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Interview mit Peter Pütz, Vice President Marketing & Innovation bei Tsubaki Kabelschlepp

„Wir verfolgen kein Materialdogma“

Seit 2010 gehört Kabelschlepp, Lösungsanbieter im Bereich Energieführungs-Systeme, zum japanischen Tsubaki-Konzern und hat sich in dieser Zeit laut eigenem Bekunden eine große Eigenständigkeit bewahrt. Das SPS-MAGAZIN hatte die Gelegenheit, im Wendener Hauptquartier mit Peter Pütz, Vice President Marketing & Innovation, über die neuesten Trends, aber auch über die aktuellen Herausforderungen der Branche zu sprechen.

Herr Pütz, wie sieht es aktuell mit der Verfügbarkeit Ihrer Produkte aus? Bei manchen Zulieferern scheint sich die Lage ja leicht zu entspannen…

Peter Pütz: Die Situation ist nach wie vor sehr herausfordernd. Für unsere Energieketten-Systeme benötigen wir ein breites Spektrum an Materialien, die uns zugeliefert werden. Primär wäre hier Kunststoff-Granulat zu nennen. Natürlich gibt es im In- und Ausland Unternehmen, die einen deutlich höheren Bedarf haben als wir, beispielsweise die Automobilindustrie. In der Regel werden diese Firmen bei Rohstofflieferungen schon bevorzugt behandelt. Es ist aber richtig: Eine leichte Entspannung ist zu verzeichnen. Ähnlich ist es bei Aluminium oder Stahl. Nach wie vor kritisch sieht es bei den Elektronikbauteilen aus. Da gibt es nicht nur lange Lieferzeiten. Erschwerend kommt hinzu, dass wir diese Bauteile auf einem börsenähnlichen Markt zu stark schwankenden Tagespreisen einkaufen müssen, was eine Kalkulation sehr erschwert. Trotz alledem können wir in der Regel ab Lager liefern. Sollte dies einmal nicht der Fall sein, sind wir in der Lage, unsere Lieferzeiten gut prognostizieren zu können.

Welche Ihrer Branchenlösungen sind derzeit besonders gefragt?

Ein Hauptthema ist natürlich im Moment die Fertigungsautomatisierung inklusive der Robotik, aber auch die Bereiche Logistik und Intralogistik. Durch die Veränderung unseres Konsumverhaltens, sprich der explosionsartig zugenommenen Bestellungen über das Internet, hat die Zahl der Versandlager auch hier in unserer Region enorm zugenommen. Und diese Branche benötigt jede Menge Energieführungen. Gleiches trifft auf die Container- oder Schüttgut-Logistik zu. So werden die Häfen immer größer. Hatten wir früher Anwendungen mit Verfahrwegen von maximal 500m, sind heute Verfahrwege von 1.500m nicht selten.

Liegen denn beispielsweise in diesen langen Verfahrwegen auch die technischen Herausforderungen für Energieführungen?

Auf jeden Fall. Wir nehmen für uns in Anspruch, die kettenbasierte Energieführung erfunden und konsequent über die letzten 70 Jahre weiterentwickelt zu haben: von der ersten einfachen Stahlkette für den Werkzeugmaschinenbau, zu den heute verfügbaren, hoch spezifizierten hybriden Energieführungen für immer längere Verfahrwege und gestiegene Ansprüche an die Verfügbarkeit. Dabei geht es um Anwendungen, die ständig in Bewegung sind. Häufig machen Details ein solches System haltbarer. In unseren Lösungen für lange Verfahrwege haben wir beispielsweise eine Dämpfung integriert, um die mechanische Last, die auf die Kette wirkt, zu reduzieren und dadurch den Verschleiß zu minimieren.

Ist die Zunahme an Leitungen ebenfalls eine Herausforderung, weil die zu versorgenden Maschinen immer mehr Funktionen erfüllen müssen?

Definitiv. Wenn früher, beispielsweise bei einem Hallenkran, eine vieradrige Leistungsleitung und vielleicht noch eine 18-adrige Steuerleitung ausgereicht hat, beschäftigen wir uns heute, etwa im Schüttgutbereich, mit Anwendungen, bei denen ein Kran mit 100 bis 150 Leitungen versorgt wird. Auch Werkzeugmaschinen haben heute deutlich mehr Funktionen als noch vor 20 Jahren. Gleichzeitig hat der Bauraum abgenommen.

