Wie sieht das HMI der Zukunft aus?

Flexibel und adaptiv

Zur Bedienung von Maschinen und Anlagen im täglichen Produktionsbetrieb dient in der Regel eine Mensch/Maschine-Schnittstelle - englisch Human Machine Interface (HMI) - die auf einem Panel am Gerät bedient wird. Weil bei der Entwicklung zunächst die Maschinenfunktionalität im Vordergrund steht, wird dem HMI erst im nächsten Schritt Aufmerksamkeit geschenkt. Je nachdem, wie viele Ressourcen dann noch übrig sind, fällt das Resultat aus. Dabei lässt sich die Entwicklung von HMIs von Anfang an so realisieren, dass gleichbleibend gute Ergebnisse erzielt werden - selbst bei einem relativ geringen Budget.
 Flexible Darstellung auf verschiedenen Zielgeräten: hochaufgelöstes Panel/Desktop, Tablet mit reduziertem Inhalt, Darstellung auf Smartphone (v.l.)
Flexible Darstellung auf verschiedenen Zielgeräten: hochaufgelöstes Panel/Desktop, Tablet mit reduziertem Inhalt, Darstellung auf Smartphone (v.l.)Bild: KEB Automation

Ein Vergleich: Zu Beginn des World Wide Webs mussten Anwender viel Programmieraufwand betreiben, um eine einfache Webseite zu erstellen. Von komplexeren Anwendungen ganz abgesehen. Inzwischen bietet das Internet günstige und einfach zu bedienenden Werkzeuge, die auch ohne Programmierkenntnisse gute Ergebnisse liefern. Doch lässt sich das auf die Industrie übertragen? Und wo geht die Entwicklung für HMIs hin? „Zukünftig wird sich das HMI von der Maschine lösen und flexibler werden“, ist Uwe Huber, Leiter HMI & IIoT bei KEB Automation, sicher. „Das heißt der Maschinenbediener kann weiterhin an einem oder mehreren eingebauten Panels die Maschine oder Anlage überwachen und steuern. Der Meister oder Produktionsleiter kann zeitgleich seine Fabrik mit einem Tablet im Blick behalten, und das Management kann im Büro Kennzahlen abrufen.“

Die Firma KEB Automation, Systemanbieter in der Antriebs- und Automatisierungstechnik, und der Design- und Softwareanbieter HMI Project arbeiten gemeinsam an einer Lösung für innovative Human Machine Interfaces für industrielle Anwendungen. Das neue HMI Management System Helio ermöglicht sowohl das einfache und schnelle Erstellen webbasierter Anwendungen ohne Programmierkenntnisse als auch die flexible Darstellung auf verschiedenen Zielgeräten. So rücken die Welten der Web-Technologie und Industrieentwicklung näher zusammen, um gut bedienbare, ansprechende HMIs umzusetzen. Das Tool wird derzeit mit ersten Pilotkunden erprobt.

 Flexibles HMI-Dashboard: Bearbeitungsstand vor 
und nach Einfügen eines Bildes: umliegende 
Elemente werden automatisch angepasst; Elemente 
reduzieren: Ausnutzen des verfügbaren Platzes
Flexibles HMI-Dashboard: Bearbeitungsstand vor und nach Einfügen eines Bildes: umliegende Elemente werden automatisch angepasst; Elemente reduzieren: Ausnutzen des verfügbaren PlatzesBild: KEB Automation

Stand der Technik

Bei traditionellen HMI-Entwicklungsumgebungen werden Ein-/Ausgabe-Controls an einer bestimmten Stelle in einem definierten Screen platziert und eine feste Verbindung zu einem SPS-Wert hergestellt sowie das gewünschte Verhalten programmiert. Das gesamte HMI wird damit auf ein ganz bestimmtes Bedien-Panel zugeschnitten, es hängt also von dessen Größe und Auflösung ab. Ein einfacher Wechsel zwischen Endgeräten ist so nicht möglich. Sind die Screens einmal festgelegt, wird es schwierig, Inhalte zu verschieben, hinzuzufügen oder zu entfernen. Ändern sich die Steuerungsdaten, müssen diese an vielen Stellen im HMI angepasst werden. Um das HMI testen zu können, muss es gestartet werden – man verlässt das Bearbeiten, testet Änderungen und geht dann zurück in die Entwicklungsumgebung, um weiterzuarbeiten oder Fehler zu beheben. Der Ansatz des Helio-Systems soll diese traditionellen Schwachstellen beheben und den zukünftigen Anforderungen gerecht werden. Das Ziel ist es, schnell und einfach ein flexibel einsetzbares HMI erstellen zu können.

 Arbeiten im HMI Content Editor: Visualisierung des HMIs in der Mitte, Strukturbaum (links), Eigenschaften des ausgewählten Elements (rechts); Daneben: Overlay mit Metadaten zum ausgewählten Element.
Arbeiten im HMI Content Editor: Visualisierung des HMIs in der Mitte, Strukturbaum (links), Eigenschaften des ausgewählten Elements (rechts); Daneben: Overlay mit Metadaten zum ausgewählten Element.Bild: KEB Automation

Grundlegende Konzepte

Zum einen ist in Helio das HMI mithilfe von Web-Technologie umgesetzt und wird über den Browser ausgeführt, was die Darstellung unabhängig vom verwendeten Zielgerät ermöglicht und keine separate Installation von Software erfordert. Das heißt, die neue Lösung passt die Darstellung für das jeweilige Gerät an, man spricht von Responsive Design. So wissen die Helio Controls etwa, wie sie in unterschiedlichen Größen dargestellt werden sollen. Außerdem können über Nutzerrollen und -rechte die Inhalte so angepasst werden, dass jeder Anwender genau die Visualisierung sieht, die er benötigt.

