Interne Signalverarbeitung und Multisensorsysteme

Sensoren für die digitale Produktion von morgen - Teil 2/7
Die im ersten Teil (SPS-MAGAZIN 11/14) beschriebenen Sensoren werden im realen Umfeld der heutigen Produktion nur in eingeschränktem Umfang genutzt. Dieser Umstand ist insbesondere der Tatsache geschuldet, dass die vorhandenen Sensoren nicht direkt in ein Produktionsumfeld integriert werden können, da sie eher eine Laborlösung darstellen, sehr kostenintensiv sind oder keine Onlinefähigkeit aufweisen. Die im Folgenden beschriebenen Beispiele zeigen aber, dass Messsignale eines Sensors häufig nicht eindeutig sind.

Die Auswertung der Signale eines Kraftsensors zur Erfassung von Prozesskräften führt ohne die Information über die Position von Werkstück und Werkzeug zu einer Fehlinterpretation. Außerdem können einzelne Sensoren zwar Prozessgrößen erfassen und Signale zur Überwachung des Prozesses liefern, eine erweiterte Signalverarbeitung ist aber erforderlich, um eine modellbasierte Interpretation der erzeugten Qualitäten oder der Zustände von Werkzeug, Maschine und Hilfsmittel zu erlauben. Aus diesem Grund werden in der Forschung zwei Stoßrichtungen verfolgt, welche diese Lücken schließen sollen:

1. Einerseits werden integrierte Sensoren entwickelt, die einen höheren Informationsgehalt liefern sollen. Hierbei handelt es sich um Sensoren, die bereits eine Auswertung der aufgenommenen Daten erlauben und somit durch die Anwendung geeigneter Modelle bereits Informationen anstatt einfacher Signale an die nächste Instanz – z.B. die Steuerung der Maschine und damit an den Bediener oder an die Prozessplanungsebene – liefern.

2. Anderseits werden Multisensorsysteme entwickelt, welche die Erfassung mehrerer Größen im System ermöglichen. Hierbei handelt es sich um Netzwerke von Sensoren oder integrierte Lösungen, welche die Messung von mehreren Messgrößen über ein Sensorsystem erlauben.

Durch die Kombination der beiden Stoßrichtungen wird die Sensorfusion vorangetrieben, die eine kombinierte intelligente Signalverarbeitung mehrerer Messgrößen eines Multisensorsystems beschreibt. In den folgenden Teilen werden zu beiden Stoßrichtungen Beispiele aufgezeigt, die ausgehend von einfacher Sensorik den Mehrwert durch Sensorfusion darstellen.

Multisensorsystem zur Kraftmessung bei der 5-Achs-Bearbeitung

In der Zerspanung ist die Messung von Prozesskräften essenziell für die Prozessanalyse und Prozessoptimierung. Kraftmodelle sind in der Zerspanung neben Temperaturmodellen die am weitesten verbreiteten Ansätze zur Optimierung der spanenden Bearbeitung und zum Erzielen der geforderten Qualitäten komplexer Produkte. Zur Bestimmung der Prozesskräfte wird in den meisten Fällen die piezoelektrische Kraftmessung genutzt. Dabei werden einzelne Quarzscheiben vorgespannt und zu einem Sensor mit hoher Linearität zusammengefügt. Ein zusätzlicher Informationsgewinn kann durch das Zusammenschalten mehrerer Sensoren zu einer Kraftmessplattform erzielt werden. Neben der Erweiterung des Messbereichs wird so die Berechnung von Drehmomenten ermöglicht. Trotz des linearen Verhaltens der piezoelektrischen Sensoren können äußere Umgebungseinflüsse, wie z.B. die Einsatztemperatur, eine Korrektur der Sensorsignale erforderlich machen. Die Einsatztemperatur bewirkt eine Veränderung des Zusammenhangs zwischen Kraft und die durch den Sensor abgegebene Ladung. Aus diesem Grund muss dieses Verhalten beschrieben und für den Einsatz in einer Fertigung entsprechend kalibriert werden. Neben der mechanischen Kompensation durch eine Konstruktion, die thermische Dehnungen weitgehend ausgleicht, wird vielfach eine Korrektur der Messwerte durch die Nutzung weiterer Sensorsignale angestrebt. Die Korrektur von thermischen Effekten wird häufig zur Steigerung der Messgenauigkeit genutzt. Steht neben dem eigentlichen Messsignal eine Information über die Temperatur zur Verfügung, so kann eine modellbasierte Korrektur vorgenommen und damit die Genauigkeit der Messung weiter gesteigert werden. Derartige Kompensationsmethoden kommen bei der Zerspankraftmessung aber auch in der Werkzeugmaschine selbst zum Einsatz. In Werkzeugmaschinen werden Temperaturmesswerte zur Kompensation von thermischen Dehnungen der Maschinenstruktur verwendet.

