Mehr als Bedienen und Beobachten

Interview mit Bernd Frank und Michael Klein von Beijer Electronics zur Automatisierung der Zukunft
Beijer Electronics ist ein schwedisches Unternehmen, das bisher insbesondere mit seinen Produkten im Bereich Bedienen und Beobachten bekannt war. Wir haben uns mit dem Leiter des Gesamtvertriebs DACH, Bernd Frank, und dem Produktmanager EMEA, Michael Klein, darüber unterhalten, wie Beijer Electronics die Automatisierungstechnik als Ganzes sieht und was das Unternehmen seinen Anwendern zukünftig bieten wird.

Beijer Electronics sieht sich als Komplettanbieter der Automatisierungstechnik. Bei mir war das eher unter \’Hersteller von Bediengeräten\‘ abgespeichert. Wie positionieren Sie sich selbst?

Frank: Sie haben sicherlich Recht, dass Beijer Electronics hier im deutschen Markt bekannt dafür ist, dass wir aus dem HMI-Bereich kommen. Wenn man aber ein bisschen in die Tiefe geht und Beijer Electronics im Ganzen betrachtet, muss man ganz eindeutig sagen, dass wir im skandinavischen Bereich schon immer ein Komplettanbieter für Automatisierungslösungen waren. Im Zuge der gesamten Betrachtung des Marktes, global wie auch in der Beijer Electronics GmbH in Deutschland, haben wir den Schluss gezogen, dass wir uns dort weiter hinbewegen werden. Von daher werden wir zwar unser Know-how – die Kernkompetenz die wir im HMI-Bereich haben – weiterhin einbringen, aber auch das Portfolio erweitern. Ich darf kurz ganz gezielt auf ein Produkt hinweisen, das wir dieses Jahr eingeführt haben – unsere iX HMI Softcontrol. Sie sehen, dass da zwei Komponenten zusammenkommen: unser Schwerpunkt im Bereich HMI und die Verschmelzung mit einem Soft-SPS-Anbieter. Die Hardware mit unserer Visualisierungssoftware verschmilzt mit Codesys von 3S. Durch diese Kombination schaffen wir einen Mehrwert für unsere Kunden.

Zum Thema Komplettanbieter gehören für mich auf jeden Fall auch solche Themen wie die Antriebstechnik, die ja am Ende beliebig komplex werden kann. Wo zieht Beijer Electronics an der Stelle die Grenzen?

Klein: Eigentlich gibt es keine Grenzen. Wenn wir Beijer Electronics betrachten, dann haben wir durch Skandinavien die Kompetenz, dass wir auch Mehrachsmaschinen locker zusammen mit dem Kunden aufsetzen und steuern können. Da greift eine Applikationsabteilung mit sieben Leuten, die sich heute schon mit Antriebstechnik beschäftigt, ganz praktisch in den deutschen Markt mit hinein. Sozusagen die Kompetenz im Hintergrund. So sind wir einfach in der Lage, grenzenlos zu automatisieren. Auf der anderen Seite ist ganz klar, keiner hat mit der \’Schwarzwälder Kirschtorte\‘ angefangen. Es wird immer das kleine Brötchen sein, das man zuerst backt. Aber im Prinzip, aus den Erfahrungen und unserem Portfolio heraus, gibt es für uns in der Automatisierungstechnik keine wirkliche Grenze. Unsere Frequenzumrichter haben z.B. eine IP66-Möglichkeit, das heißt, ich brauche keinen Schaltschrank, ich kann den Umrichter direkt neben dem Motor montieren. Zusätzlich kann ich die Konfiguration von einem zum nächsten Umrichter mit einem USB-Stick mitnehmen. Wenn ich gleiche Anlagen habe, konfiguriere ich nicht 25-mal, sondern nur einmal. Wenn wir von Veränderungen bei Beijer Electronics sprechen, dann sprechen wir nicht nur vom deutschen Markt. \’Changing the game\‘ – wir verändern die Spielwiese. Für den Kunden, für uns, für den Mitbewerber. Es gibt die gleichen Anstrengungen, Portfolioerweiterungen und Support-Unterstützungen in unseren Niederlassungen in Frankreich, England und der Türkei, Und natürlich auch im gesamten Distributionsnetz.

Meine nächste Frage bezieht sich auf die so genannten vertikalen Märkte oder auch \’Mobile Automation\‘. Welchen Stellenwert haben diese Märkte für Beijer Electronics?

