Internet der Menschen – der Dinge – der Dienste

Interview mit Prof. Zühlke zum aktuellen Stand von Industrie 4.0
Bereits bevor der Begriff Industrie 4.0 geboren wurde, gab es eine technologische Entwicklung in diese Richtung. Einer der Protagonisten der ersten Stunde in Deutschland ist Prof. Detlef Zühlke, wissenschaftlicher Direktor Innovative Fabriksysteme (IFS) in Kaiserslautern. Wir hatten die Möglichkeit, uns mit ihm über Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Industrie 4.0 zu unterhalten.

Sie haben ja das Thema Industrie 4.0 ganz wesentlich vorangetrieben und geprägt. Was ist der technologische Unterschied zwischen der Betrachtungsweise am Anfang und dem Punkt, an dem wir heute stehen?

Prof. Zühlke: Ich glaube der wesentliche Punkt ist, dass wir heute das Internet der Dinge als Leitbild sehen. Als wir 2005 gestartet sind, haben wir einfach nur das Netzwerk gesehen, haben beispielsweise mit Profinet gearbeitet und versucht, Elemente per Feldbus zu vernetzen. Dann kam der starke Druck aus der Industrie und vom Markt in Richtung Ethernet-Nutzung. Und es kamen aus dem Konsumbereich die sog. smarten Technologien, mit denen wir heute leben – die Smartphones, Smartpads, Smart-TVs. Diese Entwicklung hat uns das Internet der Menschen gebracht, dann kam das Internet der Dinge und jetzt reden wir sogar über das Internet der Dienste, welches unsere vernetzte Welt komplettiert. Das Internet der Dinge heißt letztendlich, dass dann jedes Gerät in einer Fabrik auch zu einem smarten Element wird, und jedes mit jedem anderen kommunizieren kann. Das war eigentlich der Auslöser, dass die Entwicklungen der letzten zwei Jahre durch die Internet-Technologien stark geprägt wurden. Und dieser Weg wird unaufhaltsam weiter beschritten werden – mit allen Vor- und Nachteilen.

Welche Rolle spielt diese Smart-Factory in der Entwicklung von Industrie 4.0?

Zühlke: Ich glaube, die Entwicklung zu smarten Fabriken spielt eine sehr wichtige Rolle. Aber der Weg dorthin wird noch dauern und steinig sein. Industrie 4.0 hat für mich letztendlich auch ein \’Henne/Ei\‘-Problem: Zukünftig sollen alle Elemente smart sein und miteinander reden – diese Elemente gibt es aber noch nicht am Markt. Auf der anderen Seite gibt es Kunden, die die Vorteile erkennen und gerne kaufen würden, aber keine Hersteller finden, die als Anbieter fungieren. Also müssen wir Kunden und Hersteller zusammenbringen. Erschwerend kommt hinzu, dass Industrie 4.0 ja keine singuläre Technologie ist. Es kann also kein einzelner Hersteller ein IND4.0-Produkt anbieten, sondern es ist eine auf Netzwerken basierende übergreifende Technologie. Das heißt, es funktioniert nur, wenn viele gemeinsam daran arbeiten. Dazu müssen diese aber erst einmal zusammenkommen und sich darüber austauschen, wie sie gemeinsam einen Markt entwickeln. Das kann man einmal im Großen organisieren, wie das derzeit auf der ´Plattform Industrie 4.0\‘ organisiert wird, oder man kann es pragmatisch im Kleinen angehen, so wie wir es in der \’smartfactory-KL\‘ seit 2005 machen, indem wir interessierte Firmen zusammenbringen und mit diesen gemeinsam Dinge entwickeln. Auf der diesjährigen Hannover Messe konnten die Besucher sehen, wie vorteilhaft dieser Ansatz für alle Beteiligten ist. Dort haben wir gemeinsam mit zehn Industriepartnern die weltweit erste Industrie 4.0-Anlage gezeigt, die von der Industrie unter der Regie der smartfactory-KL gebaut wurde. Das geht natürlich nur, wenn die Hersteller bereit sind, sich auf Standards zu einigen, was in einer kleinen Gruppe natürlich viel einfacher fällt als über ganz Deutschland oder gar auf dem Weltmarkt. Außerdem bringen wir mit dieser Demonstrationsanlage Leute zusammen: Hersteller von Komponenten, Nutzer von Komponenten etc. aus den verschiedensten Bereichen, und können so Technologien und Produkte erfahrbar machen. In der neuen Anlage ist noch relativ wenig Industrie 4.0 auf Feldgeräteebene drin. Aber das kommt jetzt. Wir haben gelernt was wir dazu brauchen und so werden wir schrittweise von Messe zu Messe die Produkte entstehen sehen, die letztendlich dann auf dem Markt verfügbar werden.

Wenn Sie einmal drei Hauptpunkte nennen würden, wenn Sie jemand aus der Sicht des produzierenden Unternehmens fragen würde, welche Vorteile man mit Industrie 4.0 hat, welche wären das?

