etwa für Produkttransfer, Sensordatenerfassung oder in Bezug auf Safety. Im Fall von SDM bedeutet dies hauptsächlich die Anpassung von Software, was auch die Lösung ermöglicht: Durch Anwendung von Simulationen und Optimierungsverfahren auf unterschiedlichen Detailebenen soll die bestmögliche Konfiguration eines Produktionssystems bestimmt werden und das Erkennen von Konsequenzen und Abhängigkeiten früh möglich sein. Sobald alle nötigen Anpassungen festliegen, vorab virtuell getestet wurden und der Umbau geplant ist, kann die Produktion mit minimaler Unterbrechungszeit angepasst und wieder hochgefahren werden. So kann trotz hoher Kosten der Produktionsmittel ein wirtschaftlicher Betrieb erreicht werden.

 Betriebsmodell des Software-defined Manufacturing im Demonstrator für Wandlungsfähigkeit in der Arena2036
Betriebsmodell des Software-defined Manufacturing im Demonstrator für Wandlungsfähigkeit in der Arena2036Bild: ISW Universität Stuttgart

Demonstrator in der Arena2036

Eine konkrete Umsetzung von SDM wird in Form eines Demonstrators in der Arena2036 entstehen, der den Betrieb wandlungsfähiger Produktion fokussiert. Die Arena2036 ist eine Labor- und Forschungsumgebung für die (Automobil-)Produktion der Zukunft am Campus der Universität Stuttgart. Mehr als 50 Unternehmen und Forschungseinrichtungen haben sich hier zusammengeschlossen, um gemeinsam praxisnahe Forschungsprojekte rund um die Produktion der Zukunft Realität werden zu lassen. Bosch ist Gründungsmitglied der Forschungsumgebung und dort bereits mit einem Produktionsdemonstrator präsent, der speziell das Thema Wandlungsfähigkeit adressiert. Einige der benutzten Systeme stehen an der Schwelle zur Marktreife, andere etablieren sich bereits in der Praxis und leiten Änderungen in der Produktionstechnik ein.

Heute sind praktisch alle technischen Bausteine verfügbar, um eine kontinuierlich wandelbare Produktion zu realisieren. Es sind nicht nur die Produktionsmittel erhältlich – auch digitale Zwillinge, Simulationssoftware, Optimierungsverfahren und weitere Software Tools haben zumeist einen ausreichenden technischen Stand. Jedoch ist die Erstellung und Beherrschung einer solch umfangreichen Softwarelandschaft komplex und die Realisierung in einer echten Fabrik wäre mit hohen wirtschaftlichen Risiken verbunden. Deshalb sollen zunächst im Demonstrator in der Arena2036 entsprechende Methoden entwickelt und gezeigt werden, die analog zum Continuous-X-Prinzip aus der Softwareentwicklung funktionieren. Dies ist vielversprechend, weil dort dasselbe Grundproblem „sicherer Betrieb trotz kontinuierlicher Weiterentwicklung“ seit einigen Jahren durch Continuous-X gelöst wird und entsprechende technische Grundlagen existieren. Die verfügbaren Tools sind breit anwendbar und technisch ausgereift. In Summe kann durch den Demonstrator so gezeigt werden, wie modulare, wandlungsfähige Produktionssysteme durch SDM geplant und betrieben werden können.

Alle an einem Tisch

Das Konsortium des Projekts SDM4FZI umfasst Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus allen Fachgebieten, die hierfür benötigt werden. Einerseits ist die gesamte Kette vom Hersteller von Maschinenkomponenten (z.B. Antriebe, Steuerungen), über Maschinenbauer, Anlagenbauer bis zum Betreiber von Produktionsanlagen vertreten. Das wird durch Hersteller von IT-Lösungen und Softwareanbietern aus den Bereichen Engineering, Produktionsplanung und Simulation von Seite der IT ergänzt. Partner aus der Wissenschaft bringen aktuelle Forschungsergebnisse und ihre Erfahrung in der Entwicklung neuer Methoden ein. Der Demonstrator in der Arena2036 bietet allen die passende Integrationsplattform, um mit den Technologien der Praxis zu arbeiten, aber ohne die Restriktionen einer laufenden Produktion berücksichtigen zu müssen.

Der produktionstechnische Anwendungsfall des Demonstrators wird gemeinsam mit dem Geschäftsbereich Automotive Steering von Bosch erarbeitet. Bereits in diesem Jahr sollen die ersten Szenarien, beispielsweise die Anpassung an geänderte Produktabsatzzahlen, gezeigt werden können. Die Zielsetzung geht jedoch darüber hinaus. Aus Sicht der Forschung soll durch den Demonstrator eine Referenzarchitektur entstehen, die eine Grundlage und Orientierung für konkrete Implementierungen bietet. Aus praktischer Sicht entsteht eine beispielhafte Umsetzung, von der auch einzelne Ausschnitte für andere Anwendungen übernommen werden können.

1: Forschungsprojekt entwickelt Software-defined Manufacturing (SPS-MAGAZIN 13/2021)

Teil 2: Referenzarchitekturmodell zur Digitalisierung von Produktionsnetzwerken (SPS-MAGAZIN 1/2022)

Teil 3: SDM-fähige Produktions-OT (SPS-MAGAZIN 2/2022)

Teil 4: Highlights der Stuttgarter Innovationstage 2022 (SPS-MAGAZIN 3/2022)

Teil 5: Beherrschung der Wandlungsfähigkeit einer SDM-Produktion (SPS-MAGAZIN 4/2022)

Teil 6: Use Case 1: Simulationsgestützte Optimierung wandlungsfähiger Produktionssysteme (SPS-MAGAZIN 5/2022)

Teil 7: Use Case 2: Durchgängiges Engineering mittels Referenzarchitekturmodell (vrsl. SPS-MAGAZIN 6/2022)

Teil 8: Use Case 3: Virtualisierte Steuerungstechnik und automatische Softwaregenerierung (vrsl. SPS-MAGAZIN 7/2022)

Teil 9: Use Case 4: Datenbasierte Mehrwertdienste (vrsl. SPS-MAGAZIN 8/2022)

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