Vom Menschen her denken

Von der Software- entwicklung lernen

Agile Entwicklungsprozesse und menschenzentrierte Entwicklung in der Industrie 4.0
In der Automatisierungstechnik und bei der Realisierung von Industrie-4.0-Projekten nimmt die Bedeutung von Softwarekomponenten zu und die Komplexität steigt. Gleichzeitig nehmen Planbarkeit und verfügbare Entwicklungszeit ab. Zur Lösung dieser Probleme sind in der Softwareentwicklung heute agile (lat. agilis: flink, beweglich) Entwicklungsprozesse erfolgreich im Einsatz. Der Blick auf agile Prozesse lohnt.

Der Nutzungskontext

Nachdem die Zielgruppe ermittelt und Modelle in Form von Personas erstellt wurden, ist der sogenannte Nutzungskontext zu ermitteln, der im Bereich der Automatisierungstechnik eine ganz entscheidende Rolle spielt. Unter dem Nutzungskontext wird die reale Situation verstanden, in der die Anwender eines Systems mit diesem interagieren. In der Softwareentwicklung reichen oftmals kurze Beschreibungen (Szenarien) oder kleine Skizzen (Storyboards) aus, um den Nutzungskontext darzustellen. Im Bereich der Automatisierungstechnik ist dieses Verfahren jedoch nicht ausreichend, da die realen Situationen viele Spezifika aufweisen können. Es werden also Lösungsansätze benötigt, die über die Ansätze der Softwareentwicklung hinausgehen und durch die der Nutzungskontext detailliert aufgenommen werden kann, damit sich z.B. die oftmals weit entfernt sitzenden Systementwickler die Situation in der Produktionsumgebung vorstellen können. Hierzu schlagen wir videobasierte Verfahren und insbesondere Eye-Tracking vor (SPS-MAGAZIN 5/2014, Seite 88).

Erst der Mensch, dann die Funktionalitäten

Wenn geklärt ist, \’von wem\‘ (Personas), \’in welcher Situation\‘ (Nutzungskontext) und \’warum etwas benötigt wird\‘ (Ziele), werden die hierzu gehörenden Basisfunktionalitäten ermittelt. Es hat sich in der agilen Softwareentwicklung bewährt, Funktionalitäten in Form von User Stories aufzuschreiben. Das sind kurze Beschreibungen, die den Ablauf einer Nutzung aus der Sicht und am besten in der Sprache der Nutzer beschreiben. Gerade in der Softwareentwicklung muss im gesamten Projektprozess sichergestellt werden, dass keine Funktionalität hinzukommt, die nicht benötigt wird. Unnötige Funktionalitäten kosten nicht nur Geld und Zeit, sondern können auch die Übersichtlichkeit und die Bedienbarkeit verschlechtern, da sie die kognitive Belastung erhöhen. Daher wird in den sogenannten Persona-driven User Stories zu jeder Funktionalität nochmals der genaue Grund angegeben: \“Als möchte ich , um \“. Um ein Beispiel zu geben, wird hier die Persona aus Bild 1 aufgegriffen und eine mögliche Persona-driven User Story könnte lauten: \“Als möchte , um \“. In Bild 2 ist diese beispielhafte Persona-driven User Story abgebildet. Es ist ein wesentlicher Vorteil des hier geschilderten Ansatzes, dass man automatisch auf der Ebene der Nutzer argumentiert und dann in den Persona-driven User Stories auch in ihrer Sprache schreibt. Das bedeutet, dass man auf dieser Ebene die Nutzer auch direkt mit einbeziehen und mit ihnen darüber kommunizieren kann, ohne dass technische Sichtweisen oder unbekannter Fachjargon dem entgegenstehen. Das erzwingt eine ganz andere Transparenz in der Kommunikation im Projekt auf allen Ebenen bis runter zum Bediener. Anhand der User Stories sowie weiterer Technical Stories (diese berücksichtigen die technischen Anforderungen) lassen sich auch die Testkriterien ermitteln, die für eine spätere Qualitätssicherung oder Projektabnahme notwendig sind. An dieser Stelle geht es somit wieder um die Funktionalität, die im Projekt realisiert werden soll. Neu aber ist, dass die Funktionalitäten immer einer Zielgruppe zugeordnet werden. Es gehört einiges an Erfahrung dazu, gute User Stories zu schreiben bzw. schlechte User Stories zu erkennen. In vielen Projekten haben wir erlebt, dass Projektteams diesen Aufwand am Anfang vermeiden möchten. Andererseits rechnet sich der Aufwand bereits, wenn man in 100 User Stories nur zwei bis drei überflüssige Stories bzw. Funktionalitäten entdeckt.

Fazit

Wir haben in diesem Beitrag zwei Perspektiven aufgezeigt. Durch den menschenzentrierten Ansatz kann sowohl in der Produktentwicklung als auch in Projekten der Fokus auf die beteiligten Menschen gelegt werden und zu erfolgreicheren Produkten bzw. Projekten führen. Hierbei ist es wichtig, dass anstelle der Funktionalitäten zuerst die Ziele und Bedürfnisse der beteiligten Menschen im Vordergrund stehen und im gesamten Projektverlauf sichtbar gemacht werden. In der Softwareentwicklung wird dieser menschenzentrierte Ansatz zusammen mit agilen Entwicklungsmethoden genutzt. Agile Methoden gehen davon aus, dass auf äußere Anforderungsänderungen schnell reagiert werden muss, beispielsweise auch innerhalb eines laufenden Projekts. Beide Methoden: \’menschenzentrierte Entwicklung\‘ und \’agile Entwicklungsmodelle\‘ lassen sich zwar unabhängig voneinander einsetzen, entfalten aber im Zusammenspiel ein hohes Potenzial um \’das Richtige und Wichtige\‘ (menschenzentrierte Entwicklung) auch \’gut und in kleinen Schritten\‘ (agile Entwicklungsmethoden) umzusetzen. In vielen Bereichen der Softwareentwicklung hat sich dieses Vorgehen durchgesetzt. Wissenschaftliche Studien und Berichte aus der Praxis belegen die hier beschriebenen Effekte, die beide Autoren auch aus der Unternehmenspraxis kennen.

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Fachhochschule Emden
http://www.hs-emden-leer.de/

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