Dynamische Effekte bei Messungen

Neben thermisch bedingten Messfehlern bewirken dynamische Effekte bei der Messung von Zerspankräften eine Verfälschung der Messgröße. Insbesondere beim Fräsen wird das Werkstück durch das Ein- und Austreten der Schneiden zu Schwingungen angeregt. Liegt dabei die anregende Frequenz zu nah bei der Systemeigenfrequenz, kommt es zu einer ungewünschten Beeinflussung des Messsignals. Eine einfache Tiefpassfilterung führt zwar zu einer Reduktion der überhöhten Amplitude, liefert jedoch keine hinreichend genaue Korrekturfunktion. Eine Kompensation kann in diesem Fall durch Messung der Beschleunigung oder durch Kenntnis der inversen Übertragungsfunktion des Systems realisiert werden. Dieses Verfahren kann nur dann verwendet werden, wenn das zeitlich veränderliche Übertragungsverhalten des Systems bekannt ist. Im Falle von Zerspankraftmessungen kann nicht von einem konstanten Übertragungsverhalten ausgegangen werden, da sich die Masse des Werkstücks mit dem Materialabtrag ändert. Darüber hinaus kommen weitere Störungen der Messung zum Tragen, wenn die Kraftmessung bei komplexen Bearbeitungsprozessen eingesetzt wird. Hierbei ist die Beschreibung der wirkenden Beschleunigungen am Sensor von essenzieller Bedeutung. Ein klassisches Beispiel für diese Problemstellung ist die 5-Achs-Bearbeitung komplexer Produkte. Da Kraftmesssysteme auf Werkzeugseite keinen automatischen Werkzeugwechsel zulassen, muss eine werkstückseitige Kraftmessung erfolgen. Ein Großteil der heute im Einsatz befindlichen Bearbeitungszentren realisiert bei der 5-Achs-Bearbeitung die lineare Relativbewegung zwischen Werkstück und Werkzeug auf der Werkzeugseite und die synchronen rotatorischen Bewegungen auf der Werkstückseite. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass die Kraftmessplattform über eine telemetrische Datenübertragung verfügt, um eine freie Bewegung des Messsystems in allen Bearbeitungsrichtungen zu erlauben. Weiterhin wirken, durch die Bewegung von Werkstück und Kraftmessplattform im Raum, zusätzlich zur Prozesskraft statische und dynamische Kräfte (Bild 2). Der dynamische Anteil setzt sich aus der Zentrifugal-, Euler- und Corioliskraft zusammen. Letztere tritt in der Regel nicht auf, da keine bewegten Massen innerhalb des rotierenden Systems vorhanden sind. Sind die Winkelgeschwindigkeiten und -beschleunigungen sowie Form, Lage und Masse des Werkstücks bekannt, können die wirkenden dynamischen Kräfte ermittelt und von der Messung subtrahiert werden. Zusätzlich zu den dynamischen Effekten durch die Bewegung des Werkstücks bewirken Gravitationskräfte bei der 5-Achs-Bearbeitung eine Verfälschung der ausgegebenen Kraftwerte. Wird die Orientierung des Werkstücks im Raum während der Bearbeitung verändert, so ändert sich die Lage des Gewichtskraftvektors bezogen auf das Koordinatensystem der Messeinrichtung. Demzufolge muss der Einfluss der Gewichtskraft abhängig von der aktuellen Orientierung des Werkstücks im Raum kompensiert werden. Hierzu wird die wirkende Gewichtskraft entlang der Koordinatenachsen der Messplattform aufgeteilt und vom Messsignal subtrahiert. Parallel zur Kompensation der dynamischen Fehler aufgrund von anregenden Schwingungen muss auch hier der Verlust an Gewichtskraft durch die Bearbeitung selbst berücksichtigt werden. Bei Schlichtprozessen kann der Massenverlust gegebenenfalls vernachlässigt werden, bei Schruppprozessen hingegen ist eine Berücksichtigung erforderlich. Hierfür stehen grundsätzlich zwei verschiedene Strategien zur Verfügung. Ist das Zeitspanvolumen über die Bearbeitungsdauer konstant, so kann von einem linearen Massenabtrag ausgegangen werden. Ausgehend von der Masse zu Beginn der Bearbeitung, kann online eine Kompensation durchgeführt werden. Bei nicht konstantem Zeitspanvolumen besteht die Möglichkeit, über eine A-priori-Zerspansimulation den Verlauf zu berechnen, während der Bearbeitung zu synchronisieren und damit die Kompensation durchzuführen. Insbesondere bei der Fertigung von hochwertigen Komponenten in geringen Stückzahlen kann durch eine Prozesskraftmessung und eine darauf basierende Prozessüberwachung die Prozesssicherheit gesteigert werden. Neben der Erfassung von Kräften werden die maschineninternen Positionssignale der einzelnen Achsen aufgezeichnet. Hieraus können die wirkenden Beschleunigungen durch Differenzierung der Signale gewonnen werden. Eine Kompensation der Gewichtskraft wird abhängig vom Winkel der Schwenkachse durchgeführt. Die verbleibenden dynamischen Kraftanteile können anschließend über die Winkelbeschleunigung kompensiert werden. Das unkompensierte Kraftsignal zeigt bei konstanter Masse die Übereinstimmung mit der zugehörigen Winkelbeschleunigung.

