Für die Inspektion von Teilen zahlen und nicht für Prüfsysteme? – Interview

Pay per View

Für die Inspektion von Teilen zahlen und nicht für Prüfsysteme?

Pay-per-View bietet die Möglichkeit, dass Visionanwender nicht mehr für ihr Prüfsystem zahlen müssen, sondern für jedes geprüfte Teil einen sehr kleinen Betrag an den Systemhersteller überweisen. Wie weit dieser Gedanke bereits umsetzbar ist, wollte inVISION von verschiedenen Experten wissen.

Bild: ©upixa/adobe.stock.com

inVISION: Spielt Pay-per-View bei Ihren Kunden bereits eine Rolle?

Dr. Jürgen Geffe (Vision&Control): Pay-per-View gehört zu den Visionen einer Industrie 4.0. Auch im Bereich der industriellen Bildverarbeitung wäre dies möglich und ist durchaus eine interessante Option. Voraussetzung, dass dies funktioniert, ist aber aus unserer Sicht eine gute Vernetzung der Systeme. Wir haben das Thema bereits mit zahlreichen potentiellen Kunden diskutiert, aber aktuell ist Pay-per-View für uns in Deutschland noch nicht praktikabel.

Alexander Trebing (Cretec): Pay-per-View spielt bei einigen unserer Kunden bereits eine Rolle. Bisher zwar hauptsächlich in Konzepten, aber die Möglichkeiten sind durchaus interessant. Für uns ergeben sich aber auch weitere Anwendungsfälle. Die Prüfergebnisse werden beispielsweise fälschungssicher im IOTA-Tangle (eine Kryptowährung) abgelegt. Wie die Blockchain ist der Tangle eine Distrubuted-Ledger-Technology (Technik verteilter Kassenbücher), die viele Vorteile hat (Transaktionsrate, Skalierbarkeit, Micropayments…) und somit den Anwendungsspielraum in der Industrie erweitert. Ein große Unterschied zwischen Tangle und Blockchain ist das eine Blockchain immer langsamer wird, je mehr Nutzer es gibt und jede Transaktion Gebühren aufruft. Der Tanlge wird mit jedem zusätzlichen Nutzer schneller, die Transaktionen sind kostenfrei und dadurch auch für kleinste Summen abbildbar (0,000001€). Die Prüfergebnisse werden im Tangle sicher und dezentral abgelegt und sind mit einem Passwort geschützt. Er erstellt damit einen Datenset von tausenden Prüfungen, der zudem international immer die gleiche Struktur hat. Wir haben damit die Möglichkeit die Daten nicht nur selbst zu sammeln und auszuwerten, sondern auch das Datenset an andere Firmen z.B. für statistische Auswertungen zu verkaufen. Die Abrechnung erfolgt ohne Ländergrenzen, unabhängig von Währungsschwankungen, in Echtzeit und zuverlässig über IOTA. Viele Reden immer wieder davon, dass Daten das neue Gold sind. Mit dem Payp-per-View Konzept wird es möglich, Datengold zu Geld zu machen. Zudem muss man die Datenquelle – das Bildverarbeitungssystem – nicht kaufen, sondern nur nutzen.

Donato Montanari (deevio): Bisher spielt das Thema weder bei unseren Kunden noch bei uns eine Rolle.

inVISION: Wo liegen die Probleme?

Donato Montanari: An mehreren Aspekten. Zum einen sind die Kosten für die Endkunden schwer vorherzusehen und zu budgetieren, da sich die Produktionsvolumina über den Planungszeitraum ändern können. Zum anderen liegt dem Geschäftsmodell ein Incentivierungsproblem zugrunde. Sobald der Endkunde merkt, dass sich seine Produktion über einen gewissen Zeitraum auf einem für ihn akzeptablen Qualitätsniveau stabilisiert hat, ist er daran interessiert, das Visionsystem abzustellen und damit Kosten einzusparen, bis sich die Qualität seiner Produktion wieder ändert und das Visionsystem reaktiviert wird. Das führt allerdings zu Zahlungsausfällen bei den Herstellern. Außerdem müsste die komplette Lieferkette beim Pay-per-View Geschäftsmodell mitmachen. Wenn sich ein Anbieter einzeln dazu entscheidet, von nun an Endkunden ein Pay-per-View Modell anzubieten, die Lieferanten aber nach wie vor vorab bezahlt werden wollen, bekommt der Anbieter Liquiditätsprobleme. Bis die Umsätze aus dem Pay-per-View Modell allein die Kosten für die Hardware wieder eingebracht haben, wird aufgrund der Preise einige Zeit vergehen. Hier müsste man also eine Einigung mit allen Lieferanten finden, sodass diese das Modell mittragen.

Alexander Trebing: Momentan in der Akzeptanz der Industrie und den Wertschwankungen von Kryptowährungen. Da aber bereits große Industriekonzerne wie Bosch, VW, Microsoft, Telekom usw. im IOTA-Netzwerk sind und an Pilotprojekten arbeiten, macht das Thema aktuell große Fortschritte. Es gibt z.B. inzwischen Autos mit einem eigenen Wallet, damit das Fahrzeug an der Zapfsäule seinen Strom selbst bezahlen kann. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten fünf Jahren mehrere Bildverarbeitungssysteme im industriellen Einsatz mit dem IOTA-Tangle verlinkt sind, um Daten zu sammeln bzw. abzurechnen. Wir sind stolz, eines der ersten industriellen Bildverarbeitungssysteme mit dem Tangle verknüpft zu haben.

Dr. Jürgen Geffe: Hindernisse aktuell sind Sicherheitsrichtlinien und Echtzeitanforderungen im industriellen Prozess. Aktuell steht aber immer noch die Funktionalität der Anlage im Vordergrund. Wir haben jedoch bereits sehr gute Erfahrungen beim weltweiten Support unserer Systeme über Internet gemacht, was für mich gewissermaßen eine Vorstufe ist.

inVISION: Wie lange wird es dauern, bis Pay-per-View zum Einsatz kommt?

Donato Montanari: Da sich wie beschrieben für eine Umsetzung des Modells die komplette Industrie auf die neuen Zahlungseingänge anpassen müssten, erwarten wir keinen baldigen Einsatz des Geschäftsmodells in größerem Umfang. Wie es bei Vorhersagen üblich ist, können wir uns hier aber auch massiv täuschen.

Dr. Jürgen Geffe: Aktuell haben wir bereits einige Prototypeanwendungen im Feld, mit welchen wir verschiedene Aspekte bereits prüfen. Aus meiner Sicht dauert es aber noch gut fünf Jahre, bis die ersten Standardapplikationen laufen.

Alexander Trebing: Das Konzept wurde dieses Jahr mit dem ZeMA (Zentrum für Mechatronik und Automatisierung) in Saarbrücken präsentiert. Es gibt bereits weitere Termine zusammen mit dem VDMA.

Teilnehmer

Alexander Trebing, Geschäftsführer, Cretec GmbH

Dr. Jürgen Geffe, Geschäftsführer, Vision & Control GmbH

Donato Montanari, CEO, Deevio GmbH

 

Themen:

| Fachartikel

Ausgabe:

inVISION 6 2019
CRETEC GmbH

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