Nord weiht neues Produktionswerk ein

Frisch gewickelt

Polen ist nach Deutschland der größte Absatzmarkt für Nord in Europa. Doch auch als Produktionsstandort wird das Nachbarland immer wichtiger. Jetzt hat der Antriebsanbieter ein neues Elektromotorenwerk in Wiechlice eingeweiht. Nicht nur wegen der eigenen Wickelei soll es eine Schlüsselrolle im Produktionsverbund übernehmen. Auch die Antriebseinheiten der höchsten Effizienzklasse IE5+ von Nord entstehen hier. Entsprechend stehen die Zeichen am neuen Standort schon jetzt eindeutig auf Wachstum.
 Die vollautomatisierten Wickelanlagen in Wiechlice bringen zwei bis drei Tonnen Kupferdraht pro Woche in Form.
Die vollautomatisierten Wickelanlagen in Wiechlice bringen zwei bis drei Tonnen Kupferdraht pro Woche in Form.Bild: Getriebebau NORD GmbH & Co. KG

Was die Qualität angeht, ist das Selbstverständnis von Nord überall identisch: „Egal, wo ein Motor oder Getriebe von uns produziert wird – in Europa, in Amerika oder in Asien – die Prozesse sind immer gleich, die verwendeten Teile sind immer gleich, selbst der Lack ist der gleiche“, erklärt Brar Johannsen. Der globale Fertigungsleiter ist neben den großen Fabriken von Nord in den USA oder China auch für die 15 Standorte in Europa verantwortlich, an denen produziert wird. Die Werke in Deutschland, Frankreich, Italien und Polen bilden dabei als Europa-Hub die Basis, um alle lokalen Märkte zu versorgen.

 Aufgrund der aktuellen Auftragslage, hat die Nord-Belegschaft im neuen Werk besonders viel zu tun.
Aufgrund der aktuellen Auftragslage, hat die Nord-Belegschaft im neuen Werk besonders viel zu tun. Bild: Getriebebau NORD GmbH & Co. KG

Erfolgsstory in Polen

Dass Polen nach Deutschland der größte Absatzmarkt für Nord in Europa ist, ist das Ergebnis einer langjährigen Erfolgsstory. Im Jahr 1998 wurde die erste Vertriebsgesellschaft in der Nähe von Krakau gegründet, in der mittlerweile rund 50 Mitarbeiter tätig sind. Einige Jahre später folgten Pläne, auch eine Fabrik im Nachbarland zu errichten. „Anfangs gab es die Befürchtung, dass man Produktionskapazität aus Deutschland abziehen würde“, erzählt Johannsen. Doch das sei nie der Fall gewesen: „Stattdessen ist Nord in Polen und in Deutschland parallel gewachsen.“

