
Aufgrund stetig sinkender Produktzyklen ist eine schnelle Anpassungsfähigkeit von Fertigungsanlagen Voraussetzung wirtschaftlicher Handlungsfähigkeit. Das Paradigma des Software-defined Manufacturing (SDM) verfolgt dieses übergeordnete Ziel durch die Entkopplung der Softwarekomponenten von mechanischen und elektrischen Komponenten. Auf diese Weise erlaubt SDM die freie Definition der Funktionalität, rein durch Software, limitiert nur durch die physikalischen Beschränkungen der Maschinen und Anlagen.
Die Umsetzung des SDM-Paradigmas ist Ziel des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Forschungsprojekts Software-defined Manufacturing für die Fahrzeug- und Zulieferindustrie (SDM4FZI). Eine Grundvoraussetzung für die flexible Verkettung verschiedener Hardware- und Softwarekomponenten im Rahmen von SDM ist eine durchgängige Repräsentation in einem einheitlichen Datenmodell. Das im Konsortialprojekt etablierte SDM-Referenzmodell ist im Folgenden näher beschrieben.
Referenzmodell für die softwaredefinierte Fertigung
Als Grundlage der Verortung des SDM-Referenzmodells dient das dreidimensionale Schichtenmodell der Referenzarchitekturmodells der Industrie 4.0 (RAMI 4.0). RAMI 4.0 definiert auf der X-Achse dem Lebenszyklus eines Assets, auf der Z-Achse die Hierarchieebene vom Feldgerät bis zur Vernetzen Welt und auf der Y-Achse die fachliche Funktion nach ihrem Bestimmungszweck in einem entsprechenden Schichtenmodell. Eine der Ebenen der RAMI-4.0-Y-Achse kennzeichnet die Informationsschicht, in die das SDM-Referenzmodell einzuordnen ist. Darüber hinaus nimmt das SDM-Referenzmodell für sich in Anspruch den gesamten Lebenszyklus und die vollständige Hierarchie vom Feld bis in die Cloud in sich zu vereinen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden und unterschiedliche Sichtweisen auf die softwaredefinierte Welt zu ermöglichen setzt das SDM-Referenzmodell auf den etablierten Grundzusammenhang von Produkt, Prozess und Ressourcen (PPR). Daraus ergibt sich dann die abgebildete schematische Darstellung.
Technologisch propagiert das SDM-Referenzmodell die Abbildung der PPR-Perspektiven in Verwaltungsschalen. Verwaltungsschalen haben sich in den letzten Jahren etabliert und finden weitgehende Verwendung in der Industrie. Die Strukturierung einer Verwaltungsschale (engl. Asset Administration Shell, AAS) erfolgt in sogenannten Teilmodellen, die die Informationen eines spezifischen Anwendungsfalls in sich bündeln. Durch die Industrial Digital Twin Association (IDTA) stehen standardisierte Teilmodelle zur Verfügung, durch deren Verwendung die Interoperabilität der AAS sichergestellt werden kann. Steht für einen Anwendungsfall kein passendes, standardisiertes Teilmodell zur Verfügung, steht Anwendern die Definition und Verwendung proprietärer Teilmodelle offen, sodass die Technologie der AAS weitgehende Flexibilität ermöglicht. Informationen, die bereits in spezifischen und etablierten Datenformaten vorliegen, wie beispielsweise Konstruktionszeichnungen in CAD-Formaten, verbleiben in diesen und werden aus den AAS-Teilmodellen heraus referenziert.
Publizieren oder Duplizieren
Soll das Modell über den gesamten Lebenszyklus eines Assets anwachsen, so muss bei Besitzübergang des Assets von einer Entität an die nächste sichergestellt werden, dass auch dessen digitale Repräsentation zugänglich bleibt. Hierbei sind zwei unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Anforderungen gegeneinander abzuwägen: Datenhoheit und die Vermeidung von Duplikaten. Im Namen der jeweiligen Datenhoheit liegt die Bereitstellung einer AAS-Instanz im Ökosystem der Entitäten, beispielsweise des Herstellers und Betreibers, nahe. Das damit verbundene Risiko liegt jedoch in der möglichen Divergenz der Modelle. Ein möglicher Ausweg besteht in der Aggregation von Verwaltungsschalen. Damit verbleibt bei einer föderierten Datenhaltung die Datenhoheit über die jeweilige AAS bei den generierenden Entitäten. Die Verfügbarkeit der AAS kann und sollte hierbei, vergleichbar zu Softwarelizenzen, vertraglich geregelt werden.
Widersprüchlichkeit wird toleriert
Die für klassische Datenbanken übliche Annahme der geschlossenen Welt (engl. Closed World Assumption, CWA), die davon ausgeht, dass die gesamte Weltsicht innerhalb eines bekannten Bezugssystems definiert ist und Anfragen mit Wahr oder Unwahr beantwortet werden, ist durch die Koexistenz unterschiedlicher Teilmodelle innerhalb einer Verwaltungsschale nicht länger ausreichend. Stattdessen muss für verwaltungsschalenbasierte Applikationen die Annahme der offenen Welt (engl. Open World Assumption, OWA) gelten. In Ergänzung zu den bekannten, bipolaren Zuständen Wahr und Unwahr wird bei Anwendung der OWA ein dritter Zustand angenommen. Dieser dritte Zustand definiert, dass eine angefragte Aussage nicht innerhalb der adressierten Datenquelle zugänglich ist und wird zum Rückgabewert für alle Anfragen, die innerhalb der Datenbasis nicht explizit als Wahr oder Unwahr definiert sind. Diese Unbekannt-Aussage kann, bei Anwendung der AAS, zu einem späteren Zeitpunkt im Lebenszyklus des Assets definiert werden. Alternativ kann eine Unbekannt-Aussage in einem proprietären Teilmodell oder einem spezifischen Datenformat, beispielsweise einer CAD-Datei, definiert, für die Applikation jedoch nicht zugänglich sein.