Vom Menschen her denken

Von der Software- entwicklung lernen

Agile Entwicklungsprozesse und menschenzentrierte Entwicklung in der Industrie 4.0
In der Automatisierungstechnik und bei der Realisierung von Industrie-4.0-Projekten nimmt die Bedeutung von Softwarekomponenten zu und die Komplexität steigt. Gleichzeitig nehmen Planbarkeit und verfügbare Entwicklungszeit ab. Zur Lösung dieser Probleme sind in der Softwareentwicklung heute agile (lat. agilis: flink, beweglich) Entwicklungsprozesse erfolgreich im Einsatz. Der Blick auf agile Prozesse lohnt.

Die Basis aller agilen Entwicklungsprozesse bildet das \’agile Manifest\‘, das im Jahr 2001 von erfahrenen Softwareentwicklern geschrieben wurde. Die agile Entwicklung reduziert den Aufwand für die Projektplanung und -dokumentation auf ein Minimum. Ein weiterer Kernpunkt vieler agiler Entwicklungsprozesse ist die iterative Entwicklung. Dabei wird nicht am Anfang versucht, das Gesamtsystem bis ins letzte Detail zu planen. Vielmehr wird nur das wirklich planbare und offensichtlich Notwendige in einem ersten Schritt umgesetzt. Der Fokus wird damit von Anfang an auf direkte Projektergebnisse gelegt und nicht auf umfangreiche Planung, wie dies zuvor oftmals üblich war. Dies bietet auch den Vorteil, dass durch die agile Projektsteuerung sehr flink auf neue Anforderungen reagiert werden kann. Anforderungen, die sich während oder nach der Umsetzung eines ersten Schrittes ergeben, können jeweils im nächsten Umsetzungsschritt berücksichtigt werden. Die agile Entwicklung erkennt somit die Tatsache an, dass Änderungen des Projektes schon während der Projektlaufzeit geschehen: Neue Systeme kommen hinzu; Anforderungen ändern sich aufgrund geänderter Kooperationen, Abläufe, Kundenanforderungen etc. Das \’große Ganze\‘ ist zwar immer im Fokus der Projektentwicklung, aber für die ganz konkrete Planung wird immer nur das nächste Teilprojekt betrachtet, das dem Unternehmen einen direkten Mehrwert bringen muss.

Agil ja – aber menschenzentriert

Um den wachsenden Anforderungen im Bereich der Automatisierungstechnik und in den Industrie-4.0-Projekten gerecht zu werden, ist die Einführung von agilen Entwicklungsprozessen ein erster Schritt. Diese ermöglichen eine flexible Projektsteuerung und verbessern den Entwicklungszyklus. Dies alleine reicht jedoch nicht aus: In komplexen Projekten muss zusätzlich der Mensch in den Fokus gestellt werden. Daher stellen wir als zweiten Lösungsschritt einen menschenzentrierten Ansatz vor, ohne den moderne Hard- und Softwareentwicklung nicht erfolgreich sein wird. Durch die gesteigerte Komplexität der Systeme steigen auch die während der Bedienung zu berücksichtigenden Prozesse und Abhängigkeiten. Leicht kann dabei der Überblick verloren gehen aufgrund von unübersichtlich gestalteten Bedien-Schnittstellen oder unklaren Systemmeldungen (kognitive Überforderung). Hieraus resultierende Fehlbedienungen können zu Produktionsstörungen und Kosten führen. Diese lassen sich stark reduzieren, indem die beteiligten Menschen frühzeitig in die Entwicklungsprojekte einbezogen werden. Vom Menschen aus denken bedeutet, dass ein Wechsel der Perspektive stattfinden muss. Die menschenzentrierte Entwicklung (Human Centered Design) ist dabei nicht neu. Die Basis hierfür bildet die EN ISO13407 aus dem Jahr 1999. Die neuesten Richtlinien finden sich in der DIN EN ISO9241-210 aus dem Jahr 2011. Die Vorgehensweisen sind weltweit erprobt, insbesondere in komplexen Softwareprojekten. Vereinfacht betrachtet, kann man zwei Vorgehensweisen während der Planungsphase unterscheiden.

1. Die funktionszentrierte Sicht beschäftigt sich mit der Fragestellung: \“Was muss das System können?\“ Der Ansatz dabei: \’Mehr Funktionen = besser\‘ funktioniert, wenn eine Technik ganz neu ist und somit die notwendige die Basisfunktionalität erstellt werden muss. In klassischen Projekten wird dieser funktionszentrierte Ansatz oftmals auch dann noch verwendet, wenn die Basisfunktionalität längst erreicht wurde. Ein Problem hierbei: Es werden oftmals zu viele Funktionalitäten erstellt, die das System kompliziert machen und geringen Nutzen bringen. Hierdurch entstehen vermeidbare Kosten in der Entwicklung und im Betrieb.

2. Die menschenzentrierte Entwicklung klärt die Frage: \“Von wem wird es benötigt und warum wird es benötigt?\“ Es ist ein Wechsel der Perspektive, aus der ein Projekt betrachtet wird.

Menschenzentrierte Entwicklung – welcher Mensch?

Im Rahmen der menschenzentrierten Entwicklung treten oft zwei Fragen auf. Erstens, welche Menschen sind bei der menschenzentrierten Entwicklung zu berücksichtigen? Und zweitens, wie kann man die Menschen berücksichtigen? Zur Beantwortung dieser Fragen benötigen wir Informationen über die Projektziele, um dann die beteiligten Menschen zu ermitteln. Ein Ziel könnte lauten: \“Das Monitoring der Produktionsabläufe soll verbessert werden\“. Dann wären alle Menschen(gruppen) zu betrachten, die in diese Prozesse eingebunden sind. Wir schreiben bewusst Menschen und nicht Mitarbeiter, denn es könnten auch Personen außerhalb der Firma sein, die hierzu Daten liefern oder Daten abrufen. Wir schreiben bewusst Menschen und nicht Benutzer, denn es könnten Personen sein, die das System nicht direkt benutzen. Die menschenzentrierte Entwicklung versucht, am Anfang einen möglichst großen Blickwinkel einzunehmen, und damit alle wesentlichen Personen zu berücksichtigen. Auch dies ist eine Erkenntnis aus der Softwareentwicklung, die sich vom User Centered Design (Betrachtung der Benutzer) zum Human Centered Design (Betrachtung der Menschen) entwickelt hat.

Den Menschen sichtbar machen

Die menschenzentrierte Entwicklung fokussiert sich zuerst auf die beteiligten Personen und nimmt bewusst die funktionale Beschreibung erst zu einem späteren Zeitpunkt vor. Ein einfacher Ansatz mit großer Wirkung ist die Darstellung der am Prozess beteiligten Menschen in Form von Personas (Bild 1). Eine Persona wird dabei auf Basis der Motive und Ziele realer Benutzer entwickelt. Dabei sind Erfahrungen, Verhaltensweisen, Schulbildungen, Sprachen etc. so zu berücksichtigen, dass dem Projektteam die Zielgruppe stets vor Augen ist. In einem kleinen Projekt reichen oftmals vier bis sechs Personas zur Beschreibung einer Zielgruppe. Mithilfe der Personas erhalten alle Projektbeteiligten eine einheitliche Sicht auf die Zielgruppe und damit ein besseres Verständnis von den Menschen, die das System später nutzen. Die Erstellung der Persona ist leicht durchzuführen, indem man sich von den Zielgruppen ein möglichst realistisches Bild macht, beispielsweise durch Interviews und Beobachtungen. Oftmals lassen sich realistische Personas in wenigen Tagen erstellen.

Seiten: 1 2 3Auf einer Seite lesen

Fachhochschule Emden
http://www.hs-emden-leer.de/

Das könnte Sie auch Interessieren

Weitere Beiträge

Bild: Ceratizit Deutschland GmbH
Bild: Ceratizit Deutschland GmbH
Werkzeuge – immer passend

Werkzeuge – immer passend

Eine digitalisierte Fertigung hat viele Gesichter… und Recker Technik aus Eschweiler setzt ihr auf jeden Fall einen Smiley auf. Dort bringt die Produktion mit digitalen Zwillingen mehr Effizienz in den Alltag sowie gleichzeitig mehr Überblick über das Toolmanagement und die Werkzeugkosten. Mit dabei: Zwei Tool-O-Maten, die intelligenten Werkzeugausgabesysteme von Ceratizit – dank denen immer das passende Werkzeug für den Job zur Hand ist.

mehr lesen
Bild: Hainbuch GmbH
Bild: Hainbuch GmbH
„Wie passende Spanntechnik die Automation voranbringt“

„Wie passende Spanntechnik die Automation voranbringt“

Zunehmend individuellere Kundenanforderungen, mehr Schwankungen im Auftragseingang und weniger Fachkräfte – diese Faktoren beeinflussen die Fertigungsplanung zunehmend. Gerade bei kleinen Herstellungschargen mit Losgrößen unter 100 macht in diesem Spannungsfeld die Automatisierung, etwa von Hainbuch, den Unterschied. Ein entscheidender Ansatzpunkt in der Umsetzung ist neben Maschine, Roboter und Bediener der Rüst- und Spannprozess.

mehr lesen
Bild: Schunk SE & Co. KG Spanntechnik
Bild: Schunk SE & Co. KG Spanntechnik
Futter für die Ewigkeit

Futter für die Ewigkeit

Siemens Energy setzt für die Präzisionsbearbeitung an einer Horizontaldrehmaschine Magnos Elektropermanent-Magnetspannfutter von Schunk ein. Dank der gleichmäßig dauerhaft wirkenden Magnetspannkraft erfolgt das Spannen der Werkstücke deformations- und vibrationsarm – für eine ausgezeichnete Bearbeitungs- und Oberflächenqualität. Mit der zugehörigen App lässt sich die Spannsituation simulieren und sicher parametrieren.

mehr lesen
Bild: Supfina Grieshaber GmbH & Co. KG
Bild: Supfina Grieshaber GmbH & Co. KG
Autonome Fertigung gefragt

Autonome Fertigung gefragt

Immer weniger Menschen müssen immer mehr produzieren. Das ist bereits ein langanhaltender Trend, der sich fraglos weiter fortsetzt und sogar zu einer essenziellen Notwendigkeit wird. Bisherige Fertigungskonzepte in der Wälzlagerindustrie benötigen besonders qualifiziertes Personal – selbst oder gerade, wenn diese hoch automatisiert sind. Beim Bedienen, Rüsten und Optimieren ist der Mensch gefragt. Was aber, wenn der Mensch einfach nicht mehr zur Verfügung steht? Supfina bietet hier Lösungen an.

mehr lesen