Heute hofft man wieder neu auf CIM++ = Industrie 4.0 bzw. CPPS (Cyber Physical Production Systems). Industrie 4.0 ist die Fortschreibung des Internets der Dinge, bei dem Produkte und Produktionsmittel über RFID, IP & Co. an das \’Inter-Net\‘ angedockt und so kommunikations- und intelligenzfähiger werden. Diese Technologien sind erprobt, ihr Einsatz vielversprechend. Trotzdem warnen wieder viele vor einem Scheitern, wenn (wieder) Fehler begangen werden wie:
- Fokussierung auf Basistechnologien statt auf Anwendungen
- Angebotsorientierung (wir haben RFID) statt Nachfrageorientierung (wofür?)
- Forschungsgelder statt Markterfolge
Heute kann man trotz des CIM-Scheiterns aber optimistischer sein. Bei CIM fehlte noch der technologische Vorlauf, auf den wir heute zurückblicken können, und vor allem fehlte eine umfassende Vernetzungsfähigkeit auf allen Ebenen. Heute existieren zumindest schon viele der notwendigen Vernetzungsstandards oder man schließt verbliebene Lücken im Netzwerk. Die Vernetzungsfähigkeit ist viel besser. Vernetzungsfähigkeit alleine reicht aber leider nicht aus. Wir müssen auch vernetzungs- bzw. kooperationswillig sein, selbst mit Wettbewerbern bzw. Wettbewerbssystemen (Co-Optition), damit es uns gelingt, die enormen Potenziale zu heben, die noch in der besseren Vernetzung stecken. Und hier ist die Betrachtung von Industrie 4.0 bottom-up von der Basistechnologie her nicht hilfreich. Die Bottom-Up-Perspektive zeichnet sich durch alle genannten Nachteile aus: Sie betont die Basistechnologien statt der Anwendungen, sie ist Angebots-orientiert statt Nachfrage-orientiert und sie investiert wahrscheinlich \’fundamental\‘ eher in Forschung statt ergebnisorientiert in den Markt. Was aber bleibt uns als Alternative?
Vom Inter-Net zum Competence-Networking
Alternativ können wir Industrie 4.0 top-down verstehen, wenn wir das disruptive Muster des Wandels dahinter erkennen, das durch das Inter-Net im weiteren Sinne generell (bottom up) entstanden ist und generell unsere Ökonomie breit wandelt. Dabei soll das \’Inter-Net\‘ hier nicht nur als das Internet im engeren Sinne betrachtet werden, sondern alle Ansätze umfassen, die zu einer besseren Vernetzung in der Produktion beziehungsweise der Ökonomie beitragen. Dazu gehören dann auch andere Ansätze, das \’Mobile Net\‘, das \’Social Net\‘ usw., die unabhängig von den konkreten Lösungen dazu führen, dass der Grad der Vernetzung und darauf aufbauend auch der Virtualisierung (alles im Netz) und Vitalisierung (mehr Intelligenz und Kommunikation) steigt und eine neue Art der Wertschöpfung erlaubt.
Competence Networking als neues disruptives Denk-Muster
Die neuen technologischen Möglichkeiten ermöglichen ein Neudenken auf Produkt- und Prozessebene. Wo früher isolierte Produkte und Organisationsstrukturen das Denken prägten, lässt das Inter-Net uns erkennen, dass man über diese \’materiellen\‘ Begrenzungen hinaus jede Wertschöpfungs-Basis auch als Kompetenz-Netzwerke im weiteren Sinne betrachten kann (ein Produkt, eine Maschine, ein Mitarbeiter sind Träger dieser Kompetenzen, aber die Fähigkeiten stehen im Vordergrund) und jede Wertschöpfung als Kompetenz-Vernetzung bzw. Competence Networking. Diese neue atomisierte (granulare Fähigkeiten statt Materie) und vernetzte Weltsicht (Ganzheit statt Begrenzung) führt auch auf einer normativen Ebene zu einem verstärkten Qualitäts- und Kooperationsdenken, weil am Ende der Vernetzung der Kunde die Kompetenz bewertet und Netzwerke nicht an Abteilungs- oder Organisationsgrenzen enden bzw. Grenzen zu suboptimalen Ergebnissen führen. Betrachtet man viele der heute relevanten Begriffe wie Supply-Chain, Enterprise 2.0, Industrie 4.0 oder Shareconomy, dann erkennt man diese \’Neudenke\‘ von Wertschöpfung als das disruptive Muster dahinter. Das Inter-Net hat uns vom Alt-Denken befreit und so neue Potenziale in der Wertschöpfung geöffnet.
Industrie 4.0 – Competence Networking vertikal, horizontal und diagonal
Betrachtet man also Industrie 4.0 als Competence Networking für die Produktion, dann wird die neue Wertschöpfung als die überlegene Co-Kreation auf der Basis von gemeinsam genutzten Fähigkeiten in kollaborativen Netzwerken (Menschen, Maschinen usw.) erkannt und als Teil eines Wandels, der generell auch andere Teile der Ökonomie erfasst hat. Dann ist aber nicht bottom-up der Chip und die RFID-Technik als Basis-Commodity für die Zukunft erfolgsentscheidend, sondern top-down unsere Kooperationsfähigkeit und -kultur. Wichtiger sind also neue dezentralisierte, kooperative Produktions- und Koordinations-Ansätze, dass Wir, das gewinnt! Nur wenn Menschen, Struk-turen/Prozesse, Systeme (ERP, MES usw.) sich horizontal, vertikal und diagonal besser vernetzen (kooperieren), dann werden wir jenseits der Technologie-Zentrierung im CIM-Zeitalter diesmal die Wert-Potenziale realisieren und in den Mittelpunkt stellen. Bild 2 skizziert die vertikale und horizontale Vernetzung.