Neben Energieketten aus Kunststoff oder Stahl bieten Sie auch hybride Lösungen. Was heißt das genau und belegen Sie damit einen USP?

Die hybriden Energieführungen sind definitiv ein USP von Kabelschlepp. Wir verfolgen mit unseren Systemen kein Materialdogma und postulieren nicht die Überlegenheit des einen oder anderen Werkstoffs. Für uns steht die jeweilige Anwendung immer im Mittelpunkt. Diese schauen wir uns genau an und geben dann unsere Empfehlung heraus, welche Kette für die jeweilige Applikation am besten geeignet ist. So empfehlen wir bei langen Verfahrwegen häufig hybride Ketten, bei denen die Seitenteile aus Kunststoff und die Verbindungsstege aus Aluminium gefertigt sind, da das Aluminium ein besserer Gleit- und Verschleißpartner für das Kabel ist. Aufgrund unseres Lösungs-Baukastens können wir für Applikationen, die herausfordernden äußeren Einflüssen wie extremen Temperaturen oder hohen Verschmutzungen ausgesetzt sind, individuelle Anpassungen vornehmen. Wenn beispielsweise eine reine Kunststoff-Energiekette auf einem langen Verfahrweg in einer Gegend mit hoher UV-Einstrahlung – sagen wir in Dubai – eingesetzt wird, kommt es vor, dass die Glasfasern leicht aufrauen, was an einem Glitzern des Materials zu erkennen ist. Hinsichtlich der Stabilität der Kette ist dieser Aspekt nicht relevant. Wenn aber eine Leitung ständig mit einem aufgerauten Steg in Kontakt kommt, kann dies zu Problemen in der Haltbarkeit führen. Hier bieten hybride Ketten mit Verbindungsstegen aus Aluminium eindeutige Vorteile. In diesem Bereich sind wir der einzige Anbieter, der diese Lösungen in einer solchen Vielfalt anbieten kann.

Mittlerweile bieten einige Hersteller von Energieführungen und Leitungen Condition-Monitoring-Systeme für eben jene Lösungen an: so auch Kabelschlepp. Worin unterscheiden diese sich, und was macht Ihr System besonders?

Tatsächlich haben unterschiedliche Anbieter relativ zeitgleich solche Systeme auf den Markt gebracht. Kabelschlepp bietet schon relativ lange eine Condition-Monitoring-Lösung, mit der die Schub-/Zugkraft direkt am Mitnehmer überwacht werden kann. Dabei sind die Grenzwerte – also die Ober- und Untergrenze – frei programmierbar. Dieses System haben wir nun um eine Gleitschuh-Verschleißmessung in Echtzeit ergänzt, damit ein eventueller Gleitschuhaustausch planbar wird. Die Gleitschuhe können dann durch einfaches Aufstecken gewechselt werden. Das Alleinstellungsmerkmal unseres Systems besteht darin, dass es als eigenständiges Modul fungiert. Das heißt es lässt sich an einem eigenen Bedienfeld, unabhängig von einem mobilen Endgerät, programmieren und auf die entsprechenden Werte und Gegebenheiten einstellen. Das System ist also von jeglicher Basissoftware oder einem bestimmten Betriebssystem unabhängig.

Wie viele Gleitschuhe werden dabei durch ein Modul überwacht?

Erfahrungsgemäß wissen wir, wo sich die verschleißintensivsten Stellen in einer Kette befinden, beispielsweise an der Stelle unmittelbar hinter dem Mitnehmer. Genau diesen Bereich überwachen wir. Dabei wird die Sensorik außerhalb der Kette montiert, was den Vorteil hat, dass wir keine zusätzlichen Kabel durch die Kette führen müssen. Die Zustandssensoren werden in den Führungskanal oder Mitnehmerschlitten integriert, sodass die Innenbreite der Kette weiterhin voll nutzbar ist.

In welchen Branchen ist eine solche Überwachung besonders gefragt?