Frank: Das sind sehr wichtige Märkte. u.a.sind wir einer der führenden Hersteller/Lieferanten im Bereich Marine. Es gibt aber neben dem Marinesegment noch ein paar andere. Wir sind beispielsweise im Telematik-Bereich tätig. Es gibt von uns eine sehr attraktive Serie mobiler Endgeräte, die Treq-Serie für Routenoptimierung. Hiermit bedienen wir auch Kunden für Speziallösungen, beispielsweise im Bereich der Abfallwirtschaft. Ich möchte nicht ohne Stolz sagen, dass wir 2013 den Telematik-Award für das Treq VMx als bestes Endgerät erhalten haben. Aktuell arbeiten wir mit dem Hersteller der Pistenbullys zusammen, sodass wir auch in Special Equipped Vehicles vertreten sind. Damit gehen wir in Segmente, die für uns neben dem klassischen Maschinenbaumarkt sehr wichtig sind. Diese Segmentierung ist bei uns nicht nur einfach eine Erfolgsgeschichte, sondern wird vom Unternehmen strategisch verfolgt.

Sprechen wir bei diesen Beispielen speziell von Bediengeräten, oder geht es da auch schon wieder in Richtung Steuerungen und Software?

Klein: Unterschiedlich. Es gibt Projekte, bei denen wir ausschließlich über Bediengeräte sprechen. Es gibt große Projekte, wo wir auch unsere eigene Software als HMI-Software mit drin haben. Neben dem ganzen Bereich Marine und Telematik darf man natürlich nicht vergessen, dass es da auch einen ganz großen Bereich der explosionsgeschützt oder rugged-Umgebungen gibt. Die werden heute von Beijer Electronics bedient, in Form der sogenannten QTerm-Serie. Das ist noch eine klassische Bedienterminal-Serie. Da werden in Kürze jedoch nette Überraschungen zu sehen sein: Extrem-rugged-Geräte in neuem Design.

Ein großes Thema ist aktuell das Internet der Dinge bzw. Industrie 4.0. Wie ist Ihre Einschätzung, hilft die Entwicklung in diese Richtung auch, neue Märkte zu erschließen?

Klein: Das ist sehr schwer zu sagen. Auf der einen Seite haben wir in Deutschland die Diskussion Industrie 4.0/Internet der Dinge, auf der anderen Seite geht der NSA-\’Hype\‘ durch die Öffentlichkeit. Dadurch, dass ich funktionell unserem Mutterhaus zugehöre, habe ich mit Brand Label-Großkunden zu tun. Dort gibt es zum Teil Strategien, dass diese sagen, wir erlauben unseren Kunden gar nichts aus dem Web zu laden, nicht einmal die Software als Update. Weil wir für Sicherheit geradestehen. Internet der Dinge ist das genaue Gegenteil. Ich mache alles online. Wo das Ganze hinläuft, kann glaube ich heute keiner sagen. Wir beobachten das sehr genau und stehen mit unseren Geräten immer am Scheidepunkt. Natürlich haben wir die Möglichkeit, per Webbrowser auf die Geräte zuzugreifen, aber da besteht immer ein Spannungsfeld: Ist das noch sicher genug, was müssen wir zusätzlich tun, wo geht der Trend hin? Wir präparieren uns dahingehend darauf, dass wir in den neuesten Serien fast überall zwei physikalische Netzwerkports haben. Wir sind damit auf dem Weg zu sagen: Okay, wir haben einen Port für die Steuerung, wir haben einen Port für das \’Internet der Dinge\‘ – oder wie auch immer man das am Ende des Tages nennen wird. Vor zehn Jahren sagte man, man hat einen Bereich für administratives IT-Netz und einen für die Steuerungstechnik. In diesem Spannungsfeld haben wir uns schon immer befunden. Ich persönlich glaube nicht, dass das Internet der Dinge in Kürze den industriellen Automatisierungsbereich so verändern wird, wie es den Consumer-Bereich verändert.

Kommen wir zurück zu den Maschinen- und Anlagenbauern. Aus Ihrer Kundenerfahrung heraus: Wo drückt die Anwender aktuell am meisten der Schuh?

Klein: Es ist schwierig zu sagen, wo \’der\‘ Schuh drückt, bei jedem drückt der Schuh woanders. Aber es gibt schon einige Stellen, wo man das Problem sieht. Eines der großen Dinge ist die Geschwindigkeit der Consumer-Technik versus Geschwindigkeit und Standhaftigkeit der Industrie. Wenn ich heute ein Smartphone kaufe und es nach zwei Jahren defekt ist, dann werfe ich es weg. Wenn ich einem Industriekunden sage, du bekommst neue Terminals, neue Technologie, MX-sonst was drin, neueste Android-Software drauf – und in zwei Jahren musst du es wegwerfen – er wirft mich so schnell zur Tür hinaus, so schnell kann ich gar nicht laufen. Auf der anderen Seite, wenn ich sage: \“Pass auf, hier hast du ein Gerät, das hat einen X-Scale, und es ist Windows CE drauf\“, dann sagt er: \“Herr Klein, das haben Sie doch schon vor sieben Jahren hergeschleift\“, und ich sage: \“Ja! Sie bekommen es heute noch.\“ Dann sagt er: \“Das will ich aber gar nicht, weil es mein Kunde auch nicht mehr will\“. Das heißt, man muss in der Technologie so schnell, so nah am Consumer-Markt sein, dass es vom Endkunden noch akzeptiert wird, man muss aber gleichzeitig Technologie so im Griff haben, dass man sagen kann: \“Lieber Maschinenbauer, ich verkaufe dir das heute, gehe mit ruhigem Gewissen, und wenn ich in fünf Jahren wiederkomme, dann können wir uns tief in die Augen schauen und ich kann dir sagen, jetzt machen wir End-of-life und du hast noch einige Zeit, um auf das Nachfolgeprodukt umzusteigen.\“ Die andere Geschichte ist ganz klar die Sicherheit. Früher hat man gesagt: das ist eine Devel-opment-Software, die hast du auf deinen Rechnern drauf. Heute muss die unter Windows 8 laufen, aber bloß im User-Mode. Unsere Firmen-IT lässt Admin-Mode nicht zu. Das geht ganz weit runter, bis dahin, dass wir beim Erststart unsere eigene Software direkt in die Panels laden. Das geht immer dann ganz gut, wenn sie eins zu eins verbunden sind. Es geht natürlich aber auch über weite Strecken – und plötzlich ist man im normalen IT-Netzwerk und plötzlich schlägt die Standard-konfigurierte Firewall zu und dann muss man dem Kunden sagen können, welche Ports er aufmachen muss. Die ganze Geschichte greift an vielen Stellen. Das sind die beiden Schuhe, die hauptsächlich drücken.

Zum Thema Multitouch, Gesten- und Sprachsteuerung: Wie sehen Sie die Entwicklung? Wie viel von dem, was dort \’gehypt\‘ wird, kann heute schon zum Einsatz kommen?

Klein: Es gibt Dinge, die nett sind im Consumer-Bereich, die aber in der industriellen Anwendung nicht funktionieren, ich denke z.B. an eine Gestensteuerung, wie wir sie von Spielekonsolen kennen. Stellen Sie sich vor, der Anwender hüpft vor seiner Maschine umher. Es gibt aber andere Themen, an denen wir sehr viel näher dran sind. Wenn man z.B. ganz normalen Multitouch mit Wischen und Ähnlichem betrachtet. Dort gibt es aber wiederum Überschneidungen, weil das was unter \’Gesten\‘ verstanden werden kann, wie Slider bewegen und solche Dinge, das ist eigentlich etwas, das mit einem normalen Touchscreen schon funktioniert. Konkret fehlt für Bild wischen nach rechts und links bisher noch der \’common sense\‘ der Bedienung. Dann kommt wiederum auch der Aspekt auf: Wenn ich an meinem iPhone einmal versehentlich die Seite wechsle und einen Button drücke, springe ich eben zurück. Wenn ich an einer Maschine so einen versehentlichen Seitenwechsel mache und einen Button drücke, kann das ein bisschen komplizierter sein. Auch dort wieder die Schere zwischen Technologie, was ist machbar und – was braucht der Kunde wirklich. Da können wir auch ganz klar sagen, da wird Beijer Electronics nicht der Letzte sein, der auf dem Markt etwas zeigt.

Am Ende wird der pragmatische Weg gewählt und auch die Sicherheit gesehen.

Klein: Wenn ich heute vor einem Touchterminal stehe und einen Button drücke, dann weiß ich, was passiert. Wenn ich zukünftig vor einem Multitouchterminal stehe, dann weiß ich gar nicht, dass es eins ist. Und dann weiß ich auch nicht, ob der Applikateur nun eingestellt hat, dass ich mit der ganzen Hand darüber fahren muss oder nur mit dem Finger oder was auch immer. Da braucht es eine Normierung, ein \’common sense\‘, wie funktioniert es.

Frank: Es stellt sich für mich die Frage, wo der Nutzen liegt und was der Anwender eigentlich machen will. Jeder spricht von \’möglichst einfacher\‘, Bedienung und davon, dass die Visualisierung ganz toll aussehen muss. Die Frage ist, was bringt den Anwender wirklich weiter? Gestensteuerung, Sprachsteuerung, das ist schon vor zehn Jahren ein Thema gewesen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sprachsteuerung in einer rauen, lauten Umgebung sinnvoll ist. Sicherlich gibt es für andere Dinge den einen oder anderen Anwendungsfall, z.B. in der Maintenance. Dort wird mir über Bilder und Videos genau gezeigt, an welcher Schraube ich im Fehlerfall oder bei Wartung drehen muss. Diese Bedienerführung hat einen tatsächlichen Nutzen für den Instandhalter. Deshalb sollte man auch in der Zukunft genauer betrachten, ob und in welchen Anwendungen wirklich Arbeitserleichterung geschaffen werden kann.

Mit welchen Themen werden wir uns in fünf Jahren beschäftigen und welchen Platz wird Beijer Electronics an dieser Stelle im Automatisierungsmarkt einnehmen?

Klein: Fünf Jahre abzuschätzen ist im Moment schwer, das wären einige Hard- und Software-Generationen später. Es wird ganz klar in Richtung Multitouch gehen, Tablet-Fähigkeit, bewegliche Panels. Ob als alleiniges Panel wage ich zu bezweifeln, eher immer in Kombination mit einem fest eingebauten. Das Sicherheitsdenken zu Software, Gesamtsysteme, wird aber auch immer mehr kommen. Es ist jetzt ein paar Jahre her mit diesem Virus in der Siemenssteuerung. Damit hat das Bewusstsein angefangen. Dem werden wir auch in der Beijer-Electronics-Gesamtpalette Rechnung tragen. Da muss man die gesamte Bandbreite der Automatisierung betrachten – wir liefern HMI-Terminals, Soft-SPSen, Soft Motion-Systeme, die ganzen Antriebstechniken, aber auch die Netzwerkkomponenten dazu. Die Brands Korenix und Westermo mit ihren Produkten gehören zur Beijer Electronics Gruppe dazu und sind voll integriert. Da wird es sicher verkettete Systeme geben, die dann eine durchgängige Sicherheit und Lösung für unsere Kunden darstellen. Welche Software dann am Ende des Tages darunter geschaltet ist, mit einem Core von Microsoft, QT oder Android? Ich denke Microsoft ist da nicht wegzubekommen, sie haben den Industriemarkt in einem gewissen Maß erobert und sind auch akzeptiert. Android muss sich die Sicherheit erst erarbeiten. Linux hat seine Nische.

Frank: Ich kann die Ansicht von Herrn Klein nur unterstreichen: in Zukunft werden verschiedene Technologien noch stärker zusammenwachsen. Denken Sie z.B. an den Bereich der Netzwerktechnologie und der Datenkommunikation. Hier ist das Zusammenwachsen schon sehr weit fortgeschritten, aber bestimmt noch nicht abgeschlossen. Oder an Automobile, in denen heute Sicherheitssysteme wie beispielsweise Active Cruise Control selbstverständlich als Standard eingebaut sind. Wir werden sehen, welche ähnlichen Technologien auch in der Automatisierungstechnik in den nächsten Jahren zusammen Einzug halten werden. Beijer Electronics bietet ein breites Portfolio, daher sehe ich uns auch in den nächsten Jahren sehr erfolgreich im Automatisierungsmarkt. Weil wir aus unterschiedlichen Bereichen Kompetenz und Produkte mitbringen und auf Schlüsseltechnologien wie Codesys, Ethercat und iX setzen. Beijer Electronics wird in diesem Bereich in den nächsten fünf Jahren mit vorn dabei sein. Die Weichen sind gestellt mit unserem Schlagwort \’Changing the game\‘. Wir gehen in eine andere Richtung, aber nicht so, dass wir unsere Kunden verlassen, sondern wir nehmen sie mit. Wir erweitern das Portfolio, unseren, und damit auch den Horizont des Kunden und geben ihm damit die Möglichkeit, im Automatisierungsmarkt gemeinsam mit uns vorweg zu gehen.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Interview.

Beijer Electronics GmbH & Co. KG
http://www.beijerelectronics.de

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