Fazit und Ausblick

Das Beispiel der Kraftmessung bei der 5-Achs-Bearbeitung zeigt, dass die singuläre Auswertung von Messgrößen zu Fehlinterpretationen führt. Durch die kombinierte Auswertung verschiedener Sensoren besteht die Möglichkeit, die Störgrößen zu erfassen und den Informationsgehalt der Messung zu steigern. Zur Umsetzung einer digitalen, modellbasierten Produktion ist daher die Entwicklung neuer, integrierter Sensoren erforderlich. Für die Erfassung von Prozesskräften im Zuge der digitalen Produktion ist neben der drahtlosen Datenübertragung eine weitere Einbettung von Sensoren und Datenvorverarbeitung in die eigentliche Kraftmessplattform anzustreben. Die Erfassung von Position und Beschleunigung des Werkstücks wird über Beschleunigungssensoren und miniaturisierte Lagesensoren, wie sie in Smartphones bereits verwendet werden, realisiert. Um die Datenübertragungsraten gering zu halten, muss eine Vorverarbeitung auf dem System (sensorintegrierte Signalverarbeitung) stattfinden. Hierzu werden rekonfigurierbare Datenerfassungssysteme verwendet. Diese erlauben je nach Anwendungsfall eine veränderte Datenverarbeitung auf dem System. Für die Prozessüberwachung oder Prozessregelung werden vom System dann nur noch die notwendigen Kennwerte übertragen. Durch die Rekonfigurierbarkeit kann die Verrechnungsmethode jederzeit optimal an die jeweiligen Anforderungen angepasst werden. Ein Beispiel für eine CPPS-Kraftmessplattform für die 5-Achs-Bearbeitung mit integrierten Lage- und Beschleunigungssensoren zeigt Bild 3.

National Instruments Germany GmbH
http://www.ni.com

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