Der Begriff Industrie 4.0 ist derzeit überall zu hören und zu lesen. Was bedeutet er für Rittal?
Dr. Steffen: Wenn man sich mit der Historie des Begriffes \’Industrie 4.0\‘ einmal beschäftigt, stellt man fest, dass er noch gar nicht so alt ist: Gerade einmal eineinhalb Jahre ist es her, dass die Akademie der Technikwissenschaften, die Acatec, eine Studie unter diesem Titel veröffentlicht hat. Damit wurde der Begriff im Prinzip geboren. Diese Studie wurde von der Bundesregierung in Auftrag gegeben. In dem etwa 130 Seiten umfassenden Dokument stößt man auf eine Reihe von Schlüsselbegriffen. Von denen spielen die Begriffe \’vertikale Integration\‘, \’durchgängiges Engineering\‘ sowie \’Modellbildung\‘ eine zentrale Rolle in der Entwicklung unserer Produkte und unseres Portfolios insgesamt.
In welcher Weise wenden Sie diese Begriffe auf die Rittal-Welt an?
Dr. Steffen: Denkt man beispielsweise an unseren speziellen Markt, den Steuerungs- und Schaltanlagenbau, in dem Rittal umfangreiche Lösungen bereitstellt, dann sind diese drei Begriffe, also \’vertikale Integration\‘, \’durchgängiges Engineering\‘ und \’Modellbildung\‘, ein wichtiger Leitfaden für unsere Weiterentwicklung. Ganz konkret heißt das im Bereich der Vernetzung der Produktion und der Bereitstellung der verfügbaren Daten, dass wir uns mit den entsprechenden Tools beschäftigen, um diese einzelnen Ablaufschritte – von der Angebotserfassung, -erstellung, Auftragserfassung über die Planung, Konstruktion, Auftragsvorbereitung – bestmöglich und durchgängig zu unterstützen.
Mit welchen Werkzeugen tun Sie das?
Dr. Steffen: Im Anschluss an die Elektroplanung mit Eplan Electric P8 lässt sich mit Eplan Pro Panel ein virtueller 3D-Prototyp der Anlage erstellen. Die Daten für Gehäuse, Zubehör und Betriebsmittel, die im Schaltschrank eingebaut werden, kommen dabei aus dem Eplan Data Portal, in dem aktuell über 470.000 Artikel- und Gerätedatensätze von 66 namhaften Herstellern erhältlich sind. Neben den technischen Daten sind auch die 3D-Grafikdaten der Bauteile vorhanden, die zur Erstellung des virtuellen Prototyps benötigt werden. Wir beschäftigen uns bei Rittal auch mit dem Thema Konfiguration unseres Artikelspektrums und unseres Systems, um den Kunden bei der Zusammenstellung seiner Applikation bestmöglich zu unterstützen. In der Produktion, im industriellen Steuerungs- und Schaltanlagenbau tut sich noch eine Menge Produktivitätspotential auf. Wir unterstützen dies durch Maschinentechnik, aber auch durch Fertigungshilfsmittel unseres Schwesterunternehmens Kiesling. Wir beschäftigen uns aber auch mit Planungsunterstützung, also mit Tools, mit denen wir gemeinsam mit dem Kunden den Wertstrom seiner spezifischen Produktion analysieren und ihn in der Frage beraten, was und welche Maschinentechnik ihm hilft, seine Bearbeitungszeit massiv zu reduzieren.
Wie könnte eine solche Reduzierung gelingen?
Dr. Steffen: Beispielsweise mit der Weltneuheit Averex, einem Roboter zur automatischen Verdrahtung von Komponenten auf der Montageplatte. Die Verdrahtung ist der zeitlich aufwendigste Schritt im Steuerungs- und Schaltanlagenbau. In der Regel werden 50-60% der gesamten Arbeitszeit des Mitarbeiters auf das Thema Verdrahtung verwendet.
Welche Hürden gilt es noch zu nehmen, bis der Averex zum Standard in der Schaltschrankverdrahtung wird?
Dr. Steffen: Sie müssen sich, was den Leistungsumfang des Averex angeht, vor Augen führen, welche Varianz ein solches Gerät heutzutage bedienen muss. Es gibt unterschiedliche Arten der Befestigung von Drähten an den einzelnen Komponenten – konventionelle Schraubtechnik, Push-In-Technik und dergleichen mehr. Push-In und konventionelle Verdrahtung berherrscht dieses Produkt bereits. Darüber hinaus gibt es verschiedene Leitungsquerschnitte, von 0,5 bis 2,5, die automatisch abgelängt und mit Aderendhülsen versehen werden. Auch die Anschlussrichtung sowohl horizontal als auch vertikal und verschiedene technische Features sind zu berücksichtigen.
Welche Zeitersparnis bringt der Einsatz eines Averex konkret?
Dr. Steffen: Wir sind mit der Entwicklung noch nicht am Ende, aber die Version, die wir in diesem Jahr auf der Hannover Messe gezeigt haben, ermöglicht im Schnitt pro Verdrahtungsarbeitsgang mit Kabelvorbereitungen und -verdrahtungen eine Reduzierung von durchschnittlich zwei Minuten (konventionell) auf etwa 40 Sekunden. Wir haben bereits Ansätze und Ideen zur Verbesserung und denken, es wird uns möglich sein, mit diesen Optimierungen sehr schnell auf 30 Sekunden zu kommen. Durch den Einsatz unseres Montageroboters ergibt sich also eine Produktivitätsverbesserung von 75%.
Ist der Averex bereits im produktiven Einsatz?
Dr. Steffen: Wir werden diese Roboter dieses Jahr bei einigen Testkunden aufstellen und im Laufe eines Zeitraums von etwa drei bis sechs Monaten detaillierte Erfahrungswerte sammeln, bevor wir dieses Gerät dann im nächsten Jahr auf dem Markt für alle Kunden verfügbar machen.
Wie sieht Ihr Geschäftsmodell für den Averex aus. Werden sie das, was er kann, auch als Dienstleistung anbieten, um Ihre Wertschöpfungskette noch weiter zu vertiefen, oder ist es ein reines Kaufprodukt?
Dr. Steffen: Es ist von jeher unser Prinzip, uns nicht in das Geschäft unserer Kunden einzumischen. Wir haben uns entschieden, auch in der Produktion aktiv zu werden, das heißt, dort mit Produktionshilfsmitteln, aber auch mit solchen automatisierten Maschinen zu unterstützen. Um Ihre Frage also klar zu beantworten: nein. Wir stellen Equipment und Vernetzung bereit, aber wir wollen nicht das Geschäft unserer Kunden anreißen. Das ist für uns eine Demarkationslinie und Bestandteil des Geschäftsmodells und wird sich auch nicht ändern.