Zum anderen trennt Helio zwischen der Struktur und Darstellung des HMIs. Der Entwickler legt im Wesentlichen die Struktur des HMIs fest, also wie die Visualisierung aufgebaut ist: Welche Informationen sind wann wichtig? Welche Daten gehören zusammen? Wie wird alles auf verschiedenen Seiten verteilt? Die Visualisierung hierzu wird automatisch erstellt, der Entwickler sieht das Ergebnis in Echtzeit vor sich – mit Live-Daten aus der Steuerung. Helio gibt dabei einen Rahmen vor, der den Entwickler bei der Gestaltung leitet, damit als Resultat ein gut bedienbares HMI entsteht. So ist die Anzahl der Elemente in einem Dashboard begrenzt, für Tabellen mit viel Informationen gibt es einen anderen Seitentyp. Hierbei fließen automatisch festgelegte Designvorgaben – Stichwort Styleguide – ein.

Ein dritter Aspekt ist die Abbildung der Daten vom Controller auf das HMI. Hierfür gibt es eine extra Schicht, in der Datenpunkte aus der Steuerung auf Variablen im HMI abgebildet werden. Dabei ist der Entwickler wiederum sehr flexibel und die Zuordnung kann später geändert werden. Jede HMI-Variable kann mit Metadaten angereichert werden, z.B. dem Datentyp (Boolean, Ganzzahl oder Zeit), einer Einheit (mm/s oder °C) und Wertebereichen (min.. und Schwellen für Warnungen oder Fehler).

Die Trennung von Daten, HMI-Struktur und der eigentlichen Visualisierung ermöglicht nicht nur das responsive Design, sondern stellt eine einheitliche Darstellung und Verwendung der Daten sicher, etwa, um Fehleingaben schon an der Bedienoberfläche zu verhindern. In der Zukunft wird sich so auch der gesamte Stil (Farben, Schrift, etc.) eines HMIs einfach ändern lassen. Helio ist plattformübergreifend implementiert: Es wird für Windows 10 und Linux (ARM64 und AMD64) entwickelt, sowohl auf Controllern von KEB (z.B. den C6 E22LX) als auch von Drittanbietern.

Bild: KEB Automation KG

Darstellung im Browser

Was erwartet den Anwender? „Alles läuft im Browser“, erklärt Uwe Huber. „Es ist grundsätzlich keine Installation auf dem Entwicklungsrechner notwendig, es reicht aus, dass sich der Anwender mit einer Helio-Steuerung verbindet.“ Im Zentrum steht die Darstellung des HMIs, die immer aktuell gehalten wird. Per Mausklick kann man die Vorschau zwischen Desktop, Tablet/Panel und Smartphone ändern. So hat man das Endergebnis immer vor Augen. Außerdem ist es möglich, das HMI in der Runtime-Ansicht darzustellen: entweder in einem eigenen Browserfenster oder direkt auf dem Zielgerät (Panel). Neben der Live-Vorschau des HMIs befindet sich links der Strukturbaum, rechts die Eigenschaften des ausgewählten Elements. Zusätzlich können die Metadaten zu allen Variablen angezeigt und direkt editiert werden. Sobald eine Steuerung mit Daten verbunden ist, stellt der HMI Content Editor diese live dar, es muss nichts mehr gestartet werden.

Der Rahmen ist gesetzt: Mit Kopfzeile, Basisnavigation und immer sichtbaren Machine Controls (z.B. Start oder Stop). Die wichtigsten Seitentypen sind vorhanden: Ein Dashboard als Überblicksseite, Seiten, um Einstellungen vorzunehmen und mit Listen zu arbeiten, etwa für Werkzeuge oder Rezepte. Die wichtigsten Controls sind verfügbar und alles zusammen bietet Raum für reichhaltige Interaktionen. Dabei ist die HMI-Entwicklungsumgebung bereits so weit nutzbar, dass KEB eine kleine Demo-CNC-Fräse damit ausgestattet hat.

Das Produkt Helio ist noch nicht komplett fertig, aber der Entwicklungsstand wird bereits in ersten Projekten eingesetzt, sowohl intern als auch bei Kunden. „Durch diesen engen Kontakt mit Anwendern entwickeln wir passgenau das, was im Markt benötigt wird“, betont Huber. Zurzeit besteht die Chance, als Helio-Pilotkunde auf diesen Zug aufzuspringen: Mit diesen gestaltet der Partner HMI Project ein kundenspezifisch passendes HMI, das anschließend mit Helio umgesetzt wird. Fehlende HMI-Elemente werden als Individualentwicklung ergänzt und später in die Lösung aufgenommen. Die Markteinführung ist für Ende 2023 geplant. „Bis dahin bleibt noch viel zu tun“, sagt Huber. „Weitere Features ergänzen, die Entwicklungsumgebung vereinfachen und die Verbesserung der Performance auf verschiedenen Plattformen, insbesondere auf weniger gut ausgestatteten Geräten.“

Die beiden Projektpartner sehen enormes Potenzial für Helio: „Ein HMI zu erstellen soll wieder Spaß machen und (mindestens) so einfach sein, wie das Internet heute geworden ist“, so Huber. „Jeder soll dazu in der Lage sein und wir wollen künftig die Werkzeuge liefern, um gute und schöne HMIs einfach zu erstellen.“ Dass man mit Helio auf einem guten Weg sei, würde das erstes Kundenfeedback bestätigen.

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