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Interview mit Sebastian Hilscher

Zwischen Chip und Change

In der industriellen Kommunikation genießt die Hilscher Gesellschaft für Systemautomation einen hervorragenden Ruf. Weil das Familienunternehmen diesem auch weiterhin gerecht werden will, hat CEO Sebastian Hilscher einen der größten Veränderungsprozesse in der mehr als 35-jährigen Unternehmensgeschichte eingeleitet. Warum er sich persönlich dafür einsetzt, was sich bereits verändert hat, welche technologischen Trends wichtig sind und wie die Pläne für die Zukunft aussehen, erfuhr die Redaktion des SPS-MAGAZINs im Gespräch.
 Sebastian Hilscher, CEO bei Hilscher
„Es wird bei uns kein industrielles Gigabit-Protokoll geben, das nicht Security mit an Bord hat.“ Sebastian Hilscher, CEO bei Hilscher – Bild: Hilscher Gesell. f. Systemautomation mbH

Herr Hilscher, erzählen Sie uns bitte zunächst etwas über Ihre Person.

Hilscher wurde 1986 von meinem Vater Hans-Jürgen Hilscher gegründet. Somit bin ich mein ganzes Leben mit diesem Unternehmen aufgewachsen und habe hier zahlreiche berufliche Stationen absolviert. Nach meinem Studium der Elektrotechnik mit Schwerpunkt Automatisierungstechnik in Darmstadt hatte ich zunächst als Softwareentwickler angefangen, bin dann in den technischen Kundensupport gewechselt. Anschließend fing ich an, Bereiche meines Vaters zu übernehmen. Der erste war die Abteilungsleitung Chip-Entwicklung. Unser neuster Chip für Device-Anwendungen, der NetX-90-Multiprotokollprozessor, wurde bereits unter meiner Führung entwickelt. Anschließend übernahm ich als CTO die Gesamtentwicklungsleitung bis ich dann 2020 meinen Vater als CEO abgelöst habe. An dieser Stelle kann ich betonen, die Firma bleibt in Familienhand.

Welche Veränderungen haben Sie als CEO angestoßen? Wie zufrieden sind Sie damit?

Mein Vater war 25 Jahre der alleinige Entscheider, er bestimmte maßgeblich die Richtung jedes großen Projektes. Das hatte gut funktioniert und Hilscher zu dem gemacht, was es heute ist. Doch in den letzten Jahren war zu merken, dass das Unternehmen zu groß geworden war, als dass eine Person alleine die Richtung vorgeben kann. Um weiter wachsen zu können, wurde klar, dass wir uns so aufstellen müssen, dass mehrere Projekte mit entsprechend verantwortlichen Personen parallel laufen können. So habe ich in den letzten Jahren – neben technologischen, unternehmerischen und operativen Themen – daran gearbeitet, ein Management-Team aufzubauen. Daraus entstanden bereits erfolgreiche Projekte, was mich sehr freut.

Können Sie Beispielprojekte nennen?

Wir haben vor zwei Jahren unser neues CI/CD mit neuem Logo und Marktauftritt aus dem Marketing- und Produktmanagement-Bereich ins Leben gerufen. Parallel arbeiten wir an der ERP-Umstellung auf ein neueres System, was aus dem kaufmännischen Bereich vorangetrieben wird. In der Entwicklung haben wir zum Anfang des Jahres Scaled Agile Framework, kurz SAFe, eingeführt, womit die komplette Entwicklungsorganisation und Planungsprozesse überarbeitet wurden. Der Vertrieb ist mit den Themen Salesforce und Internationalisierung beschäftigt. Genau das wollte ich erreichen, dass die verschiedenen Bereiche eigene Projekte parallel vorantreiben. Denn das macht uns schneller und agiler in der Umsetzung. Unsere Prozesse lassen sich so optimieren, die Markteinführungszeit unserer Produkte verkürzen und wir können flexibler auf Marktanforderungen reagieren. Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit dem ganzen Management-Team und dem, was wir bisher erreicht haben.

Und das in solch schwierigen Jahren…

Genau, als wäre es gewollt, uns auf die Probe zu stellen. Kaum war ich neuer Geschäftsführer mit Management-Team, steckten wir mitten in der Corona-Krise. Danach haben wir genau das Gegenteil erlebt. Es gab Chip-Allokationen, wovon wir auch betroffen waren. Eine herausfordernde Zeit, nur noch schauen zu können, woher man die nötigen Bauteile bekommt oder welche Redesigns sich mit Alternativbaugruppen machen lassen. Und jetzt erleben wir gerade wieder genau das Gegenteil, mit einer immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Lage. Aber ich glaube, wir haben uns bisher ganz gut durchmanövriert und haben das im Management-Team und unseren Themen gut im Griff. Das kriegen wir hin, da bin ich zuversichtlich.

