
Vorgestellt hat Beckhoff sein hochflexibles Transportsystem XPlanar erstmals auf der SPS-Messe im Jahr 2018. Mit den – ähnlich einem fliegenden Teppich – frei schwebenden Movern, sollen sich nicht nur exakte und dynamische Positionierlösungen realisieren, sondern auch ganz neue Wege bei der Anlagenkonstruktion und dem Maschinendesign beschreiten lassen, z.B. für Verpackungs-, Montage-, Sortier- und Kommissionierprozesse. Der Anwender kann etwa Warenströme einfach und individuell teilen oder zusammenführen. Mechanisch aufwändige Vorrichtungen sind dann oft vermeidbar. Durch das berührungslose Verfahren der Mover entfallen zudem Verschleiß, Emissionen oder Lärm – was selbst Applikationen im Reinraum, im Vakuum oder gemäß Hygienic-Design-Vorschriften zulässt.
Die Basis des XPlanar-Systems bilden beliebig anreihbare Kacheln, die die gesamte Elektronik und die Ethercat-Kommunikation umfassen. Darüber schweben die rein passiven Mover. Dabei ist das System nicht nur waagerecht, sondern sogar senkrecht und kopfüber einsetzbar. Die zweidimensionale X/Y-Positionierung der Mover wird durch weitere Bewegungsfunktionen ergänzt: Heben und Senken bis 5mm ist genauso möglich wie die Neigung bis 5° oder eine Rotation. Die Traglast reicht – je nach Mover-Modell – bis 4,5kg und lässt sich durch die Synchronisierung mehrerer Mover im Verbund bei Bedarf noch weiter erhöhen.

Mehr Funktionen, Mover und Kacheln
Über die letzten Jahre hat Beckhoff sein Planarmotorsystem kontinuierlich weiterentwickelt und ausgebaut. 2022 kamen unter anderem Mover für den Zweiwegebetrieb auf einer Kachel, rechteckige Mover oder die Mover-Identifikation hinzu. Aktuell in Entwicklung ist das sogenannte Multicomputing: Es erlaubt durch ein Softwareupdate die Möglichkeit zur Modularisierung der Gesamtanlage und eine fast unlimitierte Anzahl an Kacheln und Movern pro System und damit sehr große Handling-Applikationen. Unterteilt in einzelne Subsysteme, kann der Anwender seitdem rechenintensive Aufgaben auf verschiedene Anlagensegmente aufsplitten, zwischen denen die Mover dynamisch übergeben werden.
Als jüngste Neuvorstellung folgte zur SPS 2023 eine Erweiterung des Kachel-Angebots bzw. ein neuer Formfaktor. Warum das nötig war, erklärt Johannes Beckhoff, der für das Produktmanagement XPlanar zuständig ist: „Wir bieten Mover mit unterschiedlichen Abmessungen und Traglasten an – von 113x113mm bis 235x235mm. Ursprünglich waren wir der Ansicht, dass eine einheitliche Kachelgröße von 240x240mm für alle Modelle ausreicht. In der Praxis hat sich aber herausgestellt: Speziell beim Einsatz des sehr gefragten Movers mit 155x155mm, der 1,8kg Nutzlast transportieren kann, ließ sich die Fläche der Kacheln nicht so effizient nutzen, wie gewünscht.“ Mit der neuen Kachelgröße habe man die Dimensionen auch hier wieder exakt aufeinander abgestimmt. „Der Mover passt perfekt auf unsere neue Kachel – es wird kein Platz mehr verschenkt und auch ein Zweiwegebetrieb auf nur einer Kachelbreite möglich.“
Die neue Kachel gibt es nicht nur als Quadrat mit 320x320mm, sondern auch in rechteckigen Formen mit 320x160mm. „Schließlich bieten sich nicht für jede Applikation Hin- und Rückweg auf der gleichen Strecke an“, so Beckhoff weiter. „In einigen Fällen bilden Ringstrukturen die bessere Lösung. Und die lassen sich jetzt ebenfalls ausgezeichnet umsetzen.“ Gleichzeitig verbessern sich beim Einsatz der neuen Kachel die Leistungswerte des Systems: Die maximale Geschwindigkeit geht in Richtung 3m/s bei Beschleunigungen bis 2g. Auf Seite der Wiederholgenauigkeit verbessern sich die Werte um ±5µm. Weitere Verbesserungen der neuen Kachel finden sich bei der Verkabelung oder der Einspeisung. „Insgesamt sind wir auf unserer XPlanar-Entwicklungs-Roadmap natürlich noch längst nicht am Ende“, betont Beckhoff. „Was genau alles in Arbeit ist, wird nicht verraten. Vielleicht nur soviel: Unter anderem geplant ist, ergänzend zu den bereits verfügbaren Kacheln, auch eine – sozusagen gelbe – Version mit integrierter Sicherheit.“

Anwendung in der Beckhoff-Fertigung
Welche Vorteile XPlanar in der Praxis bietet, bestätigt nicht nur eine wachsende Applikationszahl bei Kunden, sondern auch bei Beckhoff selbst. In der Produktion in Verl hat der hauseigene Betriebsmittelbau eine Maschine realisiert, auf der Ethercat-Klemmen vollautomatisch programmiert und getestet werden. Das Besondere dabei ist die Vielseitigkeit der I/O-Klemmen. Es können mehrere Hundert unterschiedliche Typen über ein und die selbe Anlage laufen. Je nach Klemme unterscheidet sich allerdings die benötigte Zeit für Programmierung und Test deutlich. „Das Spektrum reicht von wenigen Sekunden bis zu einer halben Minute und mehr, die es z.B. bei manchen Analogklemmen dauert, die Firmware aufzuspielen, alle Kanäle abzugleichen oder die Funktion vollständig zu testen“, verdeutlicht Johannes Beckhoff die Herausforderung.
Die Grundstruktur der Maschine bilden jeweils zwölf Programmier- und Teststationen, die über ein XPlanar-System mit 108 Kacheln und 33 Movern verbunden sind. Die Beschickung der Anlage erfolgt über einen Deltaroboter, der die Mover mit den I/O-Klemmen belädt. Sie fahren dann als erstes unter einer Lesestation mit mehreren Kameras hindurch, die den zuvor aufgebrachten Identifikations-Code erfassen. Ab da kann die Steuerung Klemmentyp und Mover eindeutig zuordnen und alle weiteren Prozessschritte eigenständig koordinieren. „Die Mover bewegen sich anschließend vor allem auf zwei Hauptverkehrsadern sowie einer Rückspur. Sie nehmen allerdings – ohne starr vorgegebene Zuteilung – die bestmögliche Abzweigung zur nächsten freien Station“, schildert Beckhoff das Transportkonzept. „Eine solche Flexibilität ist bei klassischen Fördersystemen kaum umsetzbar. Wenn, dann nur mit vielen Weichen und zusätzlicher Aktorik vor jeder Station, was sehr aufwändig, platzintensiv und teuer wäre.“
Die schwebenden Mover sind hauptsächlich in X/Y-Richtung unterwegs, verfahren an den Teststationen zur Produktübergabe aber auch um einige Millimeter in Z-Richtung. „Das bietet den Vorteil, dass wir die Mechanik dieser Stationen ausgesprochen einfach halten konnten“, fährt Beckhoff fort. „Die exakte Positionierung in X-, Y- und Z-Richtung wird stets über die Mover gelöst.“ Die Möglichkeit, die Mover rotieren zu lassen, kommt wiederum beim Ein- und Ausfahren zum Tragen, wo sie abhängig von der benutzten Anlagenseite um 180° gedreht werden. Nach dem Funktionstest geht es über die mittlere Spur zu einem weiteren Deltaroboter, der die Klemme wieder entnimmt. Dabei wird die Lesestation ein zweites Mal durchfahren, die Komponente ausgebucht sowie Programmierung und Test in der zentralen Datenbank dokumentiert.

Steuerungstechnik und Simulation
„Selbstverständlich läuft die gesamte Maschine mit unserer eigenen Automatisierungstechnik“, unterstreicht Johannes Beckhoff. Steuerungsseitig bildet ein leistungsstarker Industrie-PC das Herzstück der Anlage. „Alle Prozessschritte, Daten und Ergebnisse werden somit direkt richtig zugeordnet. Zudem entfällt eine Synchronisierung verschiedener Steuerungssysteme oder Kommunikationsschnittstellen vollständig.“ Ein zentraler Aspekt für die Entwicklung von Produktionslösungen auf XPlanar-Basis sei: „Mit unserer Software lassen sich Anlagengeometrien, -dimensionen und Fahrwege bequem im Engineering simulieren, so dass sich z.B. das bestmögliche Verhältnis von Kacheln und Movern bestimmen lässt – in unserem Fall eben 100 Kacheln und 27 Mover“, so Beckhoff. „Mit dieser Herangehensweise lässt sich also bereits vor Beginn der konkreten Umsetzung die Effizienz und Leistung im späteren Betrieb sicherstellen.“ Auch danach bleibe man mit XPlanar sehr flexibel. „Wir haben die Anlage nach der Inbetriebnahme mehrfach angepasst und erweitert, was durch das modulare Grundkonzept überhaupt kein Problem war.“