Zühlke: Das Erste ist sicherlich, dass ich mit Industrie 4.0 eine sehr hohe Flexibilität und Agilität erreiche. Die muss ich aber auch benötigen, damit es sich rechnet. Ein Hersteller, der eigentlich immer das Gleiche produziert, für den ist das zunächst kein lohnender Ansatz. Aber für ein Unternehmen, das typischerweise Produkte mit kurzer Lebensdauer und permanenten kundengetriebenen Veränderungen herstellt, wie es beispielsweise im Bereich der Mobiltelefone üblich ist, für die ist so etwas eine sehr tolle Sache. Oder auch im Bereich der Verpackungsmaschinen, wo immer wieder neue Funktionalitäten dazu kommen oder sich Verpackungsabläufe ändern, da macht das wirklich Sinn. Insofern werden dort meiner Meinung nach auch die ersten Anwendungen entstehen. Eng damit zusammen zu sehen ist, dass man damit die Engineeringzeiten reduzieren kann, weil wir nicht mehr auf der Kabel-, Bits- und Bytes-Ebene arbeiten, sondern wir kommen jetzt per Plug & Play auf eine höhere Ebene. Wir müssen uns also nicht mehr darum kümmern, wie man einen Etikettdrucker in die Steuerung einbindet und wie ich eine SPS umprogrammiere, wenn ich etwas verändere – sondern das wird dann wie zu Hause am PC gehen, dem ich einen neuen Drucker hinzufüge – Stecker rein und schon kann ich drucken. Das wird natürlich den Inbetrieb-nahmeaufwand sehr stark reduzieren und somit den Problemen der hohen Variantenvielfalt bei gleichzeitig kurzen Produktlebenszyklen begegnen. Eine weitere grundlegende Veränderung wird sich im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion ergeben, denn auch der Mensch wird mit den neuen Systemen anders umgehen können und müssen. Das gilt sowohl für den Ingenieur als Planer als auch letztendlich für den Nutzer oder Instandhalter. Mobile smarte Geräte werden die Anlagenbedienung verbessern und ein Plug & Play wird zu einem stark vereinfachten Gerätetausch im Fehlerfall -und das sogar herstellerunabhängig- führen. Wir werden damit langfristig sicherlich große Diskussionen über neue Geschäftsmodelle bekommen, denn Plug & Play bedeutet einfache Austauschbarkeit. So wie wir jeden beliebigen Drucker an unseren PC anschließen können, so könnten wir dann auch Sensoren/Aktoren herstellerunabhängig tauschen. Dann müssen sich die Hersteller überlegen, wie sie ihr Geld verdienen. Plug & Play-Module vergleiche ich gerne mit Legosteinen: Der Legostein ist nur ein Plastikklotz, der nichts kostet, das System dahinter aber macht den Gewinn – und das wird am Ende auch hier gelten. Sodass die Hersteller in Zukunft eine Engineering-Welt und -Umgebung anbieten müssen, um ihre smarten Bausteine dem Kunden auch optimal zu präsentieren.

Inwieweit spielt das Thema \’Big Data\‘ aus der IT-Welt bei Industrie 4.0 eine Rolle?

Zühlke: Das ist ein sehr enger Zusammenhang, denn die Industrie 4.0 Welt mit ihrem allumfassenden Netzwerk bietet natürlich Zugriff auf eine große Datenmenge in allen diesen Elementen. Darunter sind sicher auch unbedeutende Daten, aber eben auch viele wertvolle. Warum soll man diese dann nicht nutzen? Also wird man einen Weg finden über das Netzwerk darauf zuzugreifen – und da sind wir bei Big Data. Die spannende Frage wird sein, wie ich aus den riesigen Datenmengen das jeweils Sinnvolle herausziehe. Dafür gibt es natürlich völlig verschiedene Sichten. Wenn ich auf einen Sensor schaue, dann interessiert den einen der reine Sensormesswert und die Historie, den anderen interessiert vielleicht ein Wert, der eine Aussage über den Verschleiß dieses Sensors liefert und einen Dritten interessiert z.B. die Nutzungszeit, um darüber dann ein Leasingmodell zu bedienen – wir haben also verschiedene Sichten auf diese Big-Data-Welten. Auch da werden wir uns neue Gedanken machen müssen, das betrifft neue Datenmodelle aber auch völlig neue Geschäftsmodelle. Vielleicht gründen sich kleine Start-Ups, die Filteralgorithmen entwickeln, um aus diesen Datenmengen das jeweils Wichtige herauszufiltern. Da wird also noch eine sehr spannende Sache auf uns zu kommen. Ich sagte am Anfang: Internet der Menschen; Internet der Dinge; Internet der Dienste – damit sind wir nun im Internet der Dienste angekommen, das heißt, wir bieten im Internet der Dinge auch ein solches Internet der Dienste an, und versuchen Dienste über dieses Netzwerk aktiv zu nutzen.

Vielen Dank für das Interview.

Deutsches Forschungszentrum für
http://www.dfki.de/ifs

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