Ganz klar zum einen im Automotive-Bereich, da hier die Ausfallkosten einer Produktionslinie enorm hoch wären. Das Gleiche gilt für Krananwendungen, also Hafenkrane, Containerbrücken oder Schüttgutumschlag. Grundsätzlich ist Verschleiß ja nicht schlimm. Betreiber müssen nur wissen, wann ein Ausfall droht, denn dann ist eine Wartung planbar. Bisher war es so, dass Anwender die Verschleißmarken an unseren Gleitschuhen als Anhaltspunkte herangezogen haben. Waren diese noch sichtbar, befand sich alles im grünen Bereich. War dies nicht mehr der Fall, wurden die Gleitschuhe getauscht. Diese Kontrolle ist aber sehr zeit- und personalintensiv, und so lag es nahe, ein entsprechendes Condition-Monitoring-System zu entwickeln, das Abhilfe schafft. Aber am Ende muss dieses System so einfach wie möglich zu bedienen und betriebssystemunabhängig sein.

Das Thema Nachhaltigkeit wird in vielen Bereichen immer wichtiger. Nehmen Sie bei Ihren Kunden hier ebenfalls ein gesteigertes Bewusstsein wahr? Und wie wirkt sich dies ggf. auf Ihr Angebotsspektrum aus?

Ja, das ist ganz klar spürbar. Der Einsatzbereich von Energieketten reicht ja vom EC-Geldautomaten bis hin zur Ölbohrplattform. Beispielsweise unsere Kunden aus der Büromöbelindustrie oder der Medizintechnik sind sehr sensibel, wenn es um die Nachhaltigkeit unserer Produkte geht. Daher betreiben wir einigen Aufwand in der Materialforschung, um Lösungen zu finden, die als Alternative zu unserem Standardmaterial nutzbar sind. Beispielsweise haben wir uns angeschaut, wie wir Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen gewinnen können. An einem gewissen Punkt sind wir aber zu der Einsicht gelangt, dass es aus Umweltgesichtspunkten keinen Sinn macht, in Brasilien Quadratkilometer an Regenwald zu roden, um Zuckerrohr zu pflanzen und daraus wiederum Kunststoff zu gewinnen. Zudem widerstrebt es uns, aus etwas Essbarem Kunststoff gewinnen zu wollen. Daher sind wir dazu übergegangen, uns auf konsequentes Recycling zu konzentrieren. Wir recyceln die Materialien, die bei unserem Produktionsprozess übrig bleiben, zu 100 Prozent sortenrein, und tragen dafür Sorge, dass wir einen möglichst hohen Anteil an recycelten Materialien für unsere Energieketten verwenden. Noch vor nicht allzu langer Zeit gab es dahingehend Vorbehalte, weil man recyceltes Material für mechanisch nicht so belastbar hielt. Dies hat sich grundlegend geändert. Wenn früher beispielsweise jeder Recyclingprozess die Länge der Glasfasern, die als Armierung für das Material dienen, beeinträchtigt hat, sind wir heute in der Lage, nahezu identisches wiederverwertetes Basismaterial zur Verfügung zu stellen. Aktuell liegen wir bei einem Recyclinganteil von rund 35 Prozent und wollen diesen weiter erhöhen. Ein anders Thema ist, dass wir neue Technologien zur Herstellung von Kunststoffen verfolgen und auch bei uns testen. Hier gibt es es interessante Ansätze, bei denen bestimmte chemische Prozesse zum Einsatz kommen.

Andere produzierende Unternehmen nutzen sogenannte Ocean Plastics, d.h. Müll aus dem Meer, und stellen daraus neue Produkte her. Käme dies für Sie auch infrage?

Das ist sicherlich eine sehr interessante Initiative. Allerdings handelt es sich bei diesen Kunststoffen in erster Linie um Fischernetze, Gummihandschuhe oder Seile. Die Basis-Werkstoffe, die daraus gewonnen werden, sind für uns nicht nutzbar, weil sie die geforderten mechanischen Eigenschaften nicht besitzen. Wir nutzen zu rund 90 Prozent Polyamid, meist auch glasfaserverstärkt, und das geben die Ocean Plastics leider nicht her. Daher konzentrieren wir uns zusammen mit unseren Partnern darauf, das Polyamid aus entsprechenden Recyclingprozessen zu gewinnen.

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