Dynamische Marktveränderungen, wirtschaftliche Unsicherheiten und technologische Umbrüche stellen Unternehmen vor die Herausforderung, schnell zu handeln. Doch mit althergebrachten Strukturen und Prozessen ist dies kaum möglich – sie müssen agiler werden. Immer mehr Unternehmen wird das bewusst, aber die wenigsten sehen sich dazu bereits in der Lage. So können laut einer aktuellen Studie der Beratungsgesellschaft Kienbaum mit 200 Firmen nur 15 Prozent der Befragten schnell auf neue Bedarfe ihrer Kunden reagieren, obwohl 63 Prozent von ihnen dies als besonders wichtig ansehen.
Langsame Prozesse anpassen
Die Einführung agiler Methoden kann hier Abhilfe schaffen. Sind die bestehenden Prozesse zu langsam, müssen sie angepasst werden – das entspricht der Logik komplexer und reifer Unternehmen. Agile Methoden wie Scrum sind erprobt und zeichnen sich durch Transparenz und einfache Regeln aus. Allerdings wurden sie ursprünglich für kleinere Teams entwickelt – große Unternehmen hingegen brauchen Skalierbarkeit. Aber auch dafür gibt es Framework-Lösungen: Scaled Agile Framework (SAFe) zum Beispiel ist ein sehr umfangreiches Tool, entwickelt von Dean Leffingwell, um agile Methoden auf Team-, Programm- und Portfolioebene für große Organisationen nutzbar zu machen. Allerdings besteht bei SAFe die Gefahr, dass die neuen Methoden nur auf der theoretischen Ebene umgesetzt werden. Um dem vorzubeugen, kann man sich ein Meta-Framework wie z.B. das Enterprise Transition Framework (ETF) des Anbieters Agile42 zunutze machen. Hier werden neue Methoden unter Berücksichtigung der Unternehmenskultur und der agilen Prinzipien eingeführt.
Erster Schritt: Verständnis
Große Organisationen kennen die Herausforderungen, die mit komplexen Strukturen einhergehen. Erfahrungen und nötige organisatorische Ressourcen für Rollouts sind in aller Regel vorhanden, also ersetzt man klassisches Projektmanagement einfach durch agile Methoden? Ganz so einfach ist es nicht. Bei einer reinen Implementierung im Top-Down-Verfahren bleibt ausgerechnet die Agilität auf der Strecke: Das Verbesserungspotential kann nicht voll ausgeschöpft werden, denn es beruht im Kern auf Eigenverantwortung und Kreativität der Teammitglieder. Auch die Nachhaltigkeit des Erfolges wäre gefährdet. Deshalb ist der erste und entscheidende Schritt zur Agilität – noch vor dem Erlernen bestimmter Methoden – das Verständnis für die Prinzipien und Überzeugungen, die diesen Methoden zugrunde liegen. Agiles Arbeiten fußt in erster Linie auf Einstellungen und Handlungsweisen, die eine ständige Verbesserung ermöglichen. Es ist ein Wachstums- und Lernprozess, den jedes Team und jede Organisation durchlaufen muss, um ihren agilen Weg zu finden. Der Ansatz der sogenannten Agile Reading Glasses beschreibt die agile Lesart und die grundlegenden Prinzipien im Unterschied zum nicht-agilen Ansatz: empirische vs. definierte Prozesskontrolle, Pull vs. Push, Lean Thinking, iterativ und inkrementell.
Empirische vs. definierte Prozesskontrolle
Bei der herkömmlichen, definierten Prozesskontrolle wird ein Gesamtprozess in Teilaufgaben untergliedert und dann für jede Teilaufgabe die Zeit geplant. Kontrolliert wird die tatsächlich benötigte Arbeitszeit im Vergleich mit geplanter Arbeitszeit. Bei neuen Entwicklungen kann die benötigte Zeit aber höchstens grob geschätzt werden, hier ist eine empirische Prozesskontrolle erfolgversprechend. Das Ziel ist ein vom Kunden akzeptiertes Ergebnis – in möglichst kurzer Zeit. Dazu werden Zeiträumen von zwei bis vier Wochen, sogenannte Sprints festgelegt. Das Team entscheidet selbst, welche Teilaufgaben in dieser Zeit abzuarbeiten sind. Diese Erfahrungen fließen dann jeweils in den nächsten Sprint ein, so dass parallel zum Produkt auch der Prozess empirisch immer weiter verbessert wird.