Das erste polnische Fertigungswerk in Nowa Sol war 2006 bezugsfertig und bot anfangs 10.000m². Nach zwei Standorterweiterungen in den Jahren 2015 und 2020 sind es mittlerweile rund 33.000m². Dort geht es neben der Montage von Getriebemotoren vor allem um die Zahnradfertigung, also die mechanische Bearbeitung von Dreh- und Verzahnteilen. Rund 60 Werkzeugmaschinen sägen, fräsen, verzahnen, entgraten und schleifen über drei Millionen Bauteile pro Jahr. Einzig das Härten erfolgt bei einem Lohnunternehmer in der Nachbarschaft. Die fertigen Bauteile gehen dann entweder ins Zentrallager nach Bargteheide oder auf direktem Weg in die angegliederte Montage. Dort entstehen auf 24 Linien rund 5.000 Getriebemotoren pro Woche (davon 700 mit integriertem Frequenzumrichter). Ziel ist es, die Kapazität noch auf 10.000 Getriebemotoren pro Woche auszubauen. Zwei Lackieranlagen kümmern sich um das Finish der Antriebe – bei Bedarf mit besonderer Oberflächenversiegelung. Zusätzlich soll eine Rotorenfertigung entstehen. Auch das imposante Hochregallager mit über 20m Höhe, eine Phalanx automatischer Kleinteilelager oder die Pick-by-Voice-gesteuerten Fixlager vermitteln den Eindruck, dass in Nowa Sol weiterhin alle Zeichen auf Wachstum stehen. Platz in der Logistik gibt es noch, in der Produktion ebenfalls und auch ein Nachbargrundstück steht zum Verkauf. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Als Nord in Nowa Sol mit 26 Mitarbeitenden startete, lag die Arbeitslosenquote in der Region bei rund 40 Prozent. Heute ist die Situation eine andere. Mehr als 360 Menschen sind mittlerweile im Werk tätig und es ist zu einer großen Herausforderung geworden, weitere Arbeitskräfte zu finden. Denn in den letzten 15 Jahren ist um die Nord-Fabrik herum ein komplettes Industriegebiet entstanden. „Deswegen haben wir uns für einen zweiten Fertigungsstandort in Polen entschieden“, sagt Fertigungsleiter Johannsen. „Die Prämisse war, einen Standort zu finden, der genug Arbeitskräfte bietet.“ Fündig wurde Nord im beschaulichen Wiechlice. Dort sei die Situation auf dem Arbeitsmarkt viel besser und es gebe viele gut qualifizierte Mitarbeiter. Infrastrukturell ist die Region hingegen noch nicht sonderlich gut erschlossen. Ein Indiz, dass sich die Erfolgsgeschichte von Nowa Sol hier nochmals wiederholen lässt. Und auch einige andere Faktoren sprechen dafür.

 In der Wickelei in Wiechlice gibt es zwei hochmoderne Produktionslinien für die Baugrößen 63 bis 80 und 90 bis 132.
In der Wickelei in Wiechlice gibt es zwei hochmoderne Produktionslinien für die Baugrößen 63 bis 80 und 90 bis 132.Bild: Getriebebau NORD GmbH & Co. KG

Wickelei für mehr Wertschöpfung

Die neue Fabrik liegt direkt hinter dem Rollfeld eines ehemaligen Armeeflughafens, auf dem heute nur noch ab und zu Hubschrauber oder Privatflugzeuge starten und landen. Abseits davon dient die Startbahn als eindrucksvolle Zufahrt zum Nord-Werk, das im Mai 2019 fertiggestellt wurde. Es bietet eine sehr moderne Gebäudeinfrastruktur, große Fensterflächen und helle Hallen. Auf sieben Linien werden Elektromotoren in den Baugrößen 63 bis 132 gefertigt. Sowohl größere Standardserien aber auch rund 300 bis 500 Sonderanfertigungen pro Woche in typischen Losgrößen von zwei bis drei Stück. Generell stehen in der Montage alle Optionen zur Wahl, so können die Motoren z.B. mit Bremsen, Fremdlüfter oder kundenspezifischen Anschlussleitungen ausgerüstet werden. In Summe kommt die Montage auf rund 1.000 Motoren am Tag. Das entspricht zwei Lkw-Ladungen, die täglich nach Bargteheide oder in Richtung anderer Nord-Standorte aufbrechen. Um die Kapazität mittelfristig auf 1.500 Geräte auszubauen, wurde die Logistik bereits so ausgerichtet, dass alle benötigten Teile möglichst dicht an der jeweiligen Montagelinie angeordnet sind. „Zudem sind alle Stationen nach dem gleichen Schema aufgebaut: Vormontage, mechanische Montage und elektrischer Endtest“, beschreibt Johannsen den Prozess im Werk.