Welche Kernkompetenzen sehen Sie als entscheidend?

Dazu gehört auf Unternehmensseite eindeutig das Thema Agilität. Nicht nur in der Produktentwicklung, sondern auch in der Unternehmensführung. Weil die Vorhersehbarkeit von Marktentwicklungen zunehmend schwindet, müssen wir flexibel auf Veränderungen reagieren können. Das funktioniert nur, wenn man ein teamorientiertes agiles Mindset hat – und es mit Innovationen verknüpft. Genau das ist uns bereits gelungen, denn wir wurden in diesem Jahr mit dem Top 100 Award als innovativstes Unternehmen ausgezeichnet. Darauf bin ich sehr stolz. Auf der anderen Seite, für unseren Kernbereich der industriellen Kommunikation, ist es das Thema Security. Und zwar nicht nur die Produkt-Security, sondern auch die der ganzen Prozesse im Unternehmen. Sei es eine ISO27001 oder eine IEC62443 – hier sind wir seit einigen Jahren intensiv und ganz vorne mit dabei, sowohl Security-Mechanismen in die Produkte zu integrieren als auch die nötigen Prozesszertifizierungen zu erreichen. Und unser Plan ist es, bis zur SPS-Messe nächsten Jahres in Abstimmung mit dem TÜV eine komplette Security-Zertifizierung nach den beiden Normen zu erreichen.

 Security wird mit den Entwicklungen von Gigabit Ethernet und TSN Hand in Hand gehen.
Security wird mit den Entwicklungen von Gigabit Ethernet und TSN Hand in Hand gehen.Bild: Hilscher Gesell. f. Systemautomation mbH

Sie haben 13 Niederlassungen in 11 Ländern. Welche Pläne haben Sie hinsichtlich Internationalisierung?

Hier liegt der nächste größere Schritt vor uns. Weil unsere Kunden weltweit unterwegs sind, müssen auch wir global agieren. Zudem sehen wir aktuell den europäischen, aber insbesondere den deutschen Markt schwächeln; in Asien und Amerika glauben wir an weiteres Wachstum. Das heißt, wir werden unsere Niederlassungen pushen und vergrößern. Zudem werden wir weltweit den gleichen Service bieten. Dafür setzen wir auch auf strategische Partnerschaften in verschiedenen Regionen, um die Hilscher-Produkte und Services für unsere Kunden noch besser und schneller verfügbar zu machen sowie die Projektebearbeitung zu beschleunigen.

Was sind Ihre Kernmärkte, welche möchten Sie neu erschließen?

Unser Kernmarkt ist die Fabrikautomatisierung, wofür wir eine breite Komponentenvielfalt bieten. Jetzt sehen wir, dass sich die Prozess- und Gebäudeautomatisierung durch zukünftige Technologien an unseren Kernmarkt annähert. Ein gutes Beispiel ist Single Pair Ethernet. Für uns als Experten in der industriellen Kommunikation ist es nicht mehr so ein großer Schritt, etwa unseren SPE-Medien-Switch auch in den beiden anderen Märkten anzubieten.

Was sind die besonderen Stärken in Ihrem Segment?

Die besondere Stärke von Hilscher ist das tiefe Knowhow in der industriellen Kommunikation, das sich nicht nur auf die Hardware oder die Software beschränkt, sondern dass wir beides aus einer Hand anbieten. Das heißt, wir stimmen beides perfekt aufeinander ab. Ein großer Benefit ergibt sich daraus auch für das Thema Security. Denn das ist weder ein Software- oder Hardware-Thema, sondern eine Kombination aus allem. Beides aus einer Hand bedeutet einen Riesenvorteil: Wir können die Hardwarebeschleunigung für Security in den Chips einbauen, können aber auch in den Protokollen die Software so schreiben, dass sie mit den Hardwarebeschleunigungen perfekt zusammenpassen. Ich bin überzeugt, dass sich das Security-Thema für die Anwender in den nächsten Jahren nur in dieser Kombination lösen lässt. Sie brauchen sich auf diese Weise keine Gedanken mehr zu machen, wie Hardware und Software inklusive Security zusammen funktionieren – wir übernehmen als Partner dafür die komplette Verantwortung und können Anwender auch mit entsprechenden Dienstleistungen weiter unterstützen.

Der Anwender bzw. Betreiber muss aber auch selbst die diversen Anforderungen an Security seiner Gesamtanlage berücksichtigen…

Das ist richtig. Auch hier sind wir geschätzt und gefragt. Wir sehen es mit als unsere Aufgabe, hier Aufklärung zu leisten, was auf die Unternehmen, z.B. mit NIS2, zukommt. Hierfür bieten wir Workshops an und halten immer wieder Vorträge.

Welche Rolle spielen strategische Partnerschaften und Kooperationen?

Im Kernmarkt Fabrikautomatisierung haben wir diverse Entwicklungspartner. Was das IIoT-Umfeld betrifft, kann keine Firma mehr alleine bestehen. Hier engagieren wir uns z.B. in der Open Industry 4.0 Alliance. Dabei geht es um die Themen Cloud und Edge Computing, Digitalisierung im Generellen und die Konvergenz von OT zu IT. Auch das Thema Vertriebspartnerschaft sind wir durch die Lieferketten-Krise angegangen und haben uns entschieden, mit den Distributoren Semitron im Bereich der Chips und Embedded-Module sowie mit der RS Group hinsichtlich PC-Karten und Gateways zusammenzuarbeiten.

Welche technologischen Trends sehen Sie als besonders relevant für Ihr Produktportfolio?

Einen wichtigen Trend haben wir schon angesprochen: Security. Das wird mit den Entwicklungen von GBit Ethernet und TSN Hand in Hand gehen. Dabei wird es aus unserer Sicht kein industrielles GBit-Protokoll geben, was nicht Security mit an Bord hat. Auch im Bereich der 100 und 10MBit sehen wir erste Anzeichen integrierter Security. Hier spielt auch das Thema TSN mit rein. Durch das viele Auf und Ab der letzten Jahre hat es an Geschwindigkeit verloren, weil viele Neuentwicklungen hintenanstanden. Dennoch haben wir letztes Jahr bereits unseren Chip angekündigt und können aktuell erste Muster im Bereich GBit TSN, ganz klar mit Security, zeigen. Der Plan für nächstes Jahr: Zur SPS-Messe wollen wir Produkte dazu mitbringen. Interessant für uns ist zudem Single Pair Ethernet – wobei wir den Fokus sehr stark auf die 10MBit mit den langen Leitungslängen gelegt haben. Für 100MBit und GBit sehen wir hier aus Performance- und Kostengründen wenig Anwendungsfälle.

Im Bereich Digitalisierung sind es die Themen des Trennens von Hardware und Software und hin zu Software as a Service. Ich glaube, vor ein paar Jahren hat sich noch kaum jemand dafür ausgesprochen, eine SPS als reine Softwarelösung auf einem Rechner laufen zu lassen. Die Steuerung an sich wird voraussichtlich nicht ganz verschwinden. Aber wie und wo Steuerungsaufgaben durchgeführt werden, das wird sich verschieben. Und in diesen Trend spielt dann wieder das Thema Security rein. Denn die ganze Anlage muss durch das Inkrafttreten des Cyber Resilience Act mit Patch-Management-Anforderungen einfacher upzudaten sein. Und das funktioniert natürlich besser über zentralisierte Schnittstellen.

Trotz der komplexen Herausforderungen sehen wir bei diversen Pilotkunden schon heute, welche Riesenvorteile die Digitalisierung ihrer Anlagen bringt. Und von daher glauben wir fest daran, dass in fünf Jahren jede Maschine, die nicht digitalisiert ist, also in Verbindung OT und IT, einen echten Nachteil gegenüber den vernetzten Maschinen hat. Stichworte dafür sind etwa Predictive Maintenance, OEE-Berechnungen, Services, Effizienzverbesserungen und Anpassungen an Kundenbedürfnisse. Am Ende spart man aber auch ganz einfach Kosten.

Wie sehen Sie den Einsatz von KI?

Das ist ein ganz breites Spektrum. Klar ist, dass KI heute aus der modernen Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken ist. Auch wir setzen in unseren Prozessen KI immer mehr ein, z.B. für einfache Datenblattprüfungen. Früher hatte ein Hardwareentwickler, wenn er etwa den Temperaturbereich für ein Produkt festlegen musste, zwei Tage dafür benötigt. Heute dauert das mithilfe von KI ein bis zwei Minuten. In der industriellen Kommunikation gibt es zunächst erst einmal viele Ideen. Auf Security gemünzt wäre eine Anomalieerkennung auf dem Netzwerk-Traffic denkbar, die eine Warnung bei Veränderungen ausgibt, um einen möglichen Hackerangriff zu bemerken. Quasi eine First Security auf die industrielle Kommunikation an sich, wo einfach Frames überwacht werden. Vorstellbar ist damit aber auch eine Prozessüberwachung, eine KI, die die Prozessdaten im Blick hat und Veränderungen meldet.

Hilscher Gesell. f. Systemautomation mbH

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