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Wie verändern modulare Anlagen die Automatisierung?
Die Hauptmotive für modulare Anlagenkonzepte sind eine verkürzte Inbetriebnahme, Kostenvorteile sowie mehr Flexibilität. Es besteht zudem die Möglichkeit Module je benötigter Produktionskapazität nachträglich hinzuzufügen oder wegzunehmen. Ein weiterer Vorteil ist die Tatsache, dass die Anlagenmodule nach der Betriebsphase aufgearbeitet und wiederverwertet werden können. Im folgenden Beitrag sollen die Anforderungen modularer Konzepte auf die heutige Automatisierungstechnik diskutiert werden. Darüber hinaus soll geklärt werden, welche technischen Automatisierungskonzepte heute bereits für modulare Anlagen verfügbar oder sogar im Einsatz sind?

Automatisierungskonzepte

Es sind zwei Möglichkeiten vorstellbar. (a) Die bekannte zentrale Automatisierung. Dabei existiert eine zentrale Steuer- und Bedienebene, von der aus sämtliche Anlagenteile kontrolliert werden. Dieser Ansatz ist klassisch bekannt als Automatisierungspyramide. In den Modulen befinden sich nur noch Sensoren, Aktoren und IO-Komponenten, die Prozessführung selbst erfolgt von der zentralen Ebene. (b) Der Gegensatz dazu ist die dezentrale Automatisierung. Hier gibt es zwar auch eine zentrale Ebene für Bedienung und Beobachtung, die Steuer- und Regelaufgaben können aber bei diesem Ansatz durchaus auch auf die Module verteilt werden. Es existiert also eine verteilte Automatisierungs-Intelligenz in den einzelnen Modulen. Dies spart (Engineering-)Zeit, denn bei der Inbetriebnahme ist die Software und Logik in den einzelnen Modulen bereits vorhanden und getestet. Der Nachteil dieser Lösung ist, dass momentan nur sehr wenig Erfahrung vorliegt, wie man eine verteilte Automatisierungs-Intelligenz flexibel zu einer Gesamtapplikation zusammenfügt. Gerade bei Multi-Vendor-Modulen mit unterschiedlichen Automatisierungssystemen kann diese Aufgabe schnell recht komplex werden.

Trends und Technologien

Nachfolgende Trends und Technologien unterstützen die Machbarkeit von modularen Anlagen und der zugehörigen Automatisierung. Darüber hinaus bieten sie auch häufig Potential, um die Anlagen-Produktivität und damit die Wertschöpfung zu erhöhen:

Industrie 4.0: Die Namur diskutiert in zwei Arbeitsgruppen (AK 0.2 und AK 1.12) die Anwendung von Industrie 4.0 in der Prozessindustrie und die Automatisierung modularer Anlagen. Anlässlich der letzten Namur Hauptsitzung wurde das Thema Industrie 4.0 für die Prozessautomatisierung diskutiert. Die Prozessautomation ist kostenintensiv. Gerade dort könnten aber die Vorteile einer Modularisierung und Industrie 4.0 – also eine vernetzte Produktion – die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Der Grad der Automatisierung ist in der Prozesstechnik aber bereits sehr hoch. Auf den ersten Blick, bietet die vernetzte Produktion den Prozesskunden wenig Mehrwert, denn die Anforderungen an eine Losgröße 1 ist eher selten. Es gibt kaum Nachfrage nach personalisierten Produkten, wie z.B. in der Konsumgüterindustrie. Diese Art von Produkten gibt es – wenn überhaupt – höchstens im Bereich der Pharma- oder Biochemie-Applikationen. Genau hier sind aber die gesetzlichen Anforderungen sehr hoch. Somit bleibt es fraglich, ob Industrie 4.0 alleine die Triebfeder für die Einführung einer neuen Automatisierungstechnik in der Prozessindustrie sein kann.

Ethernet: Die Fabrikautomation ist dafür bekannt, dass neue Konzepte zur Produktivitätssteigerung schnell umgesetzt werden. Seit gut 20 Jahren wird dort die Ethernet-basierte Kommunikation für die Automatisierung genutzt. Auf Grund der besonderen Anforderungen der Prozessautomation hat sich aber dieser Trend dort so nicht wiederholt. Trotz solcher Anforderungen wird Ethernet aber, neben Feldbussen und Wireless, langfristig eine wichtige Rolle in der Prozessindustrie spielen. Dabei wird die Analogtechnik zwar nicht gänzlich ersetzt, aber zumindest ergänzt. Dafür sprechen u.a. die Kompatibilität der Daten über die Feldebene hinaus, die erhöhte Bandbreite und die gesteigerten Übertragungsgeschwindigkeiten. Trotz eindeutiger Argumente für die Verwendung von Industrial Ethernet zur Kommunikation in prozesstechnischen Anlagen muss die genaue Umsetzung der Technologie noch geklärt werden. Einzelne Lösungsansätze wie Power-over-Ethernet, Ex-Anforderungen oder die Unterstützung von Leitungslängen bis zu 1.000m, aufsetzend auf einem Zweidrahtkabel, stehen zwar bereits zur Verfügung, müssen jedoch noch zu einem Gesamtkonzept zusammengeführt werden. Auf der Achema 2015 wurde ein neuer Ansatz vorgestellt. Zu sehen war ein Ethernet-Konzept, das für alle Ex-Zone einsetzbar ist. Dieser Ansatz kann als Kommunikations-Backbone dienen und alle Feld-montierten Geräte wie Remote-IOs, Sensoren und Aktoren miteinander verbinden. Die Busphysik ist für bekannten Protokolle wie Profinet, EtherNet/IP, Hart-over-IP oder andere verwendbar. Zudem können bei diesem Lösungsvorschlag auch die existierenden Kabel verwenden werden. Dadurch ist die Integration in Bestands- und Neuanlagen gleichermaßen möglich.

Internet of Things: Internet of Things (IoT) ist ein Trend aus Nord-Amerika. Auch dabei geht es um die Vernetzung der Automatisierungstechnik. Es sollen neben dem existierenden Automatisierungs-Netzwerk ein weiterer Kommunikationskanal aufgebaut werden, der hauptsächlich Diagnose-Signale überträgt. In der Regel werden dieses Diagnosen an einen zentralen Server (Cloud) übertragen. Eine Analysensoftware verarbeitet die Diagnose-Daten und kann u.a. frühzeitig vor ungeplanten Anlagenstillständen warnen. Amerika schreitet bei der Implementierung von IoT schnell und pragmatisch voran. An vielen Stellen kann man mittlerweile IoT-Applikationen rund um die Prozess-Automatisierung finden, die den Zustand der Anlagen überwachen und optimieren. Das gilt insbesondere bei Bestandsanlagen. Das Ziel geht aber noch viel weiter: Es soll in Zukunft neben \’Connected Products\‘ auch Ansätze wie \’Connected Supply Chain\‘ oder \’Connected Worker\‘ geben. Alles zielt darauf ab, die Produktivität zu erhöhen. Im Februar wurde eine neue Automatisierungsidee von Exxon Mobile vorgestellt, die auf offenen Standards basiert. So soll ein neues Automatisierungssystem für die Prozessindustrie entstehen. Motivation für dieses Konzept ist es, die aktuellen Automatisierungstrends aus der Luft- und Raumfahrt in die Automatisierung einfließen zu lassen. Dabei verschmelzen die klassische Automatisierung und IT-Technik. Systemkern ist ein Echtzeitfähiges-Kommunikations-Backbone, welches die bestehenden und die neuen Formen der Signalübertragung verarbeiten kann. Der Technologiepartner für die Realisierung des neuen Konzeptes ist Lockheed Martin, ein Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrt. Bis Jahresende sollen hier die ersten Muster-Applikationen verfügbar sein.

Cloud-Computing: Eine Cloud bietet einen kostengünstigen und nahezu unendlich großen Speicher für Diagnosedaten. Hier können auch kleine Softwareprogramme (APPs) gestartet werden, die diese Daten auswerten und interpretieren. Das soll die Anwender bei der Anlagenbedienung unterstützen und entlasten. Allerdings ist momentan noch die Datensicherheit (Cyber-Security) eine Bremse für die Einführung von Cloud-Lösungen. Ein weiterer Hemmschuh ist die Diskussion, wer Eigentümer dieser Cloud-Daten ist, und wer das Recht hat daraus Nutzen zu generieren.

DIMA: Auf der Namur-Hauptsitzung 2014 wurde das Dima-Konzept (Dezentrale Intelligenz für modulare Anlagen) vorgestellt. Für die Automatisierungstechnik bringt der Trend zum modularen Anlagenbau wesentliche Veränderungen mit sich, da ein großer Teil der Intelligenz – die erforderlich ist, um die Anlagen zu steuern -vom zentralen Leitsystem in die Feldebene wandert. Die zentrale Automatisierungstechnik wird durch dieses Konzept entlastet, da die Module Teile der MSR-Aufgaben direkt erledigen. Entgegen herkömmlicher und in sich geschlossener Anlagearchitekturen, die über klassische Prozessleitsysteme mit I/O-Ebene, Controllerebene, Visualisierung und Prozedursteuerung verfügen, setzt DIMA darauf, die Module mit einer eigenen Intelligenz auszustatten. Dazu wird die Anlagenarchitektur in zwei Bereiche aufgeteilt: Die Leitebene, die \’lediglich\‘ die Funktion der gesamten Prozessüberwachung und Prozedursteuerung übernimmt und einzelne prozesstechnische Module, die eine I/O-Ebene und ihren Teil der Automation integrieren. Übergreifende Anlagenfunktionen – z.B. eine Rezeptverwaltung – werden durch die übergeordnete Automatisierungsebene ausgeführt, während die Automation innerhalb der Module sämtliche Basisfunktionen selbst übernimmt.

Fazit

Die Vorteile des modularen Ansatzes lassen sich einfach zusammenfassen: Es soll eine wettbewerbsfähige Anlage entstehen, die sich schnell um- und ausbauen lässt. Dadurch kann die Markteinführungszeit für ein Produkt abgekürzt werden. Außerdem soll die Anlagentechnik flexibel auf Nachfrageschwankungen skaliert werden können. Der vielleicht wichtigste Vorteil ist die Tatsache, dass das Engineering-Risiko für Neuanlagen auf ein Minimum sinkt. Heute sind die meisten Neuanlagen noch Unikate, dies ändert sich aber sofort bei dem Einsatz von bewährten Modulen, die vorgetestet sind. So verringert sich das Engineering-Risiko und die Inbetriebnahme-Zeit. Der ZVEI hat im letzten Jahr in seinem White-Paper \’Module-Based Production in the Process Industry\‘ den Stand der Technologie herstellerneutral zusammengefasst.

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