Für besonders hohe Wertschöpfung sorgt in Wiechlice seit 2020 die großteils automatisierte Statorenfertigung. In der ersten Wickelei von Nord in Europa werden rund 500 Statoren täglich gefertigt. Die Wickelei im chinesischen Schwesterwerk kommt auf 2.000 Einheiten pro Tag. Den Rest der täglich weltweit benötigten 5.000 Statoren kauft Nord zu. Warum das Unternehmen diesen Hightech-Prozess, für den es hohe Kompetenz und Knowhow bedarf, ausgerechnet in Wiechlice positioniert hat? „Unser Team in Polen hat dem Mutterhaus in den letzten Jahren gezeigt, wie flexibel, kreativ und zuverlässig es arbeitet“, begründet Johannsen die Entscheidung. Dafür wurden zwei hochmoderne Produktionslinien für die Baugrößen 63 bis 80 und 90 bis 132 realisiert: In der Folge laufen nun in Taktzeiten von ein bis zwei Minuten die fertigen Statoren vom Band. Die vollautomatisierten Wickelanlagen integrieren fünf Prozessschritte in einer Station und bringen so zwei bis drei Tonnen Kupferdraht pro Woche in Form. Anschließend geht es in eine manuelle Montagestation, in der die einzelnen Kupferschleifen fertig isoliert und die Verbindungen der Litzen vorbereitet werden. Die Prozessschritte Pressen und Bandagieren erfolgen dann wieder automatisiert. Vor der – ebenfalls komplett automatisierten – Imprägnierung werden die Statoren bereits ein erstes Mal elektrisch getestet. Nach der Imprägnierung werden sie mit dem Gehäuse verpresst, anschlussfertig gemacht und abschließend ein zweites Mal elektrisch getestet.

Bild: Getriebebau NORD GmbH & Co. KG

Hocheffiziente Antriebseinheiten

Eine echte Spezialität in Sachen Fertigungskompetenz findet sich an der Station für Sonderstatoren in Wiechlice. Dort fertigt Nord nämlich auch das Innenleben für seine hocheffizienten Permanentmagnet-Synchronmotoren der IE5+-Baureihe, die auch in der neuen Duodrive-Einheit (siehe SPS-MAGAZIN 2/2021) eingesetzt werden. Letztere Lösung für Förderanwendungen und Co. sollte eigentlich schon zur Fachmesse Logimat präsentiert werden, die 2021 aber ausfallen musste. So wurde Duodrive digital auf der Hannover Messe vorgestellt und soll jetzt erstmals live auf der SPS in Nürnberg dem Fachpublikum präsentiert werden. In Wiechlice werden bislang Prototypen und Testgeräte hergestellt. Mit einer Serienfertigung will Nord noch im Herbst beginnen und die Stückzahlen der DuoDrive-Statoren dann entsprechend nach oben skalieren.

Kein einfaches Vorhaben für das Team in Wiechlice, denn dort hat man schon mit dem Tagesgeschäft alle Hände voll zu tun. Kaum ein Auftrag, der nicht mit ‚Pilna‘ (polnisch für dringend) gekennzeichnet ist. Dazu kommt jetzt auch noch die – pandemiebedingt verschobene – offizielle Einweihung des Standorts, zu der auch die Geschäftsführerin der Nord-Gruppe aus Bargteheide, Jutta Humbert, erwartet wird. Der globale Fertigungs-Verantwortliche Brar Johannsen betont: „Aufgrund der guten Auftragslage, denken wir bereits über eine Werkserweiterung nach. Parallel zur Einweihung gab es das noch nie.“ In der Tat reicht der Platz in der jetzigen Ausbaustufe in Wiechlice nur noch für eine weitere Montagelinie.

Benchmark in Sachen Produktion

Produktionstechnisch sind die polnischen Werke der Benchmark für Nord. Das wird nochmals dadurch unterstrichen, dass die Fertigungstechnik und -prozesse für die Antriebstechnik der nächsten Generation – also IE5+ und DuoDrive – hier entwickelt und realisiert wurden. Diese modernen Ansätze und Lösungen sollen von hier aus auch Einzug in die anderen Fertigungsstandorte von Nord weltweit halten.

Getriebebau NORD GmbH & Co. KG

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