Umweltfreundliches Wirtschaften muss nicht auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit gehen, wenn das richtige Konzept dahinter steckt. „Im Grunde ist Nachhaltigkeit die ideale unternehmerische Maxime unserer Zeit“, sagt etwa der Maschinenbauingenieur Michael Vögele und verweist auf die Herkunft des Begriffs Nachhaltigkeit: „Gerade in Krisenzeiten hatte Nachhaltigkeit, als auf Langfristigkeit ausgelegtes Wirtschaftskonzept, immer eine hohe Überzeugungskraft. Denn im Kern ging es stets darum, die Dinge einfach ein wenig smarter zu machen – also zum Beispiel, indem man Ressourcen effizienter einsetzte oder Synergieeffekte nutzte.“ Für Vögele, der beim französischen Tech-Konzern Schneider Electric als Senior Produktmanager arbeitet, bieten heutige Digitalisierungs- und Automatisierungslösungen in diesem Zusammenhang großes Potenzial: „Das Automatisierungsniveau explizit unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu erhöhen, ist dank heutiger Möglichkeiten in puncto Digitalisierung, KI und Robotik äußerst attraktiv.“ Der Robotikexperte spricht dabei aus Erfahrung, schließlich hat sich Schneider Electric schon weit vor Corona- und Energiekrise im Automatisierungsbereich explizit auf Technologien spezialisiert, mit denen sich nachhaltig erfolgreicher wirtschaften lässt.
Flexibilität als Nachhaltigkeitseigenschaft
In der Industrie zeigt sich die wirtschaftliche Attraktivität der Nachhaltigkeit besonders dann, wenn man sich anschaut, mit welchen Eigenschaften Maschinen oder Anlagen nachhaltiger werden. Neben einem geringen (oder keinem) CO2-Ausstoß zählen hierzu Ausfallsicherheit, Präzision, Langlebigkeit, Energieeffizienz und ganz besonders Flexibilität. All das macht eine Produktionsanlage nachhaltiger, weil es dabei hilft, umweltverträglich und langfristig resilient zu wirtschaften.
Eine elementare Nachhaltigkeitseigenschaft in diesem Kontext ist die Flexibilität. Denn sie macht es möglich, nachfragegerecht auf Auftragseingänge zu reagieren und auch kleine, individualisierte Losgrößen wirtschaftlich rentabel zu produzieren. So lassen sich dann zum Beispiel Abfälle auf ein Minimum reduzieren und Rohstoffe können bedarfsgerecht eingesetzt werden. Zur Realisierung von entsprechenden Anlagen verweist Vögele unter anderem auf das in nahezu allen Maschinen befindliche Transportsystem: „Klassische Förderbänder oder Rollenbahnen haben oft den Nachteil, dass sie durch ihre technischen Voraussetzungen auf nur wenige oder einen Anwendungsfall beschränkt sind. Das gilt für ihre Taktung oder Geschwindigkeit, aber auch für die Objekte, die sie bewegen. Einmal eingestellt, funktionieren sie wunderbar, können bei Bedarf aber nur mit viel Aufwand umgebaut werden.“
Transportsystem der anderen Art
Schneider Electric hat vor diesem Hintergrund ein anderes industrielles Transportsystem auf den Markt gebracht. Der Lexium MC12 genannte Multi Carrier erinnert mit seiner Funktionsweise an eine Magnetschwebebahn und besteht aus frei kombinierbaren Schienenelementen sowie darauf aufsetzbaren Trageeinheiten. Diese Carrier lassen sich werkzeuglos auf den Schienen platzieren und können – in einem Magnetfeld und ohne physischen Kontakt zum Track – mit hoher Positionsgenauigkeit von A nach B bewegt werden. Sogar individuelle und per einfachem Knopfdruck veränderbare Bewegungsprofile sind möglich. „An unserem Multi Carrier ist wirklich alles flexibel“, betont der Produktmanager. „Das fängt bei den mechanischen Komponenten an und hört bei der Programmierung auf.“ Letztere erfolgt über die Softwarelösung EcoStruxure Machine Expert, mit der nicht nur der Multi Carrier, sondern sämtliche Automatisierungskomponenten von Schneider Electric ausgelegt, simuliert, programmiert und in Betrieb genommen werden können. Dank vorkonfigurierter Softwarebausteine ist die Parametrierung des flexiblen Transportsystems vergleichsweise einfach und im Bedarfsfall auch schnell umkonfigurierbar. „Dass wir nicht nur den Multi Carrier, sondern wirklich die gesamte Anlage mit nur einem Controller und einer Softwarelösung abdecken, verschafft uns übrigens noch einen weiteren Flexibilitätsvorteil“, erklärt Vögele. „Denn im Fall einer Umrüstung reicht es aus, wenn nur ein Knopf gedrückt wird, und sämtliche Prozessstationen ändern ihren Workflow. Die einzelnen Systeme müssen also nicht jedes Mal auch einzeln umgestellt werden.“
Mit Cobots den Automatisierungsgrad erhöhen
Eine weitere Möglichkeit, um das Automatisierungsniveau – auch in puncto Flexibilität – zu erhöhen, sind kollaborative Roboter. Sie können Arbeitsschritte automatisieren und Tätigkeiten übernehmen, für die klassische Industrieroboter aufgrund ihrer Stärke und Schnelligkeit ungeeignet sind. Cobots hingegen sind in der Lage, äußerst behutsam – sozusagen mit Fingerspitzengefühl – zu arbeiten und Handgriffe zu übernehmen, für die es eigentlich menschliche Fähigkeiten braucht – etwa, wenn es um das Einlegen, Polieren oder Sortieren fragiler Werkstücke geht. Außerdem lassen sie sich ohne spezielle Sicherheitsvorkehrungen in direkter Nähe oder in direktem Austausch mit Menschen einsetzen. So ist es dann möglich, auch Tätigkeiten zu automatisieren, die sozusagen „am Rand“ der Maschine stattfinden, also über den schon automatisierten Kernprozess hinausgehen.
Im Fall des kollaborativen Roboters von Schneider Electric ist es so, dass dieser unter anderem als mobile Standalone-Lösung immer da eingesetzt werden kann, wo er gerade gebraucht wird. Auch die jeweilige Programmierung ist nicht kompliziert. Mit grafischen, vorkonfigurierten Softwarebausteinen oder – noch einfacher – per handgeführtem Teaching lässt er sich vergleichsweise leicht und schnell auf immer neue Anwendungsgebiete einstellen. Aufgrund dieser Flexibilität sind praktisch beliebig viele und kreative Einsatzszenarien denkbar – überall, wo Aufgaben möglichst präzise und ohne unnötigen Energie- und Rohstoffverbrauch zu erledigen sind und das Fachpersonal für wichtigere Tätigkeiten entlastet werden soll.
Mit Robotik zur Kreislaufwirtschaft
Ein außergewöhnliches Anwendungsgebiet für Cobots ist das Halbleiter-Recycling. Mithilfe von Robotik-Lösungen von Schneider Electric konnten vier Studenten von Desoltik, einer Startup-Gründung des Karlsruher Institut für Technologie (KIT), eine vollautomatische Maschine realisieren, die noch funktionstüchtige Halbleiter aus ausrangierten Elektrogeräten ausbaut. Die einsatzfähige Anlage wurde bereits auf der vergangenen SPS-Messe präsentiert und ist ein prägnantes Beispiel dafür, welches Potenzial moderne Automatisierungs- und Robotiklösungen für nachhaltiges Wirtschaften besitzen – in diesem Fall, um einen wertvollen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft zu leisten.
Die Schwierigkeiten, die es hierbei zu lösen gilt, sind mannigfaltig. Denn für eine zerstörungsfreie Demontage nach industriellen Produktivitätsstandards braucht es – auch in anderen Bereichen als dem Halbleiter-Recycling – hochgradig flexible und intelligente Maschinen. Im Fall der KIT-Anlage musste zum Beispiel berücksichtigt werden, dass die Chips je nach Gerät immer an unterschiedlichen Stellen auf einer Platine angebracht sind. Auch die Platinen selbst haben in der Regel unterschiedliche Größen. Dementsprechend kommt eine von künstlicher Intelligenz unterstützte Bilderkennung zum Einsatz, mit der die Halbleiter jeweils individuell identifiziert und lokalisiert werden können. Basierend auf diesen Informationen lässt sich die präzise arbeitende Robotik dann punktgenau anleiten. Die Schneider-Electric-eigene KI-Lösung ist direkt in die Maschinensteuerung integriert.
Konkret funktioniert die sogenannte „Entlötlinie“ folgendermaßen: Ein Cobot greift die empfindlichen Leiterplatten auf und platziert sie jeweils zwischen zwei Trageelementen des Multi Carriers. So eingeklemmt können sie mit hoher Positionsgenauigkeit zu den einzelnen Bearbeitungsstationen befördert werden. Je nach Platinengröße sind die Trageelemente in der Lage, ihren Abstand in Windeseile anzupassen und so auch unterschiedliche Leiterplatten aufzunehmen. Nachdem dann Kamera und KI die exakte Position eines Chips sowie seine Eignung für das Recyceln bestimmt haben, bringen drei sogenannte Heiß-Stationen die Chips innerhalb von drei Minuten auf die richtige Temperatur. Ist das Lot flüssig, kann ein Scara-Roboter die Halbleiter von den Leiterplatten entfernen.
„Die Anlage von Desoltik ist wirklich ein faszinierendes Beispiel für die Möglichkeiten heutiger Robotiklösungen,“ lobt Vögele das KIT-Projekt. „Und für das wirtschaftliche Potenzial von nachhaltigem Denken. Denn wird die Lebensdauer von Chips derart verlängert, sinkt nicht nur die Abhängigkeit der Elektronikindustrie von Lieferketten. Gleichzeitig verringert sich auch die Abfallmenge und wertvolle Materialien wie seltene Erden und Edelmetalle werden wiedergewonnen. Und das zahlt sich